Leitsatz (amtlich)

1. Ein Bescheid, mit dem das FA es ablehnt, den Gewinn eines Gewerbebetriebs mehreren Personen zuzurechnen (negativer Gewinnfeststellungsbescheid), ist kein vollziehbarer Feststellungsbescheid i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO, dessen Vollziehung ausgesetzt werden könnte.

2. Die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids, der im Anschluß an einen negativen Gewinnfeststellungsbescheid ergangen ist, kann jedenfalls dann nicht ausgesetzt werden, wenn er nicht angefochten ist.

 

Normenkette

FGO § 69; AO § 215

 

Tatbestand

Materiell-rechtlich ist streitig, ob die minderjährige Tochter des Klägers, Revisionsklägers und Antragstellers (Kläger) als atypische stille Gesellschafterin steuerrechtlich Mitunternehmerin des vom Kläger betriebenen gewerblichen Unternehmens ist und deshalb die Vollziehung des gegen den Kläger ergangenen Einkommensteuerbescheids für 1969 auszusetzen ist.

Der Kläger betreibt eine Bau- und Möbelschreinerei. Unter dem Datum vom 9. Januar 1967 schloß der Kläger mit seiner Tochter X, geb. am 7. Februar 1966, in privatschriftlicher Form einen Vertrag über die Errichtung einer atypischen stillen Gesellschaft. Dieser Vertrag bestimmt, daß die Tochter des Klägers sich an der Schreinerei ihres Vaters als atypische stille Gesellschafterin mit einer Einlage von 10 000 DM beteiligt und daß die Eltern dem Kind einen Barbetrag in dieser Höhe schenkweise zuwenden werden. Unter dem Datum vom 11. Januar 1967 schloß der Kläger mit seiner Tochter in privatschriftlicher Form einen Schenkungsvertrag über die Zuwendung eines Bargeldbetrags von 10 000 DM.

Der Gesellschaftsvertrag bestimmt u. a. , daß der Kläger für seine Geschäftsführertätigkeit eine monatliche, ergebnisunabhängige Vorwegvergütung in Höhe von 1 500 DM erhalten soll, daß sodann die festen Kapitalkonten des Klägers und seiner Tochter mit jährlich 6 v. H. verzinst werden sollen und daß der Restgewinn vom Kläger zu 80 v. H. und seiner Tochter zu 20 v. H. zustehen soll. Des weiteren bestimmt der Gesellschaftsvertrag, daß die stille Gesellschafterin die Auszahlung ihrer Gewinnanteile zwar verlangen könne, daß sie diese aber der Gesellschaft als Darlehen zur Verfügung stellen müsse, wenn sie nicht im Grundvermögen angelegt werden könnten.

In seiner Gewerbesteuererklärung für 1969 wies der Kläger einen Gewinn von insgesamt 45 398 DM aus, von dem er seiner Tochter einen Anteil von 6 582,68 DM zurechnete und als Darlehen passivierte.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das FA) erließ am 20. Januar 1971 einen Bescheid, der als einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid 1969 bezeichnet ist und auf 0 DM lautet. Darin war vermerkt, daß das Gesellschaftsverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Tochter n i c h t anerkannt werden könne. Außerdem erließ das FA am 28. Mai 1971 einen gegen den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheid für 1969. Darin behandelte das FA den erklärten Gewinn aus dem Betrieb der Schreinerei in Höhe von insgesamt 45 398 DM in vollem Umfang als Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.

Der Kläger legte gegen den Feststellungsbescheid, mit dem das FA die Anerkennung eines Gesellschaftsverhältnisses ablehnte, Einspruch ein. Hingegen focht er den gegen ihn ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1969 nicht an.

Der Einspruch des Klägers gegen den Feststellungsbescheid 1969 war erfolglos. Der Kläger erhob Klage mit dem Antrag, das FA zu verpflichten, unter Aufhebung des angefochtenen negativen Gewinnfeststellungsbescheides unter Anerkennung einer atypischen stillen Gesellschaft einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid nach Maßgabe der eingereichten Erklärung zu erlassen. Das FG wies die Klage ab. Es war der Auffassung, daß die Tochter des Klägers steuerrechtlich nicht Mitunternehmerin geworden sei, weil sie nicht am unternehmerischen Entscheidungsprozeß beteiligt und ihr Entnahmerecht in einer Weise beschränkt sei, wie dies ein Fremder nicht hingenommen hätte.

Hiergegen legte der Kläger Revision ein. Gleichzeitig beantragte der Kläger unter Berufung auf die Revisionsbegründung die Aussetzung der Vollziehung für "Einkommensteuer 1969" in Höhe von 1 251 DM und "Ergänzungsabgabe" in Höhe von 99 DM. Die Steuerbeträge, deren Vollziehung ausgesetzt werden soll, sind so errechnet, daß die Differenz zwischen der festgesetzten und der erklärten Einkommensteuerschuld des Klägers um den Einkommensteuerbetrag vermindert ist, der von der Tochter des Klägers zu zahlen wäre, wenn sie als Mitunternehmerin anerkannt würde.

