Entscheidungsstichwort (Thema)

Glaubhaftmachung der krankheitsbedingten Gründe für beantragte Terminverlegung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird am Abend vor der mündlichen Verhandlung per Telefax ein Antrag auf Terminverlegung gestellt und mit einer Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten begründet, so muß der Antragsteller von sich aus alles unternehmen, damit seinem Vortrag gegebenenfalls in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. Notwendig ist es in der Regel auch ohne Anforderung durch den Vorsitzenden ein eindeutiges ärztliches Attest vorzulegen oder die Erkrankung anderweitig glaubhaft zu machen.

2. Zum erforderlichen Inhalt der Begründung einer Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 3, § 155; ZPO § 227 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der zwei Gesellschafterinnen beteiligt sind. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) stellte im Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung für die Streitjahre 1986 bis 1988 gewerbliche Einkünfte fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit Anordnung vom 21. März 1996 setzte der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) eine Frist mit ausschließender Wirkung gemäß §62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage der Prozeßvollmacht. Am letzten Tag der Frist ging beim FG eine Vollmacht ein, die nur von einer Gesellschafterin der GbR unterzeichnet war. Die Aufforderung des FG, durch Vorlage des Gesellschaftsvertrags nachzuweisen, daß die bevollmächtigende Gesellschafterin alleinvertretungsberechtigt war, beantwortete die Klägerin nicht.

Am Tag vor der mündlichen Verhandlung (Telefaxeingang beim FG um 17.32 Uhr) beantragte der Prozeßbevollmächtigte, den Termin zu verlegen. Aus gesundheitlichen Gründen sei er nicht in der Lage, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Sofern ein ärztliches Zeugnis notwendig sei, bitte er um Nachricht. Am Tag der mündlichen Verhandlung forderte der Berichterstatter telefonisch ein ärztliches Attest an. Zum Zeitpunkt des Anrufs hielt sich der Prozeßbevollmächtigte in seiner Kanzlei auf. Das ärztliche Attest ging noch vor der mündlichen Verhandlung beim FG ein. Es bestätigte, daß sich der Prozeßbevollmächtigte seit Jahren in laufender ärztlicher Behandlung wegen ... befand und "während dieser schmerzhaften Attacken" seine beruflichen Verpflichtungen nicht erfüllen könne.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Prozeßvollmacht sei nicht innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist vorgelegt worden. Die Vollmacht nur einer Gesellschafterin genüge nicht, denn die GbR sei nach §714 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von beiden Gesellschafterinnen zu vertreten. Die beantragte Terminsverlegung lehnte das FG mit der Begründung ab, die Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten sei nicht glaubhaft gemacht worden. Das ärztliche Attest lasse eine Verhinderung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mit Sicherheit erkennen, und der Prozeßbevollmächtigte sei in der Lage gewesen, in seiner Kanzlei zu arbeiten. Es bestehe der Verdacht der Prozeßverschleppung mit dem Ziel, eine kurzfristig beantragte und ohne Terminsverlegung nicht mehr durchführbare Beiladung durchzusetzen.

Mit der Beschwerde rügt die Klägerin Verletzung des rechtlichen Gehörs. Zur Bezeichnung des Verfahrensmangels hat der Prozeßbevollmächtigte folgendes vorgetragen:

"Durch eine akute Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten wurde am 24. Juli 1996 ein Antrag auf Terminsverlegung gestellt. Ein entsprechendes sofortiges ärztliches Gutachten wurde vom Gericht telefonisch angefordert und auch innerhalb der gesetzten Frist -- 45 Minuten -- vorgelegt. Ein darüber hinausgehendes umfassendes Gutachten wurde vom Gericht nicht angefordert, so daß ich davon ausgehen konnte, daß die vorgelegten Unterlagen ausreichend sind. Erforderlichenfalls kann das seinerzeitige Laborergebnis der vorgenommenen Untersuchung vorgelegt werden. Entgegen der Behauptung des FG war ich wegen dieser Erkrankung am 24. nicht ganztags im Büro. Am 25. Juli war eine kurzfristige Arbeitsaufnahme nur durch eine erhebliche Einnahme von Medikamenten möglich. Eine Fahrt nach München war nicht durchführbar."

