Leitsatz (amtlich)

Bei Unternehmen mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr tritt in dem Jahr des Geschäftsbeginns an die Stelle des abweichenden Abschlußzeitpunkts der Tag des Betriebsbeginns. Dies gilt auch dann, wenn das erste Jahr ein Rumpfwirtschaftsjahr ist und vor dem Feststellungszeitpunkt noch kein Abschlußzeitpunkt liegt.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 23; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 63

 

Tatbestand

Die Fabrikanten A und B gründeten durch Gesellschaftsvertrag vom 5. Februar 1964 mit Wirkung zum 1. Februar 1964 eine OHG. Die Gesellschafter bestimmten, daß das Geschäftsjahr jeweils vom 1. Februar bis 31. Januar des folgenden Jahres laufen solle. In der Eröffnungsbilanz wies die OHG ein Eigenkapital von 1 Mio DM aus.

Durch Vertrag vom 8. April 1964 wurde die OHG in eine KG umgewandelt. Persönlich haftender Gesellschafter dieser KG wurde eine GmbH, deren Gesellschafter die bisherigen Gesellschafter der OHG sind; letztere verblieben in der KG als Kommanditisten. Die KG behielt das Geschäftsjahr 1. Februar bis 31. Januar bei.

Das FA (Beklagter und Revisionskläger) stellte den Einheitswert für das Betriebsvermögen der Klägerin zum 1. Januar 1965 durch Schätzung fest. Es ging dabei von dem zum Abschlußzeitpunkt 31. Januar 1965 ausgewiesenen Vermögen aus. Von der Vermögensmehrung seit dem 8. April 1964 rechnete es dem Anfangsvermögen 11/12 hinzu und stellte zum 1. Januar 1965 den Einheitswert für das Betriebsvermögen in Höhe von 2 073 000 DM fest.

Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Bewertung nach den Verhältnissen des abweichenden Abschlußzeitpunkts 1. Februar 1964 begehrte, war erfolglos.

Auf die Klage ermittelte das FG den Einheitswert für das Betriebsvermögen der Klägerin zum 1. Januar 1965 nach den Verhältnissen vom 8. April 1964 mit 1 220 000 DM.

Die Revision des FA rügt, das FG habe § 63 Abs. 3 BewG unrichtig angewendet. Zwar treffe es zu, daß Sinn und Zweck dieser Vorschrift eine Vereinfachungsmaßnahme zugunsten buchführender Betriebe mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr sei. Da § 63 Abs. 3 BewG Ausnahmecharakter habe, sei es aber nicht gestattet, ihn über seinen Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen. Im Falle der Gründung eines Unternehmens mit abweichendem Wirtschaftsjahr sei dem der Gründung folgenden Feststellungszeitpunkt noch kein Abschlußzeitpunkt vorhergegangen, wenn die Gründung nicht auf den Beginn des vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres erfolge. Lediglich bei einer Gründung auf den Beginn des abweichenden Wirtschaftsjahres könne davon ausgegangen werden, daß der Tag der Eröffnungsbilanz dem Abschlußzeitpunkt gleichgestellt werden könne, weil der Schluß eines Wirtschaftsjahres immer zugleich der Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres sei. Erfolge die Gründung jedoch, wie bei der Klägerin, nicht auf den Beginn des vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres, dann sei begrifflich ein vor dem Feststellungszeitpunkt liegender Abschlußzeitpunkt nicht vorhanden, so daß das Vermögen vom Feststellungszeitpunkt maßgebend sei. Hinzu komme, daß die Klägerin überhaupt keine Eröffnungsbilanz aufgestellt habe; denn sie habe die Geschäfte und das Vermögen ihrer Vorgängerin ohne Zäsur fortgeführt.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht der Feststellung des Einheitswerts für das Betriebsvermögen der Klägerin zum 1. Januar 1965 die Verhältnisse vom 8. April 1964 zugrunde gelegt.

a) Die Klägerin ist am 8. April 1964 im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 BewG neu gegründet worden. Der Senat hat mit dem Urteil III 2/65 vom 26. April 1968 (BFH 92, 450, BStBl II 1968, 602) entschieden, daß eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse an einer Personengesellschaft, durch die die personelle Zusammensetzung entscheidend geändert wird und die sich auf den Umfang und den Aufbau des Unternehmens auswirkt, zu einer Nachfeststellung führt. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Umwandlung einer OHG in eine KG unter Hereinnahme einer GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin zu einer derartigen entscheidenden Änderung führt. Denn die GmbH & Co. KG ist ihrer rechtlichen Struktur nach zwar eine Personengesellschaft, sie ist jedoch den Kapitalgesellschaften stark angenähert (Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE 24, 174 [182] -). Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschafter der Komplementärs-GmbH die bisherigen Gesellschafter der OHG sind, die in der KG als Kommanditisten verbleiben. Denn die GmbH ist eine selbständige Rechtspersönlichkeit (§ 13 GmbHG), die nicht mit ihren Gesellschaftern identifiziert werden kann und auch grundsätzlich einen Durchgriff auf die Verhältnisse ihrer Gesellschafter nicht zuläßt (BVerfGE 13, 331 [351]).

