Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids bei Überbestand an Wirtschaftsgebäuden

 

Leitsatz (NV)

Für einen Zuschlag am Vergleichswert eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs wegen Überbestands an Wirtschaftsgebäuden bedarf es in tatsächlicher Hinsicht der Feststellung, daß am Stichtag zusätzliche, den gegendüblichen Gebäudebestand eines vergleichbaren Betriebs übersteigende Wirtschaftsgebäude vorhanden sind, die zu einer Steigerung der Ertragsfähigkeit führen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; BewG § 41

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) unterhalten einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Neben den in ihrem Eigentum stehenden Acker- und Grünlandflächen (einschließlich Hof- und Gebäudeflächen) von etwa 7 ha bewirtschafteten die Antragsteller zugepachtete Flächen von insgesamt rd. 60 ha.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) führte für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Antragsteller auf den 1. Januar 1984 eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung durch, durch die der Einheitswert auf (abgerundet) 33900 DM erhöht wurde.

Gleichzeitig erließ das FA im Wege der Neuveranlagung einen Grundsteuermeßbescheid, durch den es den Meßbetrag auf 203,40 DM erhöhte.

Die Erhöhung des Einheitswerts beruht auf einem Zuschlag am Vergleichswert nach § 41 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Höhe von 17640 DM wegen eines vom FA angenommenen Überbestandes an Wirtschaftsgebäuden (Gebäudezuschlag). Das FA legte hierbei den (durchschnittlichen) Anteil der Wirtschaftsgebäude am Vergleichswert mit 20 v. H. zugrunde, wie er sich nach der dem gleichlautenden Erlaß der obersten Finanzbehörden der Länder vom 10. Juli 1970 zur Verteilung der Einheitswerte der Betriebe der Land- und Forstwirtschaft nach 49 BewG 1965 (BStBl I 1970, 906) - Erlaß vom 10. Juli 1970 - beigefügten Tabelle ergibt, und errechnete den Zuschlag wie folgt:

,,Mittlerer landwirtschaftlicher Hektarwert der Gemeinde 1490 DM/ha

Vergleichswert der eigenen Flächen 11577 DM

Vergleichswert der eigenen und zugepachteten Flächen 102094 DM

Anteil der Wirtschaftsgebäude am Vergleichswert

(nach Tabelle zur Verteilung des Einheitswerts gemäß

§ 49 BewG 1965) 20 v. H.

Tatsächlicher Besatz an Wirtschaftsgebäuden 20418 DM

Gegendüblicher Besatz an Wirtschaftsgebäuden bezogen

auf die eigenen Flächen 2315 DM

Überbestand an Wirtschaftsgebäuden 18103 DM

Kürzung nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 463 DM

Grundlage für Zuschlag 17640 DM"

Wegen des Gebäudezuschlags haben die Antragsteller gegen den Wertfortschreibungsbescheid Klage erhoben. Sie haben ferner - nach Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung des Einheitswertbescheids durch das FA - beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des Einheitswertbescheids und des Grundsteuermeßbescheids im angefochtenen Umfang beantragt. Die Antragsteller sind der Auffassung, daß ein Gebäudezuschlag nur in Ausnahmefällen (z. B. bei Gebäudeinvestitionen auf Grund von Zupachtungen) in Betracht komme; ein solcher Ausnahmefall liege jedoch nicht vor.

Das FG gab dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des angefochtenen Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1984 mit der Maßgabe aus, daß bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache von einem Einheitswert von 16300 DM auszugehen sei. Die Vollziehung des Grundsteuermeßbetragsbescheids auf den 1. Januar 1984 wurde in Höhe eines Meßbetrags von 105,60 DM ausgesetzt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde des FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des angefochtenen Wertfortschreibungsbescheids spricht der bisherige Sach- und Streitstand dafür, wegen Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht mit dem FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zuschlags am Vergleichswert wegen eines Überbestandes an Wirtschaftsgebäuden zu bejahen.

Bei der Ermittlung des Ertragswerts eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im vergleichenden Verfahren (§ 37 bis 41 BewG) sind für die in § 38 Abs. 2 Nr. 1 BewG nicht genannten wirtschaftlichen Ertragsbedingungen, insbesondere die Betriebsorganisation und die Betriebsmittel die in der Gegend als regelmäßig anzusehenden Verhältnisse maßgebend (§ 38 Abs. 2 Nr. 2 BewG). Zu diesen wirtschaftlichen Ertragsbedingungen gehören sowohl der Viehbestand als auch der Bestand an Wirtschaftsgebäuden. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse bei einer Nutzung oder einem Nutzungsteil von den bei der Bewertung unterstellten regelmäßigen Verhältnissen der Gegend um mehr als 20 v. H. ab und sind die in § 41 Abs. 1 Nr. 2 BewG genannten Mindestgrenzen erreicht, so ist am Vergleichswert ein Abschlag oder Zuschlag zu machen, der sich nach der durch die Abweichung bedingten Minderung oder Steigerung der Ertragsfähigkeit bemißt (§ 41 Abs. 2 BewG).

