Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtverlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird behauptet, das rechtliche Gehör sei durch die Nichtverlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt worden, so gehört zur schlüssigen Erhebung der Rüge u. a. auch, daß substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Betroffene nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte.

2. Wird ein Antrag auf Terminsverlegung "in letzter Minute" gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung des Beteiligten (der sich in eigener Sache zum Prozeßbevollmächtigten bestellt hat) begründet, ist das FG nicht verpflichtet, dem Antrag stattzugeben, wenn der Antrag den Anforderungen an eine aussagefähige Begründung nicht genügt und die Gründe für die beantragte Terminsverlegung nicht zugleich mit der Antragstellung glaubhaft gemacht werden. Erforderlich ist regelmäßig die Vorlage eines ärztlichen Attests, aus dem sich die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung, daß das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, daß ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 227 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der als selbständiger Rechtsanwalt tätig ist und außerdem als angestellter Syndikusanwalt auch Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bezieht, schuldet dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) nach dem Stand vom 9. Mai 1995 Abgaben in Höhe von ... DM. Nachdem zahlreiche ausgebrachte Pfändungsverfügungen nur zu einer teilweisen Befriedigung des FA geführt hatten und weitere Pfändungsversuche des Vollziehungsbeamten fruchtlos verlaufen waren, lud das FA den Kläger zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) vor.

Die hiergegen vom Kläger eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Die daraufhin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Voraussetzungen des § 284 AO 1977 für die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung seien erfüllt. Auch hätten die beteiligten Finanzbehörden ihr Anordnungsermessen fehlerfrei ausgeübt. Angesichts der Höhe der Abgabenrückstände sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Auf die möglichen berufsrechtlichen Folgen der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für den Kläger als Rechtsanwalt und Syndikusanwalt komme es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht an.

Das FG sehe sich auch nicht gehindert, im Termin vom 8. August 1995 in der Sache zu entscheiden, obwohl an diesem Tag um 8.26 Uhr, also ca. 1 1/2 Stunden vor Beginn der mündlichen Verhandlung, ein Telefax des Klägers bei Gericht eingegangen sei, in dem dieser eine Verlegung des Verhandlungstermins beantragt habe. Nachdem bereits ein erster Antrag vom 31. Juli 1995 auf Terminsverlegung abgelehnt worden sei, erfülle auch dieser zweite Antrag nicht die Voraussetzungen des § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 227 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Aus dem Telefax des Klägers sei für das Gericht nicht erkennbar, ob das beigefügte Attest, in dem dem Kläger in englischer Sprache bescheinigt werde, daß er wegen Krankheit ("because of illness") nicht fähig sei, zur Gerichtsverhandlung zu reisen, tatsächlich von einem Arzt stamme. Das Telefax lasse mangels Briefkopfs nicht erkennen, daß Absender des Telefaxes, wie vom Kläger behauptet, die ... klinik in Z (Belgien) sei. Des weiteren ergebe sich aus dem Attest nicht, daß es sich bei der unterzeichneten "Dr. A" tatsächlich um eine praktizierende Ärztin handele. Inhaltlich fehle eine auch nur ansatzweise genaue medizinische Diagnose, so daß der Gesundheitszustand des Klägers letztlich offenbleibe. Im übrigen werde die behauptete Beeinträchtigung der Handlungsunfähigkeit des Klägers dadurch widerlegt, daß dem Telefax ein ganzseitiger, vom Kläger eigenhändig verfaßter Schriftsatz beigefügt gewesen sei. Ein erheblicher Grund i. S. des § 227 ZPO für eine Terminsverschiebung sei nach alledem mangels ausreichender Glaubhaftmachung für das FG nicht erkennbar gewesen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die angefochtene Entscheidung. Das FG habe den Termin aufgrund des Telefaxes verlegen müssen, da die angezeigte kurzfristige, überraschende Erkrankung eines Prozeßbevollmächtigten -- der Kläger hatte sich in dem bezeichneten Telefax noch zum Prozeßbevollmächtigten in eigener Sache bestellt -- regelmäßig einen erheblichen Grund für eine Terminsänderung darstelle. In der Beschwerdeschrift führt der Kläger außerdem aus, daß er sich seit Anfang August in B/Belgien in seinem ihm gesetzlich zustehenden Jahresurlaub befunden und für den Terminstag bei der Gesellschaft C einen Flug von Z nach D (Deutschland) gebucht habe. Beim Eincheken habe er im Abfertigungsbereich des Flughafens in Z einen Ohnmachtsanfall erlitten, worauf er vom Bodenpersonal mit Verdacht auf Herzinfarkt -- er leide seit mehreren Jahren an Herzbeschwerden und habe wiederholt Angina-Pectoris-Anfälle erlitten -- zur ... klinik gebracht worden sei. Dadurch habe er den Abflug verpaßt. Nach Einnahme eines ihm dort von der Ärztin Dr. A verordneten Medikaments habe er den Sachverhalt unter Aufbietung großer Mühe zu Papier gebracht und besorgt, daß diese handschriftliche Nachricht zusammen mit der ärztlichen Fluguntauglichkeitsbescheinigung und dem Anschreiben per Telefax durch das Flughafenpersonal dem FG übermittelt worden sei.

