Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschränkte Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung eines Stadtverordneten

 

Leitsatz (redaktionell)

Die einem Stadtverordneten gewährte Aufwandsentschädigung ist nur in Höhe der ihm im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit erwachsenen Unkosten steuerfrei. Die unterschiedliche Behandlung der Mitglieder des Deutschen Bundestages und der Mitglieder der Landtage einerseits und der Mitglieder kommunaler Parlamente andererseits (auch soweit Letztere ihre Unkosten nachweisen müssen) stellt sich im Rahmen des § 3 Nr. 12 EStG nicht als Verletzung des Gleichheitssatzes dar.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 12; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 26.10.1977; Aktenzeichen II 129/76)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 26.11.1982; Aktenzeichen 1 BvR 989/82)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt im Streitjahr 1974 für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Stadtverordneter als „Aufwandsentschädigung” bezeichnete Zahlungen in Höhe von insgesamt X DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ließ im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für das Streitjahr gemäß dem Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 1.Dezember 1969 S 2337 A-1 II A 23 (Steuererlasse in Karteiform –StEK–, Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, § 4, Nr.122) einen Teilbetrag von Y DM steuerfrei. Die restlichen Z DM unterwarf er gemäß § 2 Abs.3 Nr.7 und § 3 Nr.12 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 der Einkommensteuer. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger auch die Steuerfreiheit der restlichen Z DM begehrte, hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1978, 85 veröffentlicht worden ist, hat im wesentlichen ausgeführt: Die Steuerfreiheit der gesamten an den Kläger gezahlten Aufwandsentschädigungen könne –entgegen der Auffassung des Klägers– nicht durch eine „verfassungskonforme” Auslegung des § 3 Nr.12 Satz 2 EStG i.S. des Satzes 1 dieser Vorschrift erreicht werden. § 3 Nr.12 Satz 1 EStG sei eine eng begrenzte Ausnahmeregelung, die nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgelegt werden dürfe. Wenn § 3 Nr.12 Satz 2 EStG wegen Verstoßes gegen Art.3 Abs.1 und Art.28 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig wäre, würde es an einer Vorschrift fehlen, auf die die Steuerfreiheit der gesamten Aufwandsentschädigung gestützt werden könnte. Im Rahmen der Anwendung des § 3 Nr.12 Satz 2 EStG gäbe es weder eine Beweislastregel noch eine Vermutung dafür, daß „Aufwandsentschädigungen” aus öffentlichen Kassen nur zur Abgeltung von steuerrechtlich anzuerkennenden Aufwendungen bestimmt seien. Höhere Aufwendungen als Y DM habe der Kläger nicht nachgewiesen. Er habe auch von dem Angebot, für das Kalenderjahr 1977 höhere Aufwendungen nachzuweisen, keinen Gebrauch gemacht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art.3 Abs.1 GG), die Verletzung des Art.28 GG, die fehlerhafte Anwendung des § 3 Nr.12 Satz 2 EStG sowie eine Verletzung der §§ 76, 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und des rechtlichen Gehörs. Ferner regt er eine Vorlage gemäß Art.100 Abs.1 GG an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an.

Der Kläger beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1974 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend abzuändern, daß keine höhere Einkommensteuer als … DM festgesetzt wird,

hilfsweise,

im Fall der Zurückverweisung den Rechtsstreit an einen anderen Senat des Hessischen FG zu verweisen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Das FG hat zutreffend von dem dem Kläger als „Aufwandsentschädigung” gewährten Gesamtbetrag nur Y DM gemäß § 3 Nr.12 Satz 2 EStG steuerfrei belassen. Nach der bezeichneten Vorschrift sind Bezüge, die nicht unter Satz 1 der Regelung fallen und die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, steuerfrei, soweit nicht festgestellt wird, daß sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand offenbar übersteigen, der dem Empfänger erwächst. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Beträge steuerfrei, die aus einer Bundeskasse oder Landeskasse gezahlt werden und die in einem Bundesgesetz oder Landesgesetz oder einer auf bundesgesetzlicher oder landesgesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung oder von der Bundesregierung oder einer Landesregierung als Aufwandsentschädigung festgestellt und als solche im Haushaltsplan ausgewiesen sind.

1. Der Senat hat gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr.12 Satz 2 EStG keine Bedenken. Die unterschiedliche Behandlung der Mitglieder des Deutschen Bundestages und der Mitglieder der Landtage einerseits und der Mitglieder kommunaler Parlamente andererseits stellt sich im Rahmen des § 3 Nr.12 EStG nicht als Verletzung des Gleichheitssatzes dar, weil sie –wie sich aus dem Folgenden ergibt– sachlich gerechtfertigt ist.

