Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertagungsantrag auch ohne sofort beigefügtes ärztliches Attest beachtlich. Attest ist auf Verlangen des Gerichts nachzureichen

 

Leitsatz (NV)

Daß der Kläger ein ärztliches Attest nicht bereits bei seinem Vertagungsantrag beifügt, rechtfertigt es nicht, den Antrag abzulehnen. Wenn auch im Regelfall erwartet werden kann, daß der Antragsteller die Erkrankung bei der Antragstellung durch ein Attest glaubhaft macht, ist dies nicht Voraussetzung für die Terminsänderung.

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 3, § 155; ZPO § 227 Abs. 3

 

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

Die Vorentscheidung ist gemäß § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben. Das FG hat dem Kläger das rechtliche Gehör dadurch versagt, daß es dessen Antrag auf Terminsverlegung vom 4. Oktober 1991 nicht entsprochen hat.

Der Kläger hat die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ordnungs gemäß gerügt. Er hat erhebliche Gründe vorgetragen, die eine Terminsverlegung als geboten erscheinen lassen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. Juli 1992 III B 556/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 289, m. w. N.). Er hat außerdem dargelegt, daß er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs die vom FG angeforderten Unterlagen vorgelegt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1992 VII R 26/91, BFH/NV 1993, 177, m. w. N.).

Die Rüge ist auch begründet. Nach § 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann das Gericht "aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht, d. h., der Termin muß zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert wird (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1993, 177, und vom 26. April 1991 III R 87/89, BFH/NV 1991, 830, jeweils m. w. N.). Welche Gründe als erheblich i. S. von § 227 Abs. 1 ZPO anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Der Prozeßstoff und die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Beteiligten und ggf. seines Prozeßbevollmächtigten sind bei der Prüfung ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, daß das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen (BFH-Urteile vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48, und in BFH/NV 1993, 177, m. w. N.). Krankheit des nicht vertretenen Klägers ist regelmäßig ein erheblicher Grund für eine Änderung des Termins (BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, m. w. N.). Allerdings kann die Ablehnung einer Terminsänderung trotz Vorliegens erheblicher Gründe ermessensgerecht sein, wenn offenkundig Prozeßverschleppungsabsicht vorliegt oder wenn der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt hat (BFH-Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 9/91, BFH/NV 1993, 180).

Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze war im Streitfall die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung geboten. Der nicht vertretene Kläger hatte am 4. Oktober 1991 beantragt, den Termin am 8. Oktober 1991 zu vertagen, weil er einerseits schwer erkrankt sei und andererseits an der Verhandlung jedoch unbedingt selbst teilnehmen wolle. Er werde am 7. Oktober stationär im Krankenhaus operiert und sei nach Angabe des Chirurgen erst etwa zwei Monate später wieder arbeitsfähig. Wenn er die Operation überstehe, reiche er ein ärztliches Attest nach. Eine Fotokopie des ärztlichen Attestes vom 10. Oktober 1991 hat der Kläger im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt. Daß der Kläger das ärztliche Attest nicht bereits seinem Vertagungsantrag beigefügt hatte, rechtfertigte es -- entgegen der Auffassung des FG -- nicht, den Verlegungsantrag abzulehnen. Wenn auch im Regelfall erwartet werden kann, daß der Antragsteller die Erkrankung bei der Antragstellung durch ein Attest glaubhaft macht, ist dies nicht Voraussetzung für die Terminsänderung; denn nach § 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 3 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden bzw. -- bei Vertagung -- des Gerichts glaubhaft zu machen. Der Kläger ist vom Vorsitzenden nicht zur Glaubhaftmachung seiner Krankheit aufgefordert worden. Ob der auf Anrufbeantworter gesprochene Hinweis des Berichterstatters eine solche Aufforderung enthält, kann dahinstehen, da der Berichterstatter hierzu nicht befugt war (BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 180). Zu Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben bezüglich der Erkrankung gab der Antrag des Klägers keinerlei Anlaß. Für eine Prozeßverschleppungsabsicht liegen keine Anhaltspunkte vor. Dadurch, daß der Kläger der Aufforderung des Berichterstatters gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG vom 29. Juli 1991, bis zum 9. September 1991 Unterlagen über seine Leistungen gegenüber dem HA vorzulegen und darzutun, welche dieser Unterlagen er bei der Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Oktober bis Dezember 1979 dem Prüfer vorgelegt hat, nicht nachgekommen ist, hat er zwar seine prozessuale Mitwirkungspflicht verletzt. Dieser Verstoß kann aber im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung der mündlichen Verhandlung für die finanzgerichtliche Entscheidung nicht dazu führen, dem Kläger die Möglichkeit zu nehmen, die Unterlagen noch in der münd lichen Verhandlung vorzulegen und die Streitsache unmittelbar vor Gericht zu erörtern. Daß das Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel zurückweisen kann, gibt der mündlichen Verhandlung in diesen Fällen eine noch größere Bedeutung (vgl. BFH- Urteil vom 21. Januar 1981 II R 91/79, BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401).

Die Berufung des FG auf den Beschluß des BVerwG in HFR 1979, 342 geht schon deshalb fehl, weil der Kläger im dortigen Verfahren keinen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und im übrigen seine Klage trotz mehrfacher Aufforderung überhaupt nicht begründet hatte.

Das FG hat dem Kläger das rechtliche Gehör dadurch versagt, daß es trotz Vorliegens erheblicher Gründe für die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung diese durchgeführt und anschließend ein Urteil erlassen hat. Nach § 119 Satz 1 FGO ist das angefochtene Urteil als auf diesem Verfahrensmangel beruhend anzusehen. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Eine Sachentscheidung ist dem erkennenden Senat verwehrt. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, daß im Streitjahr noch das UStG 1973 galt, nach dessen § 4 Nr. 3 i. V. m. § 8 nicht nur Beförderungsleistungen für ausländische Auftraggeber steuerfrei waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419942

BFH/NV 1995, 46

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