Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Aus der Abschnittsbesteuerung ergibt sich, daß das Finanzamt grundsätzlich befugt ist, bei jeder Veranlagung zur Anwendung der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG 1951/1952 (nunmehr § 34 b EStG 1955/1961) den jährlichen Hiebsatz (Nutzungssatz) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 3 S. 2, § 34b; AO § 204 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des für die Veranlagungszeiträume 1951 und 1952 bei der Berechnung der außerordentlichen Waldnutzungen (§ 34 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 1951/1952 - EStG -) zugrunde gelegten planmäßigen jährlichen Hiebsatzes.

Der jährliche Hiebsatz für den forstwirtschaftlichen Betrieb des Steuerpflichtigen betrug vor dem zweiten Weltkrieg 2,89 fm je ha. Infolge der Zwangseingriffe in den Waldbestand während des letzten Krieges und in der Besatzungszeit konnte nach diesem Betriebsplan nicht mehr gearbeitet werden. Der Steuerpflichtige ließ deshalb im Jahre 1949 durch das zuständige Forstamt den Hiebsatz neu festsetzen. Das Forstamt kam in einem Betriebsgutachten, das von Forstmeister H. erstellt wurde, zu dem Ergebnis, daß der Hiebsatz (Abnutzungssatz) auf 1,5 fm je ha, insgesamt auf 1.016 fm festzusetzen sei. Das Gutachten wurde dem Finanzamt mit Schreiben vom 13. April 1949 mitgeteilt. Von diesem Hiebsatz gingen das Finanzamt bei der Berechnung der außerordentlichen Waldnutzungen in den Veranlagungszeiträumen II/1948 bis 1950 und die Oberfinanzdirektion bei der überprüfung der Mehreinschläge auf Grund des sogenannten Long-Term-Plans für die Wirtschaftsjahre 1949/50 und 1950/51 in seiner Verfügung vom 28. November 1952 aus. In den Jahren 1954 und 1955 wurde - angeregt durch eine Anfang 1954 beim Steuerpflichtigen durchgeführte Betriebsprüfung - ein neues Betriebswerk, das auf den Waldzustand vom 1. Oktober 1954 abstellte, mit einem Hiebsatz von 2,71 fm je ha = 1.896 fm insgesamt erstellt. Der Steuerpflichtige erkannte diesen Hiebsatz vom Wirtschaftsjahr 1954/55 ab an.

Der Betriebsprüfer hielt bei der überprüfung der Besteuerung nach den Gewinnen der Wirtschaftsjahre 1948/49 bis 1952/53 den von der Verwaltung bisher zugrunde gelegten Hiebsatz von 1.016 fm nicht für vertretbar. In Anlehnung an ein Gutachten des forstwirtschaftlichen Sachverständigen der Oberfinanzdirektion schätzte er zunächst den Hiebsatz auf 3,5 fm o. R. je ha = 2.671 fm o. R. jährlich und nach Abgang eines Forstgutes auf 2.496 fm o. R. Im Zusatzbericht zum Betriebsprüfungsbericht vom 9. März 1956 schloß sich der Prüfer jedoch dem Hiebsatz des neu erstellten Betriebswerkes in Höhe von 1.896 fm, der inzwischen von der Oberfinanzdirektion in dieser Höhe anerkannt worden war, für die Prüfungszeiträume an. Auf Grund dieses Hiebsatzes ergaben sich für die Wirtschaftsjahre 1949/50 bis 1952/53 keine überhiebe aus wirtschaftlichen Gründen.

Die vom Finanzamt nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO berichtigten Steuerbescheide für die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1950 wurden im Rechtsmittelverfahren unter Zugrundelegung des früheren Hiebsatzes von 1.016 fm geändert, da das Finanzamt offenbar Zweifel an dem Vorliegen neuer Tatsachen hatte. Bei der Berichtigung der vorläufigen Veranlagung 1951 und der erstmaligen Veranlagung 1952 legte es jedoch den Hiebsatz von 1.896 fm zugrunde.

Der Steuerpflichtige ist der Auffassung, daß auch für diese Streitjahre 1951 und 1952 kein Anlaß bestehe, von dem Gutachten des Forstmeisters H. aus dem Jahre 1949 abzuweichen. Es sei bis zum Wirtschaftsjahr 1953/54 an diesem Hiebsatz festzuhalten. Er halte eine änderung des Hiebsatzes für die Streitjahre aus den Gründen von Treu und Glauben für unzulässig, da das Finanzamt und offenbar auch die Oberfinanzdirektion bisher immer von dem alten Hiebsatz von 1.016 fm ausgegangen seien und ihn nicht beanstandet hätten.