 

Entscheidungsgründe

Mit der Rüge, das FG habe den Termin der mündlichen Verhandlung aufheben und vertagen müssen, macht die Klägerin den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Der Verfahrensmangel muß gemäß §115 Abs. 3 Satz 3 FGO "bezeichnet" werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist hierfür nicht erforderlich, daß die Klägerin in der Beschwerde darlegt, was sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte. Liegt ein absoluter Revisionsgrund (§119 Nr. 3 FGO) vor, so muß grundsätzlich nicht begründet werden, daß ein Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790 unter 1. a). Nach der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) muß dagegen substantiiert dargelegt werden, wozu sich der Betroffene nicht hat äußern können und was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (z. B. BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 III B 43/94, BFH/NV 1995, 890, und vom 14. Mai 1996 VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902; ablehnend s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Auflage, §119 Rz. 14, m. w. N.). Solche Darlegungen enthält die Beschwerdeschrift der Klägerin nicht. Indes kann offenbleiben, ob die Beschwerde aus diesem Grunde unzulässig ist. Jedenfalls ist sie unbegründet.

Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und aufgrund der Verhandlung entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§155 FGO i. V. m. §227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). In der Erkrankung eines Prozeßbevollmächtigten sieht die Rechtsprechung regelmäßig einen erheblichen Grund (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240; Gräber/Koch, a. a. O., §91 Rz. 4). Im Streitfall konnte das FG jedoch zu Recht davon ausgehen, daß die Erkrankung nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden ist.

Dem steht nicht entgegen, daß das ärztliche Attest telefonisch am Tag der mündlichen Verhandlung vom Berichterstatter und nicht vom Senatsvorsitzenden angefordert wurde. Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Vorsitzenden, die Glaubhaftmachung der Gründe für eine Terminsverlegung zu verlangen (§227 Abs. 3 ZPO; BFH-Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 9/91, BFH/NV 1993, 180). Im Streitfall hatte der Vorsitzende jedoch keine ausreichende Zeit für ein solches Verlangen.

Hat ein Vorsitzender einige Tage Zeit zur Prüfung eines Antrags und unternimmt er nichts, so kann die Terminsverlegung nicht aufgrund eines fehlenden ärztlichen Attestes verweigert werden (BFH-Urteil vom 4. Mai 1994 XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46). Aufgrund des Schweigens des Gerichts dürfen die Beteiligten darauf vertrauen, daß ihre tatsächlichen Angaben nicht bezweifelt werden. Anders liegen die Verhältnisse jedoch, wenn der Antrag auf Terminsverlegung "in letzter Minute" gestellt wird und dem Vorsitzenden keine Zeit für Maßnahmen gemäß §227 Abs. 3 ZPO verbleibt. Dann müssen die Beteiligten mit einer Prüfung ihres Antrags unter jedem in Frage kommenden Gesichtspunkt rechnen und von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag gegebenenfalls auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt wird. Notwendig ist in solchen eiligen Fällen entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung seitens des Beteiligten, daß das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, daß ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann. Würden bei kurzfristigen Anträgen auf Terminsverlegung diese Anforderungen nicht gestellt, so bestände die Gefahr, daß die Entscheidung allein vom Beteiligten abhängen würde. Dies wäre mit dem Ziel einer möglichst zügigen Durchführung des Verfahrens nicht vereinbar (BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1992 IV B 154/92, BFH/NV 1993, 483; vom 31. August 1995 VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228, und in BFH/NV 1996, 902; zustimmend Gräber/Koch, a. a. O., §91 Rz. 3 und 4 "Erkrankung"; a. A. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §91 FGO Rz. 1).

Nach diesen Grundsätzen sind die Ausführungen des FG zur Glaubhaftmachung der Erkrankung nicht zu beanstanden. Der Antrag auf Terminsverlegung läßt die näheren Umstände der behaupteten Erkrankung nicht erkennen. Das vorgelegte Attest bestätigt lediglich, daß der Prozeßvertreter der Klägerin wegen wiederkehrender Erkrankungen seit längerer Zeit behandelt wurde und während "schmerzhafter Attacken" nicht arbeitsfähig war. Dagegen läßt es nicht klar erkennen, daß der Prozeßbevollmächtigte gerade am Tag der mündlichen Verhandlung unter solchen Schmerzanfällen litt. Vielmehr hat das FG festgestellt, daß sich der Prozeßvertreter in seiner Kanzlei aufhielt und sonstige Umstände für die Absicht der Prozeßverschleppung sprachen. Offenbleiben kann daher, ob der Prozeßvertreter aufgrund seiner seit Jahren wiederkehrenden Krankheitsanfälle nicht ohnehin verpflichtet war, für eine standesgemäße Vertretung Vorsorge zu treffen.

Im übrigen wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung abgesehen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 66

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