Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Äußert sich ein Richter auf einen Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit dahingehend, daß er sich nicht befangen fühle, so läßt sich dieser Äußerung bei Anlegung eines parteiobjektiven Maßstabes nicht entnehmen, daß der Richter einen früher unter seiner Beteiligung vom Senat gefaßten Beschluß und die darin enthaltene Sachverhaltsdarstellung billigt.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 ff.

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) wegen Körperschaft steuer 1983. Der Rechtsstreit betrifft zwei vom FA angenommene verdeckte Gewinnausschüttungen der Klägerin gegenüber dem Alleingesellschafter der Klägerin, A, in Höhe von ... DM bzw. in Höhe von ... DM. Die erste verdeckte Gewinnausschüttung soll von der Klägerin ab- und der B- GmbH zugeflossen sein. Alleinige Gesellschafterin der B-GmbH war die Ehefrau des A. A hatte einen zivilrechtlichen Anspruch gegen seine Ehefrau auf Abtretung der Gesellschaftsanteile an der B-GmbH. Die zweite verdeckte Gewinnausschüttung soll in der Vereinnahmung eines Grundstückskaufpreises in Höhe von ... DM durch A liegen, der der Klägerin zugestanden haben soll.

In dem Rechtsstreit anberaumte der Vorsitzende Richter am FG E Termin zur mündlichen Verhandlung zunächst auf den 27. Januar 1994. Die entsprechende Ladung datiert vom 20. Dezember 1993. Sie wurde der Klägerin am 22. Dezember 1993 zugestellt. Der Ladung waren einige Fotokopien und außerdem folgender Zusatz beigefügt:"

Als Anlage zur Ladung werden Unterlagen zur Kenntnisnahme aus dem Zivilprozeß beim LG/OLG C übersandt. Ferner wird darauf hingewiesen, daß dem Gericht die der Forderungsberechnung (Anlage 5 zur Klagebegründung vom 5. 5. 1992) zugrundeliegenden Einzelbelege und Sachkonten trotz Anforderung vom 26. 8. 1993 und der Zusage im Erörterungstermin nicht vorgelegt wurden. Der Prozeßbevollmächtigte wird aufgefordert, diese Unterlagen sowie Buchhaltungs-, Vertrags- und andere Unterlagen für das im Erörterungstermin vom 27. 8. 1993 vorgetragene Darlehen vom 25./31. 10. 1983 über DM ... spätestens zum 10. 1. 1994 dem Gericht vorzulegen. Die Beteiligten werden ferner gebeten, den beigefügten Tatbestand durchzuarbeiten. Sollten aus Ihrer Sicht noch Ergänzungen oder Änderungen erforderlich sein, so wird gebeten, diese bis 21. 1. 1994 -- hier eingehend -- mitzuteilen.

Da sämtliche Akten zur Vorbereitung des Gerichts auf die mündliche Verhandlung benötigt werden, kommt deren Versendung nicht in Betracht (vgl. BFH-Beschluß vom 8. 5. 1992 III B 138/92, BFH/NV 1993, 206 und Schreiben des Berichterstatters vom 15. 9. 1993 sowie S. 10 der Niederschrift vom 27. 8. 1993). Soweit die Akten bei der Geschäftsstelle des Senats eingesehen werden sollen, wird um Terminsvereinbarung mit Herrn D gebeten."

Außerdem war der Ladung ein mit "Tatbestand" bezeichnetes 63seitiges Schriftstück beigefügt.

Mit Schreiben vom 14. Januar 1994 beantragte die Klägerin, den Termin vom 27. Januar 1994 aufzuheben. Mit Schreiben vom 15. Januar 1994 machte die Klägerin ihre Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden des ... Senats des FG, Richter am FG E, und des Berichterstatters, Richter am FG F, geltend. Der entsprechende Antrag wurde im wesentlichen darauf gestützt, daß

-- der Berichterstatter überflüssigerweise und ausufernd Gerichtsakten bei sachfremden Vorgängen beigezogen habe,

-- in dem mit der Ladung übersandten Tatbestand die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse der Klägerin in Verbindung mit denjenigen der B-GmbH einerseits in unnötiger Breite und andererseits lückenhaft dargestellt worden seien,

-- der Sachverhalt bezüglich einer Bauherrengemeinschaft und eines Erwerbs der G- GmbH aus dem Projekt H-Straße verwirrend und unrichtig aufbereitet worden sei,

-- Sachverhalte auf eine Art und Weise wiedergegeben würden, daß ein unrichtiger Eindruck erweckt werde.

Die Klägerin sah in diesen Umständen eine bis zur Rechtsbeugung gehende Tendenz, welche keine unbefangene Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache mehr zulasse. Der Vorsitzende des ... Senats des FG habe bei der Verfügung über die Ladung der Beteiligten zum Termin vom 27. Januar 1994 Kenntnis von dem als "Tatbestand" bezeichneten Schriftstück gehabt und diesen gebilligt. Daraus ergebe sich die Besorgnis der Klägerin seiner Befangenheit.

Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß vom 2. März 1994 ab. An dem Beschluß wirkten die Richter am FG J, K und L mit. Gegen den Beschluß legte die Klägerin Beschwerde ein, die der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen hat.

Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 24. März 1994 an. An diesem Termin war das FG mit folgenden Berufsrichtern besetzt: Vorsitzender Richter am FG E, Richter am FG J und Richter am FG F. Während der mündlichen Verhandlung lehnte die Klägerin den Richter am FG J als befangen ab. Er vertrete die Meinung, daß die im Ablehnungsgesuch vom 15. Januar 1994 aufgeführten Gründe nicht die Befangenheit eines Richters begründeten. Der Senat habe sich im Beschluß vom 2. März 1994 nicht veranlaßt gesehen, den Tatbestand in straffer Form und aus sich heraus verständlich darzustellen. Damit hätten die Mitglieder des Senats den Tatbestand ebenso verfälscht; sie seien damit ebenfalls parteilich.

Der abgelehnte Richter hat sich dienstlich geäußert. Nach seiner Erklärung fühlt er sich nicht befangen.

Das FG hat das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters durch Beschluß vom 24. März 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 18. April 1994 Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 27. Juni 1994 wie folgt begründete.

Der abgelehnte Richter am FG J habe an dem Beschluß vom 2. März 1994 mit gewirkt und dabei einen selbständigen Ablehnungsgrund geschaffen. Er sei zur besonderen Wachsamkeit aufgerufen gewesen, daß die Sachverhaltsfeststellungen zum Beschluß vom 2. März 1994 keine Mängel, Unvollständigkeiten oder Unrichtigkeiten enthielten, wie sie schon im Tatbestand des vorbereiteten Urteils aufgetreten seien. Dieser Verpflichtung sei der Richter nicht nachgekommen. Der Beschluß vom 2. März 1994 leugne die von der Klägerin aufgezeigten Mängel, Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten. Damit sei der Richter bereit, einen falschen Sachverhalt der noch zu treffenden Entscheidung zugrunde zu legen.

Soweit das FG meine, es sei rechtsmißbräuchlich, alle Richter eines Spruchkörpers abzulehnen, so verkenne es, daß lediglich der Richter am FG J abgelehnt worden sei. Wenn das FG meine, bei einer Kollegialentscheidung könne der einzelne Richter wegen des Beratungsgeheimnisses nicht abgelehnt werden, so übersehe es, daß der Richter am FG J durch seine dienstliche Äußerung vom 24. März 1994 zum Befangenheitsgesuch zu erkennen gegeben habe, daß er sich nicht befangen fühle. Damit habe er den Inhalt des Beschlusses vom 2. März 1994 gebilligt. Es sei unrichtig, wenn das FG davon ausgehe, der Ablehnungsgrund liege in der Teilnahme des Richters am FG J an dem Beschluß vom 2. März 1994.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Beschlusses des FG vom 24. März 1994 das Ablehnungsgesuch für begründet zu erklären.

Das FA hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen. Das FG hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Das Gesuch war damals unzulässig. Mit Rücksicht auf die von der Klägerin nachgeschobene Begründung ist es zulässig, jedoch unbegründet.

1. Ein Richter kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu weken (§ 51 Abs. 1 der Finanzgerichts ordnung -- FGO -- i. V. m. §§ 42 ff. der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; ständige Rechtsprechung).

2. Das Ablehnungsgesuch muß sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen. Wegen Rechtsmißbrauchs ist es im allgemeinen unzulässig, pauschal den ganzen Spruchkörper oder alle Berufsrichter ohne Angaben ernstlicher Gründe in der Person des einzelnen Richters abzulehnen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Rdnr. 10 m. w. N.). Allerdings gilt dies nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden (ständige Rechtsprechung: vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112; vom 16. April 1993 I B 156/92, BFH/NV 1994, 180). Denn in einem solchen Fall kann der Betroffene wegen des Beratungsgeheimnisses nicht wissen, welcher Richter die Entscheidung mitgetragen hat (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1969 5 StR 468/69, Neue Juristische Wochenschrift 1970, 478). Ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts durch Ablehnung des gesamten Spruchkörpers liegt beim Anknüpfen an eine von diesem getroffene Entscheidung daher nur dann vor, wenn das Gesuch gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, die die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 1976 VI C 109.75, Die Öffentliche Verwaltung 1976, 747). Auf der Grundlage der von der Klägerin nachgeschobenen Begründung liegt jedoch der Streitfall so nicht. Die Klägerin stützt ihr Ablehnungsgesuch nunmehr auf den Inhalt der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters und dessen Mitwirkung am Beschluß vom 2. März 1994. Damit trägt sie einen in der Person des abgelehnten Richters begründeten Umstand vor.

3. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet. Bei Anlegung eines parteiobjektiven Maßstabes läßt sich der dienstlichen Äußerung vom 24. März 1994 des Richters am FG J nicht entnehmen, daß er den Inhalt des Beschlusses vom 2. März 1994 und die darin enthaltene Sachverhaltsdarstellung billige. Die auf Bl. 633 der FG-Akte enthaltene dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters enthält ihrem objektiven Wortlaut nach keinen Bezug zu dem Tenor und/oder zu der Begründung des Beschlusses vom 2. März 1994. Damit entfällt jede Grundlage für die Annahme der Voreingenommenheit des abgelehnten Richters. Dies erscheint dem erkennenden Senat offensichtlich.

Soweit die Klägerin ihr Ablehnungsgesuch mit unrichtigen Sachverhaltsangaben im Beschluß vom 2. März 1994 bzw. mit der unterlassenen Richtigstellung des Sachverhalts begründet, wird auf den Beschluß des Senats vom heutigen Tag Az. I B 106/94, NV, hingewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420535

BFH/NV 1995, 984

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