Das FA beantragt, die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist aus verfahrensrechtlichen Gründen abzulehnen.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel "an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes" bestehen oder wenn die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Die Vorschrift setzt voraus, daß der Verwaltungsakt, dessen Vollziehung ausgesetzt werden soll, angefochten ist, d. h. daß gegen ihn ein außergerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt oder Klage erhoben ist (Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 69 FGO Tz. 4; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 69 FGO Tz. 6).

Im Streitfall ist der Verwaltungsakt, dessen Vollziehung ausgesetzt werden soll, nach dem eindeutigen Antrag des Klägers der Einkommensteuerbescheid für 1969. Dieser ist jedoch n i c h t angefochten, wie die Verfahrensbeteiligten auf Anfrage ausdrücklich nochmals bestätigt haben. Eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO scheidet somit aus.

2. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 FGO hat das Gericht der Hauptsache dann, wenn die "Vollziehung eines angefochtenen Feststellungsbescheides oder Steuermeßbescheides" ausgesetzt wird, "auch die Vollziehung eines aufgrund dieser Bescheide etwa ergangenen Bescheides auszusetzen".

Die Vorschrift statuiert eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß nur die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt werden kann: Die Vollziehung eines aufgrund eines Feststellungsbescheides oder eines Steuermeßbescheides ergangenen Steuerbescheides kann unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen auch dann ausgesetzt werden, wenn der Steuerbescheid nicht angefochten ist.

Der Senat kann offen lassen, ob diese Ausnahme nur eingreift, wenn die Vollziehung des Grundlagenbescheides tatsächlich ausgesetzt ist oder ob es genügt, daß die materiellen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides gegeben sind (in diesem Sinne offenbar der Beschluß des BFH vom 31. Januar 1968 I B 49/67, BFHE 91, 347, BStBl II 1968, 350). In jedem Falle setzt die Aussetzung der Vollziehung eines nichtangefochtenen Steuerbescheides voraus, daß ihm ein Bescheid zugrunde liegt, der seinerseits vollziehbar ist und dessen Vollziehung daher überhaupt ausgesetzt werden kann, sofern er angefochten ist. Daran fehlt es im Streitfall.

Rechtsprechung und Schrifttum sind sich zwar darin einig, daß ein Bescheid, mit dem das FA den Gewinn eines gewerblichen Unternehmens feststellt und mehreren Personen mit bestimmten Quoten zurechnet (sog. positiver Gewinnfeststellungsbescheid), vollziehbar ist, obwohl er nur Besteuerungsgrundlagen feststellt und keine Steuer festsetzt (vgl. z. B. Tipke/Kruse, a. a. O., § 69 Tz. 3). Für den sog. negativen Gewinnfeststellungsbescheid, wie er auch im Streitfall trotz der etwas mißverständlichen Bezeichnung vorliegt, läßt sich eine gleichartige Aussage jedoch nicht treffen. Zwar sind die Meinungen über das Wesen eines negativen Gewinnfeststellungsbescheides geteilt. Verschiedentlich wird die Auffassung vertreten, mit dem Erlaß eines negativen Gewinnfeststellungsbescheides treffe das FA keinerlei verbindliche Feststellungen, sondern lehne es nur ab, den Gewinn einheitlich festzustellen und mehreren Personen zuzurechnen (Mattern/Meßmer, Reichsabgabenordnung, Rdnr. 1570; wohl auch Tipke/Kruse, a. a. O., § 215 AO Tz. 8; unentschieden Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 215 AO Anm. 3 Abs. 2). Herrschend ist demgegenüber offenbar die Ansicht, der negative Gewinnfeststellungsbescheid enthalte neben der Ablehnung, einen positiven Gewinnfeststellungsbescheid zu erlassen, noch die verbindliche Feststellung, daß k e i n e Mitunternehmerschaft bestehe (vgl. BFH-Urteile vom 3. Juli 1956 I 221/55 U, BFHE 63, 288, BStBl III 1956, 308; vom 12. November 1959 IV 46/59 U, BFHE 70, 75, BStBl III 1960, 29; vom 20. Mai 1965 IV 5/64 U, BFHE 82, 671, BStBl III 1965, 489).