Die jetzige Fassung des § 3 Nr.12 EStG ist durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26.Juli 1957 (BGBl I 1957, 848, BStBl I 1957, 352) eingeführt worden. Vorher galt als § 3 Nr.11 EStG a.F. folgende Regelung: „Steuerfrei sind die aus öffentlichen Kassen gezahlten Aufwandsentschädigungen und Reisekosten. Dagegen sind Entschädigungen, die für Verdienstausfall und Zeitverlust gezahlt werden, steuerpflichtig.” Unter der Herrschaft dieser Vorschrift lag sowohl bei Bundestags- und Landtagsabgeordneten als auch bei Abgeordneten kommunaler Parlamente eine Aufwandsentschädigung insofern nicht vor, als dem Empfänger ein Aufwand nicht oder offenbar nicht in Höhe der gewährten Entschädigung erwachsen war. Die FÄ hatten in allen Fällen das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob die Beträge, die aus öffentlichen Kassen als Dienstaufwandsentschädigung gezahlt wurden, tatsächlich zur Bestreitung von Aufwand, der durch den Dienst veranlaßt wurde, erforderlich waren (vgl. Abschn.17 Abs.1 der Lohnsteuer- Richtlinien –LStR– 1955). Im Rahmen der Beratungen des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26.Juli 1957 kam der Gesetzgeber zu der Auffassung, daß es eine nicht vertretbare Verschiebung der Maßstäbe bedeuten würde, wenn ein FA z.B. die Aufwandsentschädigungen des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers auf ihre Berechtigung nachprüfen könnte (vgl. Görbing, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1957 S.243 –DStZ A 1957, 243–). Aus diesem Grund ist ganz allgemein für diejenigen Fälle eine Nachprüfungsmöglichkeit durch das FA abgeschafft worden, in denen Bezüge aus einer Bundeskasse oder Landeskasse gezahlt werden, die in einem Bundesgesetz oder Landesgesetz usw. als Aufwandsentschädigung festgesetzt und als solche im Haushaltsplan ausgewiesen worden sind. Bei Aufwandsentschädigungen, die so strengen Erfordernissen hinsichtlich der Festsetzung genügen und die zudem hinsichtlich ihrer Berechtigung der Nachprüfung durch die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder unterliegen, erschien es dem Gesetzgeber nicht angebracht, das Recht jedes einzelnen FA, solche Aufwandsentschädigungen hinsichtlich ihrer Berechtigung nachzuprüfen, weiter aufrechtzuerhalten (Görbing, a.a.O.).

Diese Entstehungsgeschichte des § 3 Nr.12 EStG zeigt, daß der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Vorschrift nicht beabsichtigte, an der bis dahin geltenden Rechtslage materiell etwas zu ändern. Nach wie vor sollten sowohl bei Bundestags- und Landtagsabgeordneten einerseits als auch bei Abgeordneten kommunaler Parlamente andererseits nur solche Entschädigungen steuerfrei bleiben, die dazu dienen, den durch das Abgeordnetenmandat entstehenden Aufwand abzudecken.

Geht man hiervon aus, dann besteht ein Unterschied zwischen der Regelung in § 3 Nr.12 Satz 1 und 2 EStG lediglich in formeller Hinsicht, nämlich darin, daß die Abgeordneten kommunaler Parlamente anders als die des Bundestages und der Landtage ihre tatsächlichen Aufwendungen nachweisen müssen. Diese rein formelle unterschiedliche Behandlung hält sich nach Auffassung des Senats im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Spielraums. Dafür spricht allein schon die Tatsache, daß bei der Vielzahl der kommunalen Parlamente und dem unterschiedlichen Umfang sowie der unterschiedlichen Art ihrer Aufgaben sich keine allgemeingültige Aussage über die Höhe der Aufwendungen der einzelnen Abgeordneten mit solcher Absolutheit treffen läßt, wie dies bei Bundestags- oder Landtagsabgeordneten durch die überschaubare Zahl der hier Betroffenen möglich erscheint. Hinzu kommt, daß die Bestimmungen, durch die die Höhe der Aufwandsentschädigungen für Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage einerseits und der kommunalen Parlamente andererseits festgelegt werden, unterschiedliche Qualität haben. Der Kläger weist selbst darauf hin, daß die Satzungsbeschlüsse der kommunalen Parlamente über die Höhe der Aufwandsentschädigungen an ihre Mitglieder anders als die Gesetze, durch die die Aufwandsentschädigungen von Bundestags- und Landtagsabgeordneten festgesetzt werden, einer staatlichen Aufsicht, nämlich der Kommunalaufsicht unterliegen. Ein Beschluß eines parlamentarischen Gremiums, das der Aufsicht einer Verwaltungsbehörde unterliegt, kann nach Auffassung des Senats –unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Dreiteilung der Gewalten– aber nicht den gleichen normenrechtlichen Rang haben wie Parlamentsbeschlüsse, die keiner Aufsicht durch eine Verwaltungsbehörde unterliegen.

