Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Erledigungserklärung; Kostenentscheidung nach Änderungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

1. Erklärt das Finanzamt nach dem Erlaß eines Änderungsbescheids und nach einer Hauptsachenerledigungserklärung durch den Kläger, eine Kostenentscheidung sei nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen, so hat sich der Rechtsstreit aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen in der Hauptsache erledigt.

2. Über die Kosten des erledigten Verfahrens ist nach § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden, wenn der Erlaß des geänderten Steuerbescheids auf einer sachlichen Billigkeitsentscheidung nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO beruht.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Durch Änderungsbescheid vom 1. März 1984 hat das FA die Umsatzsteuer für 1980 auf 297 DM ermäßigt. Zur Erläuterung hat das FA dazu ausgeführt, es handele sich um eine niedrigere Steuerfestsetzung nach § 163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Darauf hat der Kläger erklärt, die Hauptsache sei erledigt, und beantragt, dem FA die Kosten des Verfahrens nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO aufzuerlegen sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA hat erklärt, im vorliegenden Fall sei eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Der Rechtsstreit habe sich nicht in der Hauptsache erledigt, weil dem Antrag des Klägers nicht gefolgt worden sei, die Option als widerrufen anzusehen, sondern weil die Steuer aus Billigkeitsgründen niedriger festgesetzt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Beteiligten hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, ohne daß der Senat in diesem Zusammenhang noch zu prüfen hat, ob ein erledigendes Ereignis wirklich vorliegt.

1. Der Kläger hat die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ausdrücklich, das FA hat sie - wie die Auslegung seiner in dem Schriftsatz vom 3. April 1984 nach dem wirklichen Willen und nicht nach dem buchstäblichen Ausdruck ergibt - schlüssig zum Ausdruck gebracht, weil es auf die ausdrückliche Erledigungserklärung des Klägers Ausführungen zu einer Kostenentscheidung (nach § 138 Abs. 1 FGO) gemacht hat, die die Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache voraussetzt. Die Erklärung des FA, der Rechtsstreit habe sich nicht in der Hauptsache erledigt, weil ein Widerruf der Option des Klägers nicht anerkannt, sondern weil eine Billigkeitsentscheidung getroffen worden sei, erläutert nur den Antrag, die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO und nicht nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO zu treffen. Darin liegt aber keine Weigerung, eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu erklären.

Infolge der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist die Vorentscheidung des FG wirkungslos geworden.

2. Das FA hat die Kosten des Verfahrens nach § 138 Abs. 1 FGO zu tragen.

Nach § 138 Abs. 1 FGO ist über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Es kommt grundsätzlich darauf an, wie das Verfahren mutmaßlich ausgegangen wäre, hätte sich die Hauptsache nicht erledigt.

§ 138 Abs. 2 FGO stellt davon keine Ausnahme, sondern nur den häufigsten Anwendungsfall dar. Der Gesetzgeber unterstellt, daß das Verfahren im Sinne des Abhilfebescheids ausgegangen wäre, wenn über die Klage durch Urteil entschieden worden wäre, sofern sich Hinweise auf die Rechtswidrigkeit des geänderten Bescheids ergeben. Beruht die Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts jedoch auf Gründen, die nicht in der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts liegen, so ist die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juli 1976 VIII B 6/75, BFHE 120, 9, BStBl II 1977, 119). So liegt aber der Streitfall. Das FA hat aufgrund des Erlasses des Finanzministers des Landes Schleswig-Holstein vom 6. Dezember 1983 VI 360a-S 7365-2 eine Billigkeitsentscheidung getroffen und den Gesamtumsatz zur Berechnung des Steuerabzugsbetrages aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) niedriger als gesetzlich gefordert (§ 19 Abs. 4 Satz 3 UStG 1980) festgesetzt.

3. Es entspricht billigem Ermessen, dem FA die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (§ 138 Abs. 1 FGO).

Im Rahmen des für die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO maßgebenden billigen Ermessens hat das Gericht neben dem bisherigen Sach- und Streitstand auch andere Gründe zu berücksichtigen, wenn dies nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden sachgerecht ist. So darf auch der Grund, der zur Erledigung der Hauptsache geführt hat, gewürdigt werden (BFH-Beschluß vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222).

Der Ausgang des Verfahrens im Zeitpunkt der Erledigung war offen. Die im vorliegenden Rechtsstreit erhebliche Rechtsfrage, ob der Kläger an seine für den Veranlagungszeitraum 1978 erklärte Option zur Regelbesteuerung nach § 19 Abs. 4 UStG 1973 auch im Veranlagungszeitraum 1980 gebunden war, ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden worden. Für und gegen eine Bindung werden gewichtige Gründe geltend gemacht (vgl. die Gründe für die Bindung: Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 10. Oktober 1980 IV A 3 - S 7360 - 26/80, BStBl I 1980, 738 Tz. 45; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 4. Aufl., § 19 Tz. 166; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 6. Aufl., § 19 Anm. 167, 5; gegen die Bindung: Sölch/Ringleb/List, UStG-Mehrwertsteuer, Kommentar, 3. Aufl., § 19 Rdnrn. 40, 80; Ammann, Betriebs-Berater - BB - 1981, 1456, und BB 1982, 600; Widmann, BB 1981, 1999). Das Gericht macht jedoch nicht von der Möglichkeit Gebrauch, den Beteiligten die Kosten wegen des ungewissen Ausgangs des Rechtsstreits zur Hälfte aufzuerlegen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 138 Anm. 8 m.w.N.), weil damit der Grund, der zur Erledigung geführt hat, nicht berücksichtigt würde.

Dem Kläger ist durch die Entscheidung des FA im Billigkeitsverfahren die Möglichkeit genommen worden, ein Urteil über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung zu erlangen. Eine Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 1 FGO zu Lasten des FA konnte dadurch nicht mehr ergehen. Es entspricht aber nicht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, den Steuerpflichtigen mit Kosten für ein Verfahren zu belasten, das sich durch eine nachträglich ergangene, ihn begünstigende Entscheidung des FA erledigt hat.

4. Zuständig für die Entscheidung über einen Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Verfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist nicht der BFH, sondern das FG (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Juli 1967 GrS 5-7/66, BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56).

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 761

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