Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Finanzgerichtliche Kostenentscheidungen sind nur dann selbständig mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt war.

 

Normenkette

AO §§ 232, 231; GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 145/1

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Lehrer an einer Volksschule. Im Jahre 1954 erwarb er ein gebrauchtes Tonbandgerät mit 15 gebrauchten Tonbändern zum Preis von insgesamt 820 DM. Diese Aufwendungen machte er neben anderem im Lohnsteuerverfahren als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, weil das angeschaffte Gerät für einen Lehrer zur Sicherung und Erhaltung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht erforderlich sei.

Die vom Bf. mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung hatte insofern Erfolg, als das Finanzgericht die Aufwendungen für das Tonbandgerät dem Grunde nach als abzugsfähig anerkannte. Im Hinblick auf die dreijährige Nutzungsdauer des Geräts ließ es jedoch für 1954 nur ein Drittel des geltend gemachten Betrags zum Abzug zu und setzte den Jahresfreibetrag dementsprechend fest. Die Kosten der Berufung erlegte das Finanzgericht dem Bf. zu zwei Drittel und dem Land zu einem Drittel auf.

Mit der vom Finanzgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich der Bf. nicht gegen die Höhe des vom Finanzgericht festgesetzten Lohnsteuerjahresfreibetrags. Sie richtet sich lediglich gegen die Kostenentscheidung. Er macht geltend, daß er die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen nicht in vollem Umfange für das Jahr 1954 beantragt habe. Aus dem Nachsatz zu seinem Schriftsatz vom 5. Juli 1955 ergebe sich deutlich, daß auch er bei der Bemessung des Freibetrags von einer dreijährigen Nutzungsdauer ausgegangen sei. Das Finanzgericht habe dies übersehen. Es seien daher dem Lande die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht zulässig.

Die Rb. richtet sich nicht gegen die Höhe des Lohnsteuerfreibetrags, sondern gegen einen Teil der Kostenentscheidung. In dieser Einschränkung auf einen Nebenpunkt der angefochtenen Entscheidung kann sie nicht als zulässig erachtet werden.

In der Reichsabgabenordnung (AO) fehlt es an einer Regelung, wie sie für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten in § 99 der Zivilprozeßordnung vorgesehen ist. Nach dieser Vorschrift ist die Anfechtung der Entscheidung über den Kostenpunkt bei nicht gleichzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung in der Hauptsache unzulässig. Der gleiche Rechtsgedanke findet sich in der Bestimmung des § 232 AO, nach der eine "Beschwer" nur dann gegeben ist, wenn sich das Rechtsmittel gegen die Höhe der festgesetzten Steuer oder gegen die Bejahung der Steuerpflicht richtet. § 232 AO gestattet daher die Einlegung eines Rechtsmittels nur wegen des streitigen Steueranspruchs selbst (bzw. im Fall der Freistellung wegen der Höhe einer daraus folgenden etwaigen zukünftigen steuerlichen Beschwer); er schließt daher die selbständige Anfechtung in anderen Punkten, also auch im Kostenpunkt aus. Dementsprechend hat der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die Zulässigkeit des Rechtsweges gegen Kostenentscheidungen nur in den Fällen anerkannt, in denen nach Erledigung der Hauptsache noch eine Kostenentscheidung getroffen werden muß, die eine Prüfung der Rechtslage in der Sache selbst erfordert (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs II A 92/20 vom 21. Mai 1920, Slg. Bd. 3 S. 38, und II A 350/25 vom 14. Juli 1925, Slg. Bd. 17 S. 44). Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist bisher nur zur Frage der selbständigen Anfechtbarkeit einer Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache ergangen (vgl. Urteil IV 554/53 U vom 28. Januar 1954, Slg. Bd. 58 S. 470, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 90). Die Rechtsprechung des II. Senats zur Frage der selbständigen Anfechtbarkeit von Streitwertfeststellungen und Kostenfestsetzungen trifft den vorliegenden Fall nicht unmittelbar (vgl. Urteile II 218/53 S vom 17. Februar 1954, Slg. Bd. 58 S. 540, BStBl 1954 III S. 117, und II 190/54 S vom 30. März 1955, Slg. Bd. 60 S. 415, BStBl 1955 III S. 158). Dabei ist zu bemerken, daß der erkennende Senat den in diesen Entscheidungen entwickelten, auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und auf dem sogenannten einheitlichen Aufbau des Instanzenzugs aufgebauten Grundsätzen nicht zu folgen vermag. Er würde, wozu der vorliegende Fall allerdings keine Handhabe bietet, gegebenenfalls die Entscheidung des Großen Senats herbeiführen. Der Senat hält vielmehr an dem die selbständige Anfechtbarkeit finanzgerichtlicher Kostenentscheidungen ausschließenden Standpunkt auch unter der Herrschaft des GG aus folgenden Gründen fest:

Art. 19 Abs. 4 GG spricht nicht für die Zulässigkeit der selbständigen Anfechtbarkeit, da die Kostenentscheidung eines mit allen verfassungsmäßigen Sicherungen ausgestatteten Gerichts nicht als ein Akt der "öffentlichen Gewalt" im Sinne der genannten Vorschrift des GG anzusehen ist. Die Auslegung des hier verwendeten Begriffs "öffentliche Gewalt" bietet zwar gewisse Schwierigkeiten. Daß grundsätzlich die Verwaltung Träger der öffentlichen Gewalt in diesem Sinne ist, dürfte unzweifelhaft sein. Fraglich ist es dagegen, ob hierunter auch die beiden anderen Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt, Gesetzgebung und Rechtsprechung, zu verstehen sind. Im Schrifttum wird hierzu überwiegend und nach der Auffassung des Senats mit Recht die Meinung vertreten, daß von diesen beiden Trägern der öffentlichen Gewalt die Rechtsprechung jedenfalls nicht in Betracht kommt. Art. 19 Abs. 4 GG hat sicherlich nicht die Rechtsprechung gegen die Rechtsprechung mobilisieren wollen. Der mit Art. 19 Abs. 4 GG verfolgte Rechtszweck ist vielmehr auf einen lückenlosen gerichtlichen Schutz als solchen gerichtet. Diese Vorschrift garantiert nicht etwa zusätzliche gerichtliche Instanzen (Urteile des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 9/51, BvL 2/53 vom 21. Oktober 1954, Neue Juristische Wochenschrift 1955 S. 17 (18) unter Ziff. 4 a; Urteil des Bundesfinanzhofs V z 75/54 S vom 25. November 1954, Slg. Bd. 60 S. 173, BStBl 1955 III S. 66; auch Kommentar zum Bonner Grundgesetz - Bonner Kommentar - Anmerkung II 4 e d zu Art. 19; von Mangoldt, Bonner Grundgesetz, Anmerkung 6 zu Art. 19; Friesenhahn in "Deutsche Verwaltung" 1949 S. 481 Ziff. II 2 c). Ob Kostenentscheidungen des Steuerausschusses des Finanzamts oder der Oberfinanzdirektion im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren als echte Akte der öffentlichen Gewalt anzusehen sind, gegen die der erweiterte Rechtsmittelweg nach Art. 19 Abs. 4 GG gegeben ist, weil in diesen Fällen nicht unabhängige Gerichte gesprochen haben, bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Kein Zweifel aber besteht daran, daß die Kostenentscheidung in einem finanzgerichtlichen Urteil ein Akt der Rechtsprechung ist. Hier hat ein mit allen verfassungsmäßigen Sicherungen ausgestattetes unabhängiges Gericht gesprochen, das nicht Träger der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG ist (vgl. Bonner Kommentar a. a. O.).

Hinzu kommt, daß die Kostenentscheidung ein mit der eigentlichen Sachentscheidung eng zusammenhängender Bestandteil des richterlichen Spruchs ist. Hierfür spricht insbesondere § 318 Abs. 1 Satz 2 AO, der bestimmt, daß die Entscheidung zu ergänzen ist, wenn der Ausspruch im Kostenpunkt unterblieben ist. Ferner läßt § 307 Abs. 3 AO erkennen, daß es sich bei der Kostenentscheidung auch der Art nach um einen Akt der Rechtsprechung handelt. Im Gegensatz hierzu ist der Wert des Streitgegenstandes lediglich festzustellen. Dieser Wert stellt eine unabhängig von der Sachentscheidung nach freiem Ermessen (ß 320 Abs. 4 AO), meist rein rechnerisch (Unterschiedsbetrag zwischen den Anträgen der Beteiligten) zu ermittelnde Größe dar.