2. Unterstellt man, daß durch die in § 3 Nr.12 Satz 1 EStG erwähnten, im Streitjahr geltenden Gesetze für Bundestags- und Landtagsabgeordnete Beträge als Aufwandsentschädigungen festgesetzt worden wären, die den Aufwand der einzelnen Abgeordneten überstiegen hätten, dann könnte dadurch in Verbindung mit den Regelungen in § 3 Nr.12 EStG insofern ein verfassungswidriger Zustand entstanden sein, als damit bei Bundestags- und Landtagsabgeordneten –anders als bei den Abgeordneten kommunaler Parlamente– auch Entschädigungen für Zeitaufwand und Verdienstausfall steuerfrei geblieben sind. Der Senat läßt es dahingestellt, ob sachliche Unterschiede vorhanden sind, die eine solche verschiedenartige Behandlung rechtfertigen könnten; denn selbst wenn solche sachlichen Unterschiede nicht vorhanden wären, könnte der Kläger sein Ziel, entsprechend der Regelung des § 3 Nr.12 Satz 1 EStG behandelt zu werden, nicht erreichen.

Wenn die beiden unterschiedlichen Regelungen in § 3 Nr.12 EStG im Jahre 1974 zu verfassungsrechtlich unvereinbaren Ergebnissen geführt hätten, dann hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt, entweder die für die Abgeordneten der kommunalen Parlamente geltenden Regelungen an die für Bundestags- und Landtagsabgeordnete geltenden anzupassen oder umgekehrt zu verfahren. Mit anderen Worten, der Gesetzgeber hätte auch bei Abgeordneten kommunaler Parlamente Entschädigungen für Zeitaufwand steuerfrei stellen können oder aber er hätte die für Bundestags- und Landtagsabgeordnete geltenden Vorschriften dahingehend ändern können, daß auch hier nur noch Entschädigungen für tatsächlich entstandene Aufwendungen steuerfrei sind. Die streitige Entschädigung, die der Kläger für seine Tätigkeit als Abgeordneter eines kommunalen Parlaments erhalten hat, könnte nur nach § 3 Nr.12 Satz 1 EStG behandelt werden, wenn sich der Gesetzgeber für die zuerst genannte Möglichkeit entschieden hätte. Das jedoch ist nicht der Fall. Vielmehr ist im Hinblick auf das BVerfG-Urteil vom 5.November 1975 2 BvR 193/74 (BVerfGE 40, 296) der Anwendungsbereich des § 3 Nr.12 Satz 1 EStG für Mitglieder des Deutschen Bundestages durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestags vom 18.Februar 1977 (BGBl I 1977, 297) dahingehend konkretisiert worden, daß nur noch die sog. Amtsausstattung (§ 12 Abs.1 des Gesetzes vom 18.Februar 1977) steuerfrei ist. Bei ihr handelt es sich um den Ersatz von tatsächlich entstandenen Aufwendungen, denn die Amtsausstattung besteht nur

a) in der Zahlung einer Kostenpauschale für die Unterhaltung eines Büros außerhalb des Sitzes des Bundestags, Büromaterial, Porto, Telefon außerhalb des Sitzes des Bundestags, Wahlkreisbetreuung, Mehraufwendungen am Sitze des Bundestags und bei Reisen mit Ausnahme von Auslandsdienstreisen und Kosten für Fahrten in Ausübung des Mandats innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, b) in dem Ersatz von Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern und

c) in der Bereitstellung eines eingerichteten Büros am Sitz des Bundestags.

Eine ähnliche Regelung ist für die Abgeordneten des Hessischen Landtags durch das Hessische Abgeordnetengesetz vom 2.Mai 1978 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, 1978 S.255) eingeführt worden. Auch andere Länder haben entsprechende gesetzliche Regelungen erlassen.

Diese detaillierten Regelungen sind getroffen worden, um zu verhindern, daß in der an die Mitglieder des Deutschen Bundestags bzw. der Landtage gezahlten, als Aufwandsentschädigungen steuerfrei zu belassenden Amtsausstattung (in Hessen: Amtsaufwandsentschädigung) Beträge enthalten sind, die sich als Ersatz für Verdienstausfall und Zeitverlust darstellen oder den bezeichneten Aufwand offenbar übersteigen.

3. Es kann dahinstehen, ob die in § 3 Nr.12 Satz 2 EStG enthaltene Formulierung „soweit nicht festgestellt wird” als Beweislastregelung zu verstehen ist oder nicht. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann dem Kläger ohne seine Mitwirkung kein höherer Betrag als die anerkannten Y DM steuerfrei belassen werden; denn das FA hat ohne Mitwirkung des Klägers keine Möglichkeit festzustellen, ob dem Kläger ein Y DM übersteigender Aufwand entstanden ist. Der Kläger hat trotz Aufforderung eine solche Mitwirkung verweigert.

4. Die Rüge des Klägers, die Verwertung eines Zeitungsberichts in der angefochtenen Entscheidung verstoße gegen §§ 76, 96 FGO und das Gebot des rechtlichen Gehörs, weil das FG dem Kläger keine Gelegenheit gegeben habe, zu dem Zeitungsbericht Stellung zu nehmen und den Verfasser des Berichts nicht vernommen habe, ist schon deshalb nicht begründet, weil das FG einen Vorbescheid erlassen und der Kläger hiergegen keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hatte. Hätte er dies getan, so hätte er vor dem FG zu dem Bericht Stellung nehmen und die Vernehmung des Berichtsverfassers als Zeugen beantragen können. Er hat dies nicht getan, obgleich er in der dem Vorbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung hingewiesen worden ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1875062

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