Für die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage, ob der land- und forstwirtschaftliche Betrieb der Antragsteller zum Bewertungsstichtag 1. Januar 1984 einen Überbestand an Wirtschaftsgebäuden aufweist, kommt es darauf an, ob in diesem Betrieb in seiner konkreten Ausgestaltung entsprechend den betrieblichen Notwendigkeiten Wirtschaftsgebäude in einem Umfang vorhanden sind, der das gewöhnliche, d. h. nach den gegendüblichen Verhältnissen des Hauptfeststellungszeitpunkts (1. Januar 1964) unterstellte Maß übersteigt. Dabei dürfen zur Beurteilung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nach 2 Abs. 2 BewG regelmäßig nur die im Eigentum der Betriebsinhaber stehenden Wirtschaftsgüter zu einer wirtschaftlichen Einheit i. S. des § 33 BewG zusammengefaßt werden. Das bedeutet insbesondere, daß nur der den Antragstellern gehörende Grund und Boden, nicht jedoch zugepachtete Flächen, berücksichtigt werden dürfen, auch wenn diese mit den Eigentumsflächen zusammen bewirtschaftet werden. Im Streitfall ist das FA deshalb zu Recht nur von der im Eigentum der Antragsteller stehenden und im Vergleichswert erfaßten Nutzfläche von 7,77 ha ausgegangen, als es geprüft hat, ob der am Stichtag vorhandene Gebäudebestand den gegendüblichen Gebäudebestand eines der Größe nach vergleichbaren Betriebs übersteigt.

Dazu bedarf es jedoch in tatsächlicher Hinsicht der Feststellung, daß zusätzliche Wirtschaftsgebäude vorhanden sind, die zu einer Steigerung der Ertragsfähigkeit führen. Denn der Umstand, daß die Antragsteller in größerem Umfang Stückländereien hinzugepachtet haben, belegt für sich allein noch keinen Überbestand an Wirtschaftsgebäuden (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 1992 II R 24/88, BFHE 168, 422, BStBl II 1992, 874, HFR 1992, 680). Auch wenn der Umstand der Zupachtung größerer Acker- und Grünlandflächen - insbesondere bei einem Betrieb mit umfangreicher Tierhaltung - die Überprüfung nahelegt, ob die aus Anlaß der Zupachtung neu errichteten Wirtschaftsgebäude oder der bereits vorhandene, auf einen ehemals aber wesentlich größeren Betrieb ausgelegte Gebäudebesatz zu einem Überbestand an Wirtschaftsgebäuden führen, so kann dieser doch nicht allein auf Grund einer Zupachtung unterstellt werden.

Im Streitfall fehlen, wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, zugängliche ausreichende Feststellungen des FA zum tatsächlich vorhandenen Gebäudebestand. Diese können auch nicht dadurch ersetzt werden, daß der nach Maßgabe der Tabelle im Erlaß vom 10. Juli 1970 geschätzte Anteil der Wirtschaftsgebäude am Vergleichswert der insgesamt bewirtschafteten Fläche dem Anteil der Wirtschaftsgebäude am Vergleichswert der eigenen Flächen gegenübergestellt wird. Ebensowenig läßt sich entgegen der Auffassung des FA der tatsächlich vorhandene Bestand an Wirtschaftsgebäuden auf Grund des durchschnittlichen Viehbestands nach Maßgabe der Vieheinheiten VE) im Wirtschaftsjahr 1982/83 errechnen. Diese Berechnung begründet zwar eine Vermutung dafür, daß die von den Antragstellern zur Unterbringung ihrer Tierbestände benötigte Stallkapazität wesentlich größer ist als es dem gegendüblichen Bestand an Stallgebäuden eines 7 ha-Betriebes entspricht, zumal im Streitfall der land- und forstwirtschaftliche Betrieb der Rechtsvorgänger der Antragsteller ca. 48 ha umfaßte. Doch kann diese Vermutung die notwendige Feststellung des tatsächlich vorhandenen Bestands an Wirtschaftsgebäuden zum Stichtag 1. Januar 1984, der mit dem für einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb vergleichbarer Größe gegendüblichen Gebäudebestand zu vergleichen ist, nicht ersetzen. Zwar können Alter und baulicher Zustand der vorhandenen Stallgebäude unberücksichtigt bleiben, solange sie ihrer Funktion zur Unterbringung der Tierbestände genügen. In diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, daß die Stallgebäude der Ertragssteigerung dienen (vgl. auch das o. a. Senatsurteil vom 15. Juli 1992 II R 24/88); doch setzt dies zunächst eine Aufnahme des tatsächlichen Bestandes voraus.

Das FA beruft sich zwar darauf, daß während des Erörterungstermins am 14. September 1989 auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Antragsteller eine Bestandsaufnahme der Wirtschaftsgebäude vorgenommen worden sei. Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme mit einer Auflistung des Gebäudebestands (insbesondere der Stallgebäude und ihrer Stellmöglichkeiten) sowie eine Darlegung des für einen 7 ha-Betrieb gegendüblichen Gebäudebestands hat das FA jedoch weder mitgeteilt noch befindet sich ein dieses dokumentierendes Schriftstück weder in den Einheitswertakten des FA noch in den FG-Akten. Dem erkennenden Senat war insoweit eine Überprüfung weder möglich noch war sie im summarischen Verfahren geboten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418733

BFH/NV 1993, 517

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