Des weiteren führt der Kläger aus, im Termin zur mündlichen Verhandlung hätte er beweiskräftig dargelegt (im bezeichneten Telefax heißt es unter Ziff. 6: "Wichtige Tatsachenbehauptungen im Ss des FA unwahr, wollte heute mit vorhandenen Beweismitteln erwidern"), daß die vom FA im Prozeß vorgelegte Forderungsaufstellung unrichtig sei. Das FG hätte dann nicht mehr davon ausgehen können, daß die behauptete Forderung tatsächlich bestehe. Es hätte feststellen können und müssen, daß ihm -- dem Kläger -- für 1991 und 1992 überhaupt noch keine Steuerbescheide zugegangen seien. Aus diesem Grund rüge er auch den Verfahrensfehler mangelhafter Sachaufklärung. Das FG habe außerdem, obschon er den Sachverhalt schriftsätzlich dargelegt habe, keine Nachforschungen über den Verbleib seiner beim FA eingereichten Steuerunterlagen angestellt und daher auch insoweit seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig. Die Verfahrensfehler mangelnder Sachaufklärung und der Versagung des rechtlichen Gehörs seien i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht hinreichend bezeichnet.

 

Entscheidungsgründe

Die auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es fehlt bereits an der i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichenden Bezeichnung der geltend gemachten Verfahrensmängel.

1. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne Anwesenheit des (ordnungsgemäß) geladenen Beteiligten bzw. seines Prozeßbevollmächtigten kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn einem vor dem Termin gestellten Antrag auf Verlegung nicht stattgegeben worden ist. Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) muß aber schlüssig erhoben werden. Das erfordert, daß u. a. substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Betroffene nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte. Die Darlegungspflicht gilt auch, wenn das rechtliche Gehör -- wie im Streitfall -- durch Nichtverlegung eines zur mündlichen Verhandlung bestimmten Termins versagt worden sein soll (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409; Urteil vom 26. Mai 1992 VII R 26/91, BFH/NV 1993, 177, m. w. N.; Beschlüsse vom 31. Mai 1995 IV B 167/94, BFH/NV 1995, 1079; vom 18. Oktober 1995 V B 60/95, BFH/NV 1996, 334; anders im Falle einer zu Unrecht nicht durchgeführten mündlichen Verhandlung vgl. Senatsurteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425).

Die Darlegungen des Klägers in der Beschwerdeschrift genügen diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat hierzu lediglich vorgetragen, er habe bestritten, daß die der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zugrundeliegende Forderung tatsächlich bestehe, und im Termin zur mündlichen Verhandlung hätte er beweiskräftig dargelegt, daß die vom FA im Prozeß vorgelegte Forderungsaufstellung unrichtig sei. Dieser Vortrag entbehrt der Substantiierung. Der Kläger hätte vortragen müssen, daß jeder einzelne der vom FA in der Beschwerdeentscheidung geltend gemachten zahlreichen Forderungsrückstände seiner Ansicht nach in Wahrheit gar nicht bestehe, aus welchen Gründen dies der Fall sei und welche konkreten Anhaltspunkte und Beweismittel ihm im einzelnen zur Verfügung ständen, um dies dem Gericht in der mündlichen Verhandlung glaubhaft machen zu können. Der Vortrag des Klägers, für 1991 und 1992 seien ihm überhaupt noch keine Steuerbescheide zugegangen, hätte vor allem auch deshalb eingehenderer Darlegung und Substantiierung bedurft, weil dies im Widerspruch zu den klaren Feststellungen des FG steht, wonach alle Einkommensteuerbescheide von 1985 bis 1992 sowie die Umsatzsteuerbescheide von 1985 bis 1987 bestandskräftig sind.