Einigkeit besteht lediglich darüber, daß ein negativer Gewinnfeststellungsbescheid keine Entscheidung über die Höhe des Gewinns, an dem mehrere beteiligt sein sollen, und keine Entscheidung über die Person, der dieser Gewinn zuzurechnen ist, enthält (vgl. insbesondere Becker/Riewald/Koch, a. a. O.; Tipke/Kruse, a. a. O., § 215 AO Tz. 8; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 15 EStG Anm. 45 e; BFH-Urteil vom 24. Oktober 1968 IV 156/63, BFHE 94, 9, BStBl II 1969, 53). Gerade darin unterscheidet sich aber der negative Gewinnfeststellungsbescheid von einem positiven Gewinnfeststellungsbescheid. Dieser Unterschied zwingt zu dem Schluß, daß der negative Gewinnfeststellungsbescheid kein vollziehbarer Verwaltungsakt ist.

a) Geht man davon aus, daß der negative Gewinnfeststellungsbescheid nur die Ablehnung des FA enthält, den Gewinn einheitlich festzustellen und mehreren zuzurechnen, so ist offensichtlich, daß eine derartige Entscheidung ebensowenig wie z. B. die Ablehnung eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen vollziehbar ist. Schon von einem angefochtenen Verwaltungsakt könnte in diesem Falle keine Rede sein, weil der gegebene Rechtsbehelf nach herrschender Lehre nicht die Anfechtungsklage, sondern die Verpflichtungsklage ist.

b) Geht man hingegen davon aus, daß der negative Gewinnfeststellungsbescheid auch die Feststellung enthält, es bestehe keine Mitunternehmerschaft, so ist eine derartige Feststellung doch eine rein negative und anders als z. B. die Feststellung eines bestimmten Gewinnanteils, der in den Einkommensteuerbescheid übernommen wird, einer Vollziehung nicht zugängig. Dies zeigt sich daran, daß die Aussetzung der Vollziehung einer Feststellung eines bestimmten Gewinnanteils die Wirkung haben muß, daß dieser Gewinnanteil nicht in den Einkommensteuerbescheid übernommen werden darf, während nicht vorstellbar ist, welche rechtliche Wirkungen es haben soll, wenn die Vollziehung einer reinen Negation, nämlich der Verneinung einer Mitunternehmerschaft ausgesetzt wird, ohne daß gleichzeitig die streitigen Gewinnanteile in bestimmter Höhe positiv einer anderen Person zugerechnet werden.

3. Der Senat muß offenlassen, ob einem Steuerpflichtigen in Fällen, in denen das FA es möglicherweise zu Unrecht abgelehnt hat, einen positiven Gewinnfeststellungsbescheid zu erlassen, vorläufiger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung des im Anschluß an den negativen Gewinnfeststellungsbescheid ergangenen Einkommensteuerbescheids wenigstens dann gewährt werden kann, wenn dieser angefochten ist. Der Senat hat zwar ausgesprochen, daß im Hinblick auf die Vorschriften des § 42 Abs. 2 FGO und des § 232 Abs. 2 AO in einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides eines Mitunternehmers ein Sachverhalt nicht berücksichtigt werden darf, über dessen rechtliche Auswirkungen im Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1970 IV B 14/69, BFHE 98, 458, BStBl II 1970, 461). Das zwingt aber noch nicht zu dem Schluß, ein angefochtener Einkommensteuerbescheid könne auch dann nicht in seiner Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines vorangegangenen negativen Gewinnfeststellungsbescheides bestehen. Man könnte eventuell die Auffassung vertreten, daß der oben erwähnte Grundsatz dann nicht eingreife, wenn noch offen sei, ob überhaupt ein Mitunternehmerverhältnis bestehe. Dieser Streit könne zwar nur im Hauptverfahren gegen einen vom FA erlassenen negativen Gewinnfeststellungsbescheid definitiv entschieden werden. Er hindere aber nicht, daß im Verfahren, das auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides gerichtet ist, summarisch geprüft werde, ob alle verfahrensmäßigen Voraussetzungen für einen Einkommensteuerbescheid in der vorliegenden Gestalt erfüllt seien. Zu diesen gehöre auch, daß die Besteuerungsgrundlagen nur insoweit als unselbständiger Teil des Steuerbescheides behandelt werden dürften, als darüber nicht gemäß § 215 AO in einem selbständigen Verfahren zu entscheiden sei. Ergebe die summarische Prüfung, daß ernstlich zweifelhaft sei, ob bestimmte als unselbständiger Teil des Steuerbescheides behandelte Besteuerungsgrundlagen nicht in einem besonderen Verfahren hätten festgestellt werden müssen - oder mit anderen Worten: daß ernstlich zweifelhaft sei, ob das Betriebs-FA es zu Recht abgelehnt habe, einen positiven einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid zu erlassen -, so könne die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides insoweit ausgesetzt werden. Das besage nicht, daß Gegenstand des Verfahrens, das auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides gerichtet sei, unmittelbar die Rechtmäßigkeit des negativen Gewinnfeststellungsbescheides sei; dessen Rechtmäßigkeit sei vielmehr nur mittelbar von Bedeutung, nämlich als Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Frage, ob alle verfahrensmäßigen Voraussetzungen für den Bestand eines Einkommensteuerbescheides in der vorliegenden Gestalt erfüllt seien.

Diese Erwägungen könnten dem Kläger im Streitfall nicht helfen, weil der Einkommensteuerbescheid nach der ausdrücklichen Erklärung der Verfahrensbeteiligten nicht angefochten ist. Eine abschließende Stellungnahme erübrigt sich daher.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71113

BStBl II 1975, 711

BFHE 1975, 417

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