Ebensowenig kann aber das im Urteil des Bundesfinanzhofs II 190/54 S vom 30. März 1955, Slg. Bd. 60 S. 415, BStBl 1955 III S. 158, hervorgehobene Argument des einheitlichen Aufbaus des Instanzenzuges zu einer Ausdehnung des Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG führen. Denn wie schon unter 1 dargelegt, widerspricht es nicht rechtsstaatlichem Denken, wenn nicht gegen jeden Akt der Rechtsprechung der Rechtsmittelweg eröffnet ist. Andernfalls müßte dann auch die in § 286 AO vorgesehene, bisher stets beachtete Streitwertgrenze von 200 DM fallen (vgl. auch Wetter, Leitsatz-Kartei, Anmerkung zu Rechtsspruch 9 zu § 320 der Reichsabgabenordnung).

Gegen eine Ausdehnung des Rechtsmittelschutzes in dem vom Bf. begehrten Sinne spricht auch die bisher im großen und ganzen auf diesem Gebiet gewahrte Einheitlichkeit des Verfahrensrechts. Der Senat vertritt die Auffassung, daß es für das finanzgerichtliche Verfahren bei der bisherigen Regelung sein Bewenden haben kann, soweit und solange in anderen Verfahrensarten, so z. B. im Zivilprozeß, ungeachtet des Art. 19 Abs. 4 GG an der Unzulässigkeit des Rechtswegs gegen Kostenentscheidungen festgehalten wird. Die Rechtsgültigkeit des § 99 der Zivilprozeßordnung ist in Rechtsprechung und Schrifttum bisher umstritten geblieben (vgl. Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Auflage 1953, Anmerkung I zu § 99 der Zivilprozeßordnung). Bemerkenswert ist hierbei, daß der Gesetzgeber erstmals in der Novelle von 1950 zur Zivilprozeßordnung (Bundesgesetzblatt 1950 I S. 455), also nach Inkrafttreten des GG, die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung bei Erledigung in der Hauptsache zugelassen hat (vgl. § 91 a Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Dieser Gesetzesänderung hätte es nicht bedurft, wenn schon Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsgültigkeit des § 99 der Zivilprozeßordnung entgegengestanden hätte.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren selbst gibt es bis auf § 26 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht, in dem für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehen ist, keine dem § 232 AO oder § 99 der Zivilprozeßordnung entsprechenden Vorschriften. Dessen ungeachtet wird auch die im Urteil eines Verwaltungsgerichts erlassene Kostenentscheidung unter Bezugnahme auf § 99 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung für nicht selbständig anfechtbar gehalten. Vgl. Klingler, Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone, 2. Auflage 1953, Anmerkung 3 zu § 102 der Verordnung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone und die dort aufgeführte übersicht über die - nicht einheitliche - Rechtsprechung; gegenteiliger Ansicht für den Bereich der süddeutschen Verwaltungsgerichtsgesetze Eyermann-Fröhler, Kommentar zum Verwaltungsgerichtsgesetz 1950, Anmerkung 1 c zu § 101 des Verwaltungsgerichtsgesetzes, der allerdings bemerkenswerterweise die Anfechtbarkeit für Hessen unter Bezugnahme auf § 128 Abs. 2 der für Hessen gültigen Fassung des Verwaltungsgerichtsgesetzes, wo selbst der nach Erledigung der Hauptsache ergangene Gerichtsbeschluß über die Kosten für unanfechtbar erklärt wird, ausdrücklich ausschließt.

Schließlich sprechen für die übertragung des Grundgedankens von § 99 der Zivilprozeßordnung auf das finanzgerichtliche Verfahren weitere gewichtige Gründe. Durch den Ausschluß der selbständigen Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung wird sichergestellt, daß das höhere Gericht die Hauptsache im Kostenpunkt nicht anders beurteilt als die zur Hauptsache ergangene und mangels Anfechtung rechtskräftig gewordene Entscheidung der unteren Instanz (vgl. hierzu Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Auflage 1954 S. 349). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die von Berger vertretene Ansicht, die Zulassung der Anfechtbarkeit von Kostenentscheidungen bei Erledigung in der Hauptsache bedeute einen Bruch in der Systematik des Verfahrensrechts, nicht zutreffend (vgl. Berger, Der Steuerprozeß 1954, S. 581); denn in diesen Fällen entfällt die Gefahr des obenerwähnten Abweichens in der Beurteilung der Hauptsache zum Kostenpunkt von der in der Hauptsache rechtskräftig gewordenen Entscheidung der unteren Instanz.

Aus allen diesen Gründen hält der Senat an dem Ausschluß der selbständigen Anfechtbarkeit finanzgerichtlicher Kostenentscheidungen fest.

Die Rb. war danach als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

BStBl III 1957, 90

BFHE 1957, 237

BFHE 64, 237

StRK, AO:232 R 5

NJW 1957, 926

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