Darüber hinaus traf den Kläger im Streitfall nach den besonderen Umständen des Falles eine gesteigerte Pflicht zur Substantiierung der Tatsachen, die nach der angestrebten Gewährung des rechtlichen Gehörs hätten berücksichtigt werden sollen. Trotz eigener Ankündigung in der Klageschrift, diesbezüglicher Fristsetzung durch das FG gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO und trotz erneuten Hinweises des FG hatte es nämlich der Kläger unterlassen, seine Klage bis zur mündlichen Verhandlung unter Angabe von Tatsachen und geeigneten Beweismitteln in sachlich-rechtlicher Hinsicht zu begründen.

Abgesehen von dem Mangel der Darlegung wäre die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs aber nicht begründet. Nach der Rechtsprechung des BFH ist das FG nicht verpflichtet, dem Antrag eines Beteiligten auf Terminsverlegung, der sozusagen "in letzter Minute" gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet wird, stattzugeben, wenn dieser Antrag den Anforderungen an eine aussagefähige Begründung nicht genügt und die Gründe für die beantragte Terminsverlegung nicht zugleich mit der Antragstellung glaubhaft gemacht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1992 IV B 154/92, BFH/NV 1993, 483, und vom 31. August 1995 VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228). Notwendig ist hiernach in solchen eiligen Fällen (anders, wenn zwischen dem Antrag und dem Termin zur mündlichen Verhandlung noch einige Tage dazwischen liegen: BFH-Urteil vom 4. Mai 1994 XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46) entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung seitens des Beteiligten, daß das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, daß ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann. Würden diese Anforderungen an die Begründung des Antrags im Falle einer aus Krankheitsgründen "in letzter Minute" begehrten Terminsverlegung nicht gestellt, bestände die Gefahr, daß die Entscheidung über die Terminsverlegung allein vom Beteiligten abhängen würde. Dies wäre mit dem Ziel einer möglichst zügigen Durchführung des Verfahrens nicht vereinbar (BFH/NV 1996, 228).

Im Streitfall hat das FG in seinem Urteil ausführlich begründet, daß aus dem auf Veranlassung des Klägers übermittelten dreiseitigen Telefax nicht erkennbar war, daß Absender dieses Telefaxes die vom Kläger angegebene Flughafenklinik in Z und das beigefügte Attest von einem Arzt oder einer Ärztin ausgestellt war. Tatsächlich wird an keiner Stelle des Telefaxes der Bezug auf eine Klinik als Absender des Telefaxes und auf einen Mediziner als Aussteller des Attestes deutlich. Bei der unterzeichneten "Dr. A", deren Unterschrift ein Stempel mit offensichtlicher Privatadresse beigefügt war, hätte es sich ebensogut um eine beliebige Privatperson handeln können. Unter solchen Umständen kommt auch dem zudem recht ungenauen Inhalt des Attestes keine entscheidende Bedeutung zu. Die in englischer Sprache verfaßte Bescheinigung, wonach der Kläger wegen Krankheit nicht vor Gericht erscheinen und das Flugzeug nicht nehmen könne, enthält keine medizinische Diagnose, die für das FG die Annahme nahelegen konnte, der Kläger sei reise- und verhandlungsunfähig. Das FG konnte auch unter Berücksichtigung des beigefügten, vom Kläger handschriftlich verfaßten Schriftsatzes davon ausgehen, daß die Voraussetzungen für eine Terminsaufhebung aus erheblichen Gründen (§ 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 1 ZPO) nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden sind. Insofern liegt es im Streitfall anders als in dem Urteil des BFH vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92 (BFH/NV 1996, 43) zugrundeliegenden Sachverhalt. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung verletzte somit den Kläger nicht in seinem Recht auf Gehör.

Der Senat ist schließlich auch nicht davon überzeugt, daß der vom Kläger geschilderte Geschehensablauf am Flughafen in Z für die Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne Anwesenheit des Klägers kausal werden konnte. Bei einer planmäßigen Ankunftszeit des gebuchten Flugzeugs in D um 8.45 Uhr und einem Verhandlungsbeginn beim FG um 10.00 Uhr hätte es zumindest näherer Darlegung durch den Kläger bedurft, wie und auf welche Weise es ihm möglich gewesen wäre, die ca. 150 km vom Flughafen bis zum FG in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bewältigen, so daß er noch rechtzeitig zum Termin beim FG hätte erscheinen können.

2. Auch soweit sich der Kläger auf den Verfahrensfehler mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) durch das FG beruft, fehlt es an der hinreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Da sich der Kläger im vorliegenden Verfahren beim FG noch nicht zur Sache eingelassen hat, ist nicht nachvollziehbar, welche Tatsachen das FG hätte aufklären sollen oder müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421506

BFH/NV 1996, 902

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