Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsbegehren gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gegen Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Form und Besetzung bei der Entscheidung über ein Wiederaufnahmebegehren gegen einen Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG.

2. Wird das Wiederaufnahmebegehren darauf gestützt, es habe nicht der gesetzliche Richter entschieden (§ 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 GG), weil der Große Senat nicht angerufen worden sei, so sind für die Zulässigkeit des Begehrens die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 oder Abs. 4 FGO und Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten des erkennenden Gerichts substantiiert darzulegen.

 

Normenkette

FGO § 11 Abs. 3-4, § 134; ZPO §§ 578-580, 586 Abs. 1, §§ 587, 588 Abs. 1 Nr. 1, § 589; BFHEntlG Art. 1 Nr. 7; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin war als Professorin an einer Universität tätig gewesen. Im Verlauf des Jahres 1981 wurde sie in den Ruhestand versetzt. Seitdem bezieht sie Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1982 machte sie bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten (§ 9 EStG) in Höhe von ca. 15000 DM geltend. Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte diese Aufwendungen nicht an.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die vom FG zugelassene Revision mit Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluß wurde am 24. Februar 1992 mit Einschreiben zur Post gegeben.

Mit einem an den Präsidenten des BFH gerichteten Schreiben vom 3. März 1992 - eingegangen am 5. März 1992 - erklärte die Klägerin, der Beschluß des VI.Senats des BFH müsse als unwirksam abgelehnt werden, weil er nicht durch den gesetzlich zuständigen Richter ergangen sei. Nach dem Beschluß des VI.Senats wäre wissenschaftliche Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) Privatvergnügen. Diese Rechtsauffassung weiche eindeutig von dem Beschluß des Großen Senats vom 28. November 1977 GrS 3/77 und von dem eigenen Urteil des VI.Senats vom 28. November 1980 VI R 193/77 ab, in dem der Senat festgestellt habe, daß der Werbungskostenbegriff nicht final zu verstehen und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Berufstätigkeit und den Aufwendungen nicht erforderlich sei. Auf diese offensichtlichen Divergenzen und auf die dadurch gegebene Zuständigkeit des Großen Senats nach § 11 Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei ausdrücklich hingewiesen worden. Es werde daher erneut beantragt, die Streitsache an den gesetzlich zuständigen Großen Senat zu verweisen und damit die sachliche Fehlentscheidung des VI.Senats zu bereinigen.

Mit Schreiben vom 9. März 1992 teilte der Präsident des BFH der Klägerin mit, es sei ihm verwehrt, korrigierend in die richterliche Tätigkeit der Senate einzugreifen. Es stehe ihr frei, ihre Rechtsauffassung im Rahmen der durch die Prozeßordnung gegebenen Instrumentarien geltend zu machen.

Mit am 2. April 1992 eingegangenem Schriftsatz vom 31. März 1992 bat die Klägerin, das an den Präsidenten des BFH gerichtete Schreiben als Nichtigkeitsklage nach § 579 der Zivilprozeßordnung (ZPO) umzudeuten.

Das FA macht geltend, das Schreiben des Prozeßbevollmächtigten vom 3. März 1992 erfülle nicht die Voraussetzungen einer Nichtigkeitsklage nach § 587 ZPO. Das Schreiben sei nicht als Klage bezeichnet und enthalte auch nicht die erforderliche Erklärung nach § 587 ZPO. Eine Umdeutung sei nicht möglich.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unzulässig und deshalb gemäß § 134 FGO i.V.m. § 589 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.

1. Das Wiederaufnahmebegehren der Klägerin ist allerdings statthaft. Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann gemäß § 134 FGO nach den Vorschriften der ZPO (§§ 578ff. ZPO) wiederaufgenommen werden. Hiernach kann die Wiederaufnahme durch Nichtigkeitsklage oder durch Restitutionsklage erfolgen. Zwar setzt die Wiederaufnahme nach dem Wortlaut des § 578 ZPO ein rechtskräftiges Endurteil voraus. Nach allgemeiner Ansicht kann jedoch auch ein durch Beschluß rechtskräftig beendetes Verfahren wiederaufgenommen werden. In diesem Fall ist grundsätzlich anstelle einer Nichtigkeitsklage ein Antrag auf Wiederaufnahme zu stellen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 m.w.N.; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Januar 1992 2 BvR 40/92, 3. Kammer, Betriebs-Berater - BB - 1992, 252, 253; Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 1990 8 AS 1/90, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1991, 1252 m.w.N.).