b) Nach § 63 Abs. 3 BewG kann auf Antrag zugelassen werden, daß bei Betrieben, die regelmäßig jährliche Abschlüsse auf einen anderen Tag als den Schluß des Kalenderjahres machen, anstelle der Verhältnisse vom Feststellungszeitpunkt die Verhältnisse des vom Ende des Kalenderjahres abweichenden Abschlußtages der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zugrunde gelegt werden. Der Senat stimmt dem FG darin zu, daß die Klägerin konkludent einen dahin gehenden Antrag gestellt hat. Dieser Antrag liegt darin, daß sie für die Feststellung des Einheitswerts zum 1. Januar 1965 eine Vermögensaufstellung nach den Verhältnissen des Tags der Gründung des Unternehmens einreichte und auf den vom Ende des Kalenderjahres abweichenden Abschlußzeitpunkt hinwies. Aufgrund des Wirtschaftsjahres der Klägerin vom 1. Februar bis 31. Januar wären damit für die Feststellung des Einheitswerts zum 1. Januar 1965 die Verhältnisse vom 31. Januar 1964 maßgebend. Zu diesem Tag hat die Klägerin jedoch einen Abschluß nicht durchgeführt und konnte ihn auch nicht durchführen, weil sie noch nicht existent war. Bei einer rein am Wortlaut ausgerichteten Auslegung des § 63 BewG könnte damit dessen Abs. 3 nicht angewendet werden; die Feststellung des Einheitswerts müßte entsprechend der Rechtsauffassung des FA nach den Verhältnissen vom Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1965 durchgeführt werden (§ 63 Abs. 1 BewG), denn auch § 63 Abs. 2 BewG wäre nicht anwendbar.

Für die Auslegung von Gesetzen ist indessen nicht allein der Wortlaut maßgebend, sondern der in der jeweiligen Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschrift hineingestellt ist (BVerfGE 1, 299 [312]. Bei der Auslegung steuerlicher Vorschriften sind auch der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 2 StAnpG).

Sinn und Zweck der Vorschrift des § 63 Abs. 3 BewG bestehen darin, buchführenden Betrieben mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr einen Zwischenabschluß auf den Beginn des 1. Januar eines Jahres zu ersparen, aus dem die Vermögensaufstellung für die Einheitswerte des Betriebsvermögens zum Feststellungszeitpunkt abgeleitet werden könnte. Aus diesem Grund läßt es das Gesetz zu, daß solche Betriebe auf Antrag die Verhältnisse des vor dem jeweiligen Feststellungszeitpunkt liegenden abweichenden Abschlußzeitpunkts ihrer Vermögensaufstellung zugrunde legen können. Ein neu gegründetes Unternehmen mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr kann nun für den ersten Feststellungszeitpunkt, zu dem regelmäßig eine Nachfeststellung für sein Betriebsvermögen durchzuführen ist, noch keinen Abschluß vorlegen. Trotzdem ist in § 23 Abs. 2 Satz 3 BewG ausdrücklich vorgeschrieben, daß § 63 BewG unberührt bleibt, so daß auch für die der Nachfeststellung zugrunde zu legenden Verhältnisse ein anderer Zeitpunkt als der Beginn eines Kalenderjahres in Betracht kommen kann. Diese Ausnahme bezieht sich nicht nur auf Nachfeststellungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 BewG, die dadurch veranlaßt sind, daß ein schon bestehendes Unternehmen in die Steuerpflicht eintritt, sondern auch auf die Fälle der Neugründung der Nr. 1. Wenn aber für die Nachfeststellung von den Verhältnissen eines vom Kalenderjahr abweichenden Abschlußzeitpunkts ausgegangen werden kann, obwohl feststeht, daß zumindest in den Fällen der Nachfeststellung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BewG ein solcher Abschluß vor dem Nachfeststellungszeitpunkt regelmäßig nicht vorliegen kann, so muß § 63 Abs. 3 BewG dahin verstanden werden, daß bei neu gegründeten Unternehmen mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr für die Nachfeststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens an die Stelle der Verhältnisse des Abschlußzeitpunkts grundsätzlich die Verhältnisse vom Tag des Betriebsbeginns maßgebend sind. Dies gilt nicht nur, wie das FA meint, wenn der Tag des Geschäftsbeginns mit dem Tag zusammenfällt, zu dem in Zukunft regelmäßig jährlich Abschlüsse erstellt werden sollen, sondern nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch dann, wenn das erste Wirtschaftsjahr ein Rumpfwirtschaftsjahr ist, das erst nach dem vom Kalenderjahr abweichenden regelmäßigen Zeitpunkt des Jahresabschlusses beginnt und der erste Abschlußzeitpunkt nach dem Nachfeststellungszeitpunkt liegt (so auch Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., § 106 BewG 1965 Anm. 3; Steinhardt, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 106 BewG 1965 Anm. 4). Der Senat vermag dem FA nicht darin zuzustimmen, daß § 63 Abs. 3 BewG wegen seines Ausnahmecharakters eng auszulegen sei. Einen allgemeinen Rechtssatz dieses Inhalts gibt es nicht. Bei mehreren möglichen Auslegungen des Gesetzeswortlauts ist vielmehr derjenigen der Vorzug zu geben, die dem im Wortlaut des Gesetzes unter Berücksichtigung seines Sinnzusammenhangs ausgedrückten Zweck entspricht (BFH-Entscheidung II 56/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 255, BStBl II 1970, 597).

Die Tatsache, daß die Klägerin des vorliegenden Verfahrens zu Beginn ihrer Tätigkeit keine Bilanz erstellte, sondern die Bücher ihrer Vorgängerin ohne Zwischenbilanz fortführte, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Damit wird zwar in dem konkreten Einzelfall der Vereinfachungseffekt, den der Gesetzgeber anstrebte, nicht erzielt. Das kann jedoch nicht dazu führen, daß die mit dem typischen Geschehensablauf motivierte gesetzliche Regelung in ihrem Inhalt verändert würde, nur weil in einem atypischen Einzelfall der mit der Regelung beabsichtigte Erfolg nicht erreicht wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69431

BStBl II 1971, 388

BFHE 1971, 544

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