Der Einspruch hatte im Streitjahr keinen Erfolg. Das Finanzgericht gab dem Steuerpflichtigen jedoch im vollen Umfang recht. Es hielt eine Erhöhung des Hiebsatzes von 1.016 fm auf 1.896 fm für unzulässig. Es ging dabei von folgenden Erwägungen aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil VI 221/57 U vom 19. September 1958, BStBl 1958 III S. 425, Slg. Bd. 67 S. 396) habe zwar eine falsche Sachbehandlung durch das Finanzamt bei früheren Veranlagungen auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben keine verbindliche Wirkung für die Zukunft, selbst wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Richtigkeit der objektiv unrichtigen Entscheidungen disponiert haben sollte. Von diesem Grundsatz sei aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Steuerpflichtige mit dem Finanzamt in die Zukunft wirkende Absprachen getroffen habe (z. B. über die Gesamtnutzungsdauer eines Gegenstandes). ähnlich lägen die Verhältnisse im Streitfall. Der Hiebsatz und die nach forstwirtschaftlichen Grundsätzen nachhaltig zu erzielenden jährlichen regelmäßigen Nutzungen ließen sich nur auf Grund gesammelter praktischer Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Schätzung ermitteln, wobei auch die persönliche Ansicht des Waldbesitzers darüber, ob er eine kürzere oder längere Umtriebszeit für zweckmäßig halte, zu berücksichtigen sei. Auch hier erscheine angezeigt, eine Bindung des Finanzamts für die Zukunft zu bejahen, zumindest dann, wenn - wie im Streitfall - die Finanzverwaltung das Gutachten überprüft und nicht beanstandet habe. Diese Auffassung stehe auch im Einklang mit dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 41/28 vom 11. Juli 1928 (Steuer und Wirtschaft 1928 Nr. 571). In diesem Falle sei es darum gegangen, ob bei forstwirtschaftlich unzweckmäßigen Einsparungen in früheren Jahren überhiebe in späteren Jahren steuerlich begünstigt seien. Der Reichsfinanzhof habe das bejaht, obwohl es nach Auffassung des Finanzamts möglich gewesen wäre, den Hiebsatz mit rückwirkender Kraft zu erhöhen und damit die Vergünstigung zu versagen. Das habe der Reichsfinanzhof nicht getan. Daraus sei zu schließen, daß er eine Erhöhung des Hiebsatzes mit rückwirkender Kraft nicht für zulässig gehalten habe. Das müsse erst recht dann gelten, wenn die Verwaltung das ihr zustehende Recht zur überprüfung des Hiebsatzes ausgeübt und den Hiebsatz nicht beanstandet habe. Dem Steuerpflichtigen sei daher die beantragte Teilvergünstigung für die außerordentlichen Waldnutzungen zu gewähren.

In der Rb. vertritt der Vorsteher des Finanzamts die Ansicht, daß die Finanzämter jederzeit uneingeschränkt zur Nachprüfung der von den staatlichen Forstbehörden aufgestellten Betriebspläne verpflichtet seien (§ 204 AO). Hiervon gingen auch die EStR aus (EStR 1951 Abschn. 220 Abs. 1 Satz 5). Das Gutachten des Forstmeisters H. sei bis zur Durchführung der Veranlagungen II/1948 bis 1950 weder vom Finanzamt noch von der Oberfinanzdirektion überprüft und anerkannt worden. Der Steuerpflichtige habe das auch nicht annehmen können, da er die Verfügung der Oberfinanzdirektion nicht gekannt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Dem Finanzgericht kann darin nicht zugestimmt werden, daß eine Erhöhung des Hiebsatzes zur Errechnung der außerordentlichen Waldnutzungen für die Streitjahre aus rechtlichen Gründen nicht zulässig sei. Die Vorinstanz stützt sich zu Unrecht auf den im Urteil des Bundesfinanzhofs VI 221/57 U bezeichneten Ausnahmefall und auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 41/28. Als außerordentliche Waldnutzungen gelten ohne Unterschied der Betriebsart alle aus wirtschaftlichen Gründen gebotenen Nutzungen, die über die nach forstwirtschaftlichen Grundsätzen nachhaltig zu erzielenden jährlichen regelmäßigen Nutzungen hinausgehen (§ 34 Abs. 3 Satz 2 EStG). Ausgangspunkt für die Berechnungen der außerordentlichen Waldnutzungen ist bei einer ordnungsmäßigen Forstwirtschaft der übliche wirtschaftsplanmäßige Hiebsatz, der in einem Betriebsgutachten oder Betriebswerk festgesetzt wird. Der Hiebsatz stellt eine forstwirtschaftliche Größe dar, deren Ermittlung dem subjektiven Ermessen des Forstwirts einen gewissen Spielraum läßt (vgl. Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 7. Aufl. S. 1154 und 1164). Das schließt aber nicht aus, daß der normalerweise für einen Zeitraum von zehn Jahren festgestellte Hiebsatz bei Anwendung der Tarifvorschrift des § 34 Abs. 3 EStG jederzeit, wenn Anlaß dazu besteht, von den Finanzbehörden auf seine sachliche Richtigkeit durch Sachverständige überprüft werden darf. Das Finanzamt hat im Rahmen des § 204 Abs. 1 AO sogar die Pflicht, den Hiebsatz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, um eine gleichmäßige Besteuerung und damit eine gleichmäßige Gesetzesanwendung zu gewährleisten. Das ist um so notwendiger, als der von gewissen subjektiven Elementen beeinflußte Hiebsatz in objektiver Hinsicht der vollen jährlichen, regelmäßigen Ertragsfähigkeit des Waldes entsprechen soll (objektiver Hiebsatz). Da auch bei der Bemessung des ab Veranlagungszeitraum 1955 maßgeblichen Nutzungssatzes (§ 34 b Abs. 4 Ziff. 1 Satz 2 EStG 1955), der ein objektiver steuerlicher Begriff ist, auf die Berücksichtigung forstwirtschaftlicher Grundsätze nicht verzichtet werden kann (vgl. Blümich-Falk, a. a. O., S. 1164), ergibt sich praktisch kein wesentlicher Unterschied zwischen dem im Streitfall steuerlich maßgeblichen Hiebsatz und dem jetzigen Nutzungssatz. Ebensowenig steht einer überprüfung durch die Finanzbehörden die Tatsache entgegen, daß der Hiebsatz in der Regel von staatlichen Dienststellen (Forstämtern) festgesetzt wird.

Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen bei Nichteinhaltung der im Betriebsgutachten oder Betriebswerk niedergelegten Bewirtschaftungsgrundsätze neue Tatsachen (§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO) vorliegen, die eine rückwirkende Erhöhung des Hiebsatzes (Berichtigung der Veranlagungen) rechtfertigen können. Denn eine rückwirkende Erhöhung lag nicht vor; die Veranlagung 1951 war vorläufig und die Veranlagung 1952 wurde erstmals durchgeführt. Das Finanzamt hatte somit volle Beurteilungsfreiheit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob in den früheren rechtskräftigen Veranlagungen die Verwaltung (Finanzamt und Oberfinanzdirektion) den Hiebsatz mit Recht oder zu Unrecht der Besteuerung zugrunde legte und ob der Hiebsatz von der Oberfinanzdirektion im Zusammenhang mit den Long- Term-Mehreinschlägen überprüft worden war. Selbst wenn das geschehen wäre - was im Hinblick auf den Aktenvermerk der Oberfinanzdirektion vom 8. April 1957 zweifelhaft ist -, bestünde keine Bindung für die Zukunft an den in den früheren Veranlagungszeiträumen der Besteuerung zugrunde gelegten Hiebsatz von 1.016 fm; denn in der unbeanstandeten oder ungeprüften übernahme dieses Hiebsatzes durch das Finanzamt kann keine Absprache oder Zusage des Finanzamts mit dem Steuerpflichtigen bzw. an den Steuerpflichtigen gesehen werden. Es gilt auch hier der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung mit der Folge, daß für jeden Veranlagungszeitraum der Steuertatbestand des § 34 Abs. 3 EStG erneut zu überprüfen und festzustellen ist und das Finanzamt an eine in früheren, rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungen vertretene falsche Rechtsauffassung für die noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungszeiträume nicht gebunden ist (vgl. die das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 221/57 U bestätigenden Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 141/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 130, Slg. Bd. 72 S. 347, und VI 269/60 S vom 4. August 1961, BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813). Hinzu kommt, daß im Streitfall das Gutachten vom Jahre 1949 einen Vermerk über den Geltungszeitraum nicht enthält. Aber selbst wenn man eine Gültigkeit von normalerweise zehn Jahren annehmen wollte, kann das allein keine Bindung für diesen langen Zeitraum herbeiführen.

Aus dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 41/28 ergibt sich nichts anderes. Dieses vom Senat im Urteil IV 303/57 U vom 3. März 1960 (BStBl 1960 III S. 199, Slg. Bd. 70 S. 534) bestätigte Urteil des Reichsfinanzhofs befaßte sich lediglich mit der Frage, ob die Nachholung in früheren Jahren unterlassener Nutzungen zu außerordentlichen Waldnutzungen (§ 34 Abs. 3 EStG) führen kann. Es ergibt sich aus dieser Entscheidung nicht, daß der Reichsfinanzhof von einem unzutreffenden Hiebsatz ausgegangen war. Der Vorsteher des Finanzamts weist mit Recht darauf hin, daß hier die Höhe des Hiebsatzes von Anfang an in sachlicher Hinsicht bestritten wurde.

Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausging, ist aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses wird bei seiner erneuten Entscheidung von vorstehenden Grundsätzen auszugehen und zu prüfen haben, ob der vom Finanzamt bei der Berechnung der außerordentlichen Waldnutzungen in den Streitjahren zugrunde gelegte Hiebsatz von 1.896 fm sachlich gerechtfertigt ist. Wenn eine jetzige Feststellung des Waldzustandes für die weit zurückliegende Zeit auf praktische Schwierigkeiten stößt, hat der Senat keine Bedenken, wenn sich das Finanzgericht an das im Jahre 1954 erstellte Betriebswerk anlehnt und den Hiebsatz notfalls schätzt. Das Finanzgericht wird auch zu den Beweisangeboten des Steuerpflichtigen, den Forstmeister H. und den Oberförster zu hören, Stellung nehmen müssen. Am zweckmäßigsten ist die Klärung der verbleibenden Streitpunkte im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

 

Fundstellen

BStBl III 1964, 322

BFHE 1964, 250

BFHE 79, 250

StRK, EStG:34/3 R 20

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