Die Entscheidung über das Wiederaufnahmeverfahren ergeht nach ständiger Rechtsprechung des BFH in derselben Form und Besetzung, in der die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung ergangen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. November 1969 III K 1/69, BFHE 97, 502, BStBl II 1970, 216; vom 16. August 1979 I K 2/79, BFHE 128, 349, BStBl II 1979, 710; vom 13. Februar 1986 III K 1/85, BFHE 145, 500, BStBl II 1986, 415; vom 15. April 1987 VIII K 1/86, BFH/NV 1987, 591). Dementsprechend hat der IV.Senat des BFH mit nichtveröffentlichtem Beschluß vom 22. März 1984 IV K 1/81 entschieden, daß über den Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens, das durch einen Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG rechtskräftig beendet wurde, ebenfalls durch Beschluß zu entscheiden ist, daß dieser Beschluß - wie in dem Verfahren nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG - ohne mündliche Verhandlung ergeht und daß an der Entscheidung der Senat in seiner vollen Besetzung mitwirkt. Demgegenüber hat der III.Senat des BFH die Auffassung vertreten, die Wiederaufnahme eines finanzgerichtlichen Verfahrens, das durch Beschluß des BFH nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG rechtskräftig beendet worden sei, erfolge durch eine Klage, über die durch Urteil zu entscheiden sei (vgl. Urteil vom 14. Juni 1991 III K 1/90, BFH/NV 1992, 184).

Im Streitfall ist das finanzgerichtliche Verfahren durch einen Beschluß nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG rechtskräftig beendet worden. Der Senat hält es für zweckmäßig, über das Wiederaufnahmebegehren durch Gerichtsbescheid (§ 90a FGO) in seiner vollen Besetzung, wie es auch bei einem Beschluß zu geschehen hätte, zu entscheiden.

2. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist auch rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 586 Abs. 1 ZPO gestellt worden. Der Senat wertet das Schreiben der Klägerin vom 3. März 1992 an den Präsidenten des BFH und nicht erst den Schriftsatz vom 31. März 1992 als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Bereits das Schreiben vom 3. März 1992 enthält die in sinngemäßer Anwendung des § 587 ZPO erforderlichen Angaben: Es ist der Beschluß des VI.Senats vom 30. Januar 1992 in der Sache VI R 112/90 bezeichnet worden. Die Aussage, der Beschluß sei unwirksam, weil er nicht durch den gesetzlich zuständigen Richter ergangen sei, verbunden mit dem Antrag, die Streitsache an den gesetzlich zuständigen Großen Senat (§ 11 Abs. 3 und 4 FGO) zu verweisen, läßt den Willen der Klägerin erkennen, die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen einer Nichtigkeit i.S. des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu begehren. Dem Fehlen des Begriffs Klage in diesem Schreiben kann schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, weil die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen einen das Verfahren rechtskräftig beendenden Beschluß - wie oben dargelegt - nach allgemeiner Ansicht nicht im Wege der Klage, sondern durch einen entsprechenden Antrag betrieben wird. Wenn statt dessen bei Beendigung des Verfahrens durch Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG zugunsten des Beteiligten davon ausgegangen wird, daß über das Wiederaufnahmebegehren durch Urteil und nicht durch Beschluß zu entscheiden sei, so kann dies auf keinen Fall zu Lasten des Beteiligten gehen und rechtfertigt die Umdeutung des Antrags in eine Klage.

Da der Beschluß nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG am 24. Februar 1992 zur Post gegeben worden ist, ist der am 5. März 1992 beim BFH eingegangene und in eine Klage umzudeutende Antrag rechtzeitig gestellt worden.

