Leitsatz (amtlich)

Zum Rechtsmittelzuge gegen Entscheidungen des Finanzamts und des Vorsitzenden des Finanzgerichts in Kostenfestsetzungssachen nach § 323 Abs. 3 AO.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 229, 316, 319, 322-323

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hatte gegen Einkommen- und Umsatzsteuer-Einspruchsbescheide des Finanzamts Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hatte das Finanzamt die angefochtenen Einspruchsentscheidungen gemäß § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) geändert und die Einkommensowie die Umsatzsteuer erheblich herabgesetzt. Die Bfin. hatte dieser Änderung unter Aufgabe ihrer weitergehenden Berufungsanträge zugestimmt.

Daraufhin erklärte die zuständige Kammer des Niedersächsischen Finanzgerichts durch Urteil vom 26. Juni 1953 die Berufungen in der Hauptsache für erledigt und legte die Kosten zu 1/4 der Bfin., zu 3/4 dem Lande Niedersachsen auf.

Das Kostenurteil des Finanzgerichts wurde am 9. Juli 1953 abgesandt; ein Rechtsmittel ist nicht eingelegt worden.

Mit einem beim Finanzgericht am 20. Juli 1953 eingegangenen Schreiben vom 18. Juli 1953 beantragte die Bfin. -- unter Bezugnahme auf § 316 AO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 (BGBl. I S. 511) --, ihr auf Grund des Kostenurteils vom 26. Juni 1953 3/4 der Auslagen zu ersetzen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien; es handelt sich dabei vorwiegend um Auslagen, die ihr durch die Zuziehung eines Steuerberaters und eines Helfers in Steuersachen entstanden waren.

Die Geschäftsstelle des Finanzgerichts lehnte mit Bescheid vom 31. Juli 1953 den Antrag auf Festsetzung und Erstattung der Vertreterkosten mit der Begründung ab, daß das Gesetz zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 erst nach Erlaß des Kostenurteils vom 26. Juni 1953 in Kraft getreten sei.

Mit am 7. August 1953 beim Finanzgericht eingegangener Erinnerung vom 5. August 1953 macht die Bfin. u. a. geltend, daß das Kostenfestsetzungsverfahren erst nach dem am 17. Juli 1953 erfolgten Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze eingeleitet sei und erst nach diesem Zeitpunkt zum Abschluß gelangen könne, so daß auf die Kostenfestssetzung die Rechtsänderung des § 316 AO neuer Fassung, der die Erstattung der Vertreterkosten ausdrücklich vorsieht, Anwendung finden müsse.

Durch Entscheidung vom 17. September 1953 wies der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Finanzgerichts die Erinnerung gegen den Bescheid der Geschäftsstelle vom 31. Juli 1953 im wesentlichen aus den Gründen dieses Bescheides zurück.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen die Entscheidung des Vorsitzenden eingelegte Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Zurückverweisung an die zuständige Kammer des Finanzgerichts.

Im Regelfall werden nach der AO die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich der den Beteiligten zu erstattenden Auslagen) für alle Instanzen von der Geschäftsstelle des Finanzamts festgesetzt, das in der ersten Rechtsstufe entschieden hat (§ 322 Abs. 2 Ziff. 1 AO). Über die Erinnerungen gegen Bescheide, die die Geschäftsstelle des Finanzamts in den Fällen des § 322 AO erlassen hat, entscheidet nach § 323 Abs. 3 Satz 1 AO das Finanzamt -- im allgemeinen der Vorsteher des Finanzamts --, dem die Geschäftsstelle angehört.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es sich bei dieser Entscheidung des Finanzamts (des Vorstehers des Finanzamts) um keine richterliche Rechtsmittelentscheidung, sondern um einen Verwaltungsakt handelt, da das Finanzamt keine richterliche Instanz, sondern eine Verwaltungsbehörde ist.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, daß gegen Verwaltungsakte der Finanzverwaltungsbehörden, durch die jemand nach seiner Behauptung in seinen Rechten verletzt wird, nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) der Rechtsweg offen steht. Der Bundesfinanzhof ist bei dieser Rechtsprechung davon ausgegangen, daß für den gegenüber der AO erweiterten Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG verfahrensmäßig die Vorschriften des § 229 AO entsprechend anzuwenden sind, so daß zunächst die Berufung an das Finanzgericht und anschließend unter den Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 AO in der Fassung des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (Bundesgesetzblatt -- BGBl. -- S. 257) die Rb. an den Bundesfinanzhof gegeben ist (vgl. u. a. Urteil des Bundesfinanzhofs I 107/53 U vom 25. August 1953, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1953 III S. 293 mit Wiedergabe der Rechtsprechung). Auch gegen Entscheidungen des Finanzamts (des Vorstehers), die auf Erinnerung gegen einen die Kosten-(Auslagen-) Festsetzung betreffenden Bescheid der Geschäftsstelle des Finanzamts ergehen, ist daher dieser Rechtsmittelzug (Berufung an das Finanzgericht, Rb. an den Bundesfinanzhof) zulässig. Die Bestimmung des Abs. 4 des § 323 AO, nach der gegen diese Entscheidung des Finanzamts ein Rechtsmittel nicht gegeben ist, muß -- ähnlich wie die Vorschrift des § 304 Abs. 4 AO -- als durch Art. 19 Abs. 4 GG überholt angesehen werden.