3. Die Klage ist aber unzulässig, weil der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig dargelegt worden ist (§§ 578, 579, 589 ZPO i.V.m. § 134 FGO). Die Zulässigkeit einer Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens erfordert nicht nur Angaben darüber, welches der vom Gesetz vorgesehenen Verfahren der Wiederaufnahme gewollt ist, sondern auch die schlüssige Behauptung eines im Gesetz aufgeführten Nichtigkeits- (§ 579 ZPO) oder Restitutionsgrundes (§ 580 ZPO). Zwar gehört die Bezeichnung des Anfechtungsgrundes (§ 588 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt der Antrags- oder Klageschrift. Daraus folgt aber nur, daß die Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergeben soll, nicht schon innerhalb der Klagefrist vorgetragen werden müssen; sie können in einem späteren Schriftsatz oder ggf. in der mündlichen Verhandlung nachgeschoben werden. Dies ändert indessen nichts daran, daß die schlüssige Behauptung eines nach §§ 579, 580 ZPO erheblichen Wiederaufnahmegrundes zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage bzw. des Wiederaufnahmeantrags gehört (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 mit umfassenden Nachweisen).

Die Nichtigkeitsklage kann gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erhoben werden, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Im Streitfall hat die Klägerin nicht gerügt, daß die Besetzung des VI.Senats bei der Entscheidung nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG fehlerhaft gewesen sei. Sie hat vielmehr geltend gemacht, durch eine unterlassene Anrufung des Großen Senats des BFH ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden zu sein. Den damit behaupteten Wiederaufnahmegrund i.S. des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat die Klägerin nicht schlüssig vorgetragen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschluß vom 11. Mai 1965 2 BvR 259/63, BVerfGE 19, 38, 43) kann jemand auch durch Maßnahmen, Unterlassungen oder Entscheidungen des Gerichts seinem gesetzlichen Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) entzogen werden, wenn sie willkürlich, nicht aber schon, wenn sie nur rechtsirrtümlich sind; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Einhaltung durch § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sichergestellt werden soll, kann auch dadurch verletzt sein, daß der Senat eines obersten Bundesgerichts die Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat außer acht läßt, selbst wenn der Große Senat nur über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden hat (BVerfG, a.a.O.).

Mit der Behauptung eines Klägers oder Antragstellers, seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen worden zu sein, daß ein Senat des BFH entschieden habe, ohne vorher den Großen Senat anzurufen, ist ein Wiederaufnahmegrund i.S. des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aber nur dann schlüssig vorgetragen, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 oder 4 FGO und Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten des erkennenden Gerichts substantiiert dargelegt werden. Zur substantiierten Darlegung der Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FGO gehört die Bezeichnung des Rechtssatzes, von dem das erkennende Gericht abgewichen ist, sowie ein Vortrag über die Erheblichkeit der Rechtsfrage, derentwegen der Große Senat hätte angerufen werden sollen, für den Ausgang des konkreten Verfahrens. Denn es kann nicht bereits die pauschale Behauptung, der Große Senat habe angerufen werden müssen, die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage oder eines entsprechenden Antrags herbeiführen.

Die Voraussetzungen für die Anrufung des Großen Senats sind im Streitfall nicht schlüssig dargetan worden. Die Klägerin macht geltend, der VI.Senat habe entschieden, wissenschaftliche Arbeit in der Bundesrepublik sei Privatvergnügen und diese Rechtsauffassung weiche eindeutig ab von dem Beschluß des Großen Senats vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105). Darin hat der Große Senat entschieden, daß die Abziehbarkeit von Kfz-Unfallkosten, die einem Steuerpflichtigen bei einer Fahrt mit dem eigenen Pkw zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstanden sind, auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige bewußt und leichtfertig gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat. Er hat sich mit der Frage, ob wissenschaftliche Arbeit Privatvergnügen sei, nicht befaßt. Der Große Senat hat seine Entscheidung auf das Veranlassungsprinzip gestützt.

Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, daß das Urteil des FG und der dieses Urteil bestätigende Beschluß des VI.Senats gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG dem Veranlassungsprinzip widersprechen. Tatsächlich stehen beide Entscheidungen im Einklang mit der Rechtsprechung des Großen Senats und dem Veranlassungsprinzip. Denn die Annahme, Aufwendungen seien durch eine Einkunftsart veranlaßt, setzt auf jeden Fall eine auf die Erzielung von positiven Einkünften und mithin von Einnahmen gerichtete Tätigkeit voraus (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766, Abschn. C IV. 3. c aa 1). Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit war im Streitjahr nicht auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet. Ihre Versorgungsbezüge erhielt sie wie jeder Beamte oder Richter nach Eintritt in den Ruhestand unabhängig von irgendwelchen gegenwärtigen Gegenleistungen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 395

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