Es ist kein innerer Grund ersichtlich, warum die Rechtslage in den Fällen eine andere sein sollte, in denen die Entscheidung über die Kostenfestsetzung durch die Geschäftsstelle des Finanzgerichts erfolgt (§ 322 Abs. 3 AO) und daher über die Erinnerung gegen einen solchen Bescheid nach § 323 Abs. 3 Satz 2 AO der Vorsitzende des Finanzgerichts zu entscheiden hat. Bei dem engen Zusammenhang der Bestimmungen des Satzes 1 und des Satzes 2 des Abs. 3 des § 323 AO würde eine entgegengesetzte Beurteilung vielmehr zu einer nicht vertretbaren Rechtsungleichheit führen.

Ebenso wie bei der Erinnerungsentscheidung des (Vorstehers des) Finanzamts handelt es sich auch bei der entsprechenden Entscheidung des Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Finanzgerichts um eine Entscheidung verwaltungsmäßiger Art und nicht um eine richterliche Rechtsmittelentscheidung. Die Entscheidung des Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Finanzgerichts im Sinne des § 323 Abs. 3 Satz 2 AO hat einen wesentlich anderen Charakter als die Vorentscheidung im Sinne des § 271 Abs. 2 AO, bei der nach der besonderen Vorschrift des Satzes 3 a. a. O der vorläufige Bescheid des Vorsitzenden wie ein Urteil des Gerichts wirkt, es sei denn, daß ein Beteiligter binnen zwei Wochen nach der Zustellung des Urteils die Entscheidung des Gerichts beantragt.

Ein anderes Ergebnis ist für den Streitfall auch nicht daraus herzuleiten, daß -- über den § 322 Abs. 3 AO hinausgehend -- nach § 12 der Verordnung über das Niedersächsische Finanzgericht vom 10. Dezember 1949 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt -- Nieders. GVBl. -- 1949 S. 219 f.) in der Fassung der Verordnung vom 31. Juli 1953 (Nieders. GVBl. 1953 S. 65) alle Kosten des Rechtsmittelverfahrens, die im Verfahren vor dem Finanzgericht entstehen, von der Geschäftsstelle des Finanzgerichts -- in Abänderung des (§ 318 Abs. 2 und des § 322 Abs. 2 AO -- festgesetzt werden. Überdies sind durch § 12 Abs. 2 der Verordnung über das Niedersächsische Finanzgericht den Vorsitzenden der zuständigen Kammern Befugnisse eingeräumt, die nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO das Finanzamt als Verwaltungsbehörde hat. Auch diese Regelung läßt erkennen, daß es sich bei den Befugnissen des Vorsitzenden der zuständigen Kammern im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nicht um eine Tätigkeit richterlicher Art handelt.

Nebenbei sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß auch nach den neueren Verwaltungsgerichtsgesetzen über Einwände gegen die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamten (Geschäftsstellen) die Kammern der Verwaltungsgerichte entscheiden, und daß die erstinstanzlichen Kostenfestsetzungsentscheidungen der Kammern nach allgemeinen Grundsätzen durch Rechtsmittel an die Oberverwaltungsgerichte angefochten werden können (vgl. u. a. §§ 102 Abs. 2, 95, 91 Abs. 1 der Verordnung Nr. 165 über Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone = Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 263; §§ 131, 121 Abs. 1, 116 Abs. 1, 2 des Bayer. Gesetzes Nr. 39 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 25. September 1946 = Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt -- Bayer. GVBl. -- S. 281 in der Fassung des Gesetzes vom 30. September 1949 = Bayer. GVBl. S. 258; §§ 94 Abs. 2, 85 des Landesgesetzes über Verwaltungsgerichtsbarkeit für Rheinland-Pfalz vom 14. April 1950 = Gesetz- und Verordnungsblatt für Rheinland-Pfalz I S. 103; siehe auch § 69 Abs. 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 = Bundesgesetzblatt I S. 625 ff., 634).

Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Erinnerungsentscheidung des Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Finanzgerichts im Sinne des § 323 Abs. 3 Satz 2 AO -- entgegen dem durch Art. 19 Abs. 4 GG überholten § 323 Abs. 4 AO -- nicht endgültig ist, sondern ebenso wie die Erinnerungsentscheidung des Finanzamts im Sinne des § 323 Abs. 3 Satz 1 AO mit der Berufung und -- unter den gegebenen Voraussetzungen -- mit der Rb. angefochten werden kann.

Nach alledem ist die Rb. als Berufung anzusehen und an die zuständige Kammer des Finanzgerichts mit der Maßgabe zurückzuverweisen, daß die Kammer über das Rechtsmittel als Berufungsinstanz sachlich zu entscheiden hat (§ 296 Abs. 4 AO, § 81 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht). Im Rahmen der materiellen Entscheidung der Streitfrage wird das Finanzgericht, ggf. unter Ausübung des richterlichen Fragerechts, auch zu klären haben, in welcher Weise die Eingabe der Bfin. vom 23. September 1953 zu behandeln ist, die sich gegen den Kostenfestsetzungsbescheid der Geschäftsstelle vom 15. (19.) September 1953 richtet.

Der Erlaß der durch das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof entstandenen Gebühren und Auslagen beruht auf § 319 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407881

BStBl III 1954, 117

BFHE 1954, 540

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