Entscheidungsstichwort (Thema)

Formerfordernisse der Revision

 

Leitsatz (NV)

1. Die genaue Bezeichnung des angefochtenen Urteils gehört zu den Formerfordernissen der Revision. In der Revisionsschrift fehlende Angaben müssen innerhalb der Revisionsfrist nachgeholt werden oder innerhalb dieser Frist den vorinstanzlichen Akten entnommen werden können.

2. Wird die Revision wie eine Nichtzulassungsbeschwerde begründet, so ist dies wie eine Bezugnahme auf eine solche Beschwerde zu werten.

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise die Bezugnahme auf eine Nichtzulassungsbeschwerde als Revisionsbegründung anerkannt werden kann.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2

 

Tatbestand

Angefochten sind zwei am gleichen Tage wegen ,,Zwangsvollstreckung" und ,,Aufrechnung" ergangene Urteile des Finanzgerichts (FG), durch die Klagen des Klägers und Revisionsklägers gegen das Finanzamt - FA - auf Rückgabe von Pfandgegenständen, Erstattung eingezogener Beträge und Untersagung von Pfändungsverfügungen sowie gegen eine vom FA erklärte Aufrechnung abgewiesen wurden. Revision ist in den Urteilen nicht zugelassen worden. Der Kläger reichte beim FG folgende Revisionsschrift - vom 14. Oktober 1987 - ein:

,,Gegen das Urteil in dem Finanzrechtsstreit (folgt Angabe der Parteien) wegen Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1960 bis 1980, Gewerbesteuermeßbetrag 1970 bis 1979, Einheitswert des Betriebsvermögens a. d. 1. 1. 1970, 1972, 1974, 1977, Vermögensteuer a. d. 1. 1. 1972, 1974, 1977, 1980 wird Revision vor dem Bundesfinanzhof eingelegt."

Die Revisionsschrift enthält im übrigen nur den Hinweis auf ein eine andere Klagesache betreffendes Auftragsschreiben des Klägers sowie auf das Zustellungsdatum, ferner die Bitte, für die Begründung eine vierwöchige Frist zu gewähren. Nachdem das FG nachträglich - durch am 25. November 1987 zugestellte Beschlüsse - die Revision zugelassen hatte, stellte der Kläger mit seinem am 21. Dezember 1987 eingegangenen Schriftsatz unter Angabe der finanzgerichtlichen Aktenzeichen und der Sachgegenstände ,,Aufrechnung" und ,,Zwangsvollstreckung" den Antrag, die Kosten dem FA aufzuerlegen. Mit Schriftsatz vom 20. Januar 1988 - Eingang 21. Januar 1988 - reichte der Kläger eine ,,Begründung" ein. Diese enthält Ausführungen zu folgenden Punkten: ,,1. Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs" - Urteil vom 2. April 1987 VII R 148/83, BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536 (Aufrechung) -, ,,2. Grundsätzliche Bedeutung, 3. Erledigung der Hauptsache, 4. Zwangsvollstreckung" und den Antrag, ,,den Versteigerungserlös gemäß den aufgehobenen Pfändungsverfügungen und fehlerhaften Aufrechungserklärungen zu erstatten".

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen, über die gemeinsam entschieden wird (entsprechend § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), sind wegen Nichtbeachtung der Formerfordernisse unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).

Unschädlich ist, daß die Revisionen bereits vor ihrer Zulassung eingelegt worden sind. Sie sind mit Zustellung der Zulassungsbeschlüsse - an sich - zulässig geworden und brauchen nicht erneut eingelegt zu werden (Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 120 Anm. 12; Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, 1986, Rdnr. 188 mit Nachweisen). Indessen ist die gesetzliche Form nicht gewahrt.

Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO). Dieses muß so genau bezeichnet werden, daß ein Irrtum ausgeschlossen ist (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474). Dazu bedarf es der Angabe der Vorinstanz, des Tages der Entscheidung, des Sachgegenstandes und des Aktenzeichens (BFH, Beschluß vom 24. Februar 1986 IX R 130 /83, BFH / NV 1986, 542). Die Revisionsschrift vom 14. Oktober 1987 erfüllt keines dieser Erfordernisse, auch nicht das der Angabe des Sachgegenstandes, denn dieser ist völlig anders bezeichnet als in den Urteilen des FG. Es ist nach dem Wortlaut der Revisionsschrift (,,gegen das Urteil") sogar unklar, ob sich der Kläger gegen beide Urteile, gegen eines von ihnen oder gegen ein drittes Urteil wendet. Eine solche Unklarheit geht zu Lasten des Revisionsklägers (vgl. BFH, Beschluß vom 23. Mai 1973 I R 187-188/71, BFHE 109, 422, BStBl II 1973, 684). Allerdings reicht es aus, wenn die fehlenden Angaben innerhalb der Revisionsfrist - hier durch Zustellung der Zulassungsbeschlüsse in Gang gesetzt (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) - nachgeholt werden oder wenn sie innerhalb dieser Frist den Akten der Vorinstanz entnommen werden können (im Falle einer bereits zugelassenen oder zulassungsfreien Revision beim FG; vgl. Senat, Urteil vom 30. April 1980 VII R 94/74, BFHE 130, 480, 482, BStBl II 1980, 588). Insoweit könnte es auf den innerhalb der Revisionsfrist eingegangenen ,,Kostenantrag" des Klägers ankommen, der die finanzgerichtlichen Aktenzeichen und Sachgegenstände bezeichnet. Ob diese Angaben genügen und eindeutig auf die Revision(en) bezogen werden können oder ob noch fehlende Angaben - nur einzelne (vgl. Gräber / Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 5) - vom Gericht bis Fristablauf den sonstigen Umständen, insbesondere den vorinstanzlichen Akten, hätten entnommen werden können, kann zweifelhaft sein. Das gilt vor allem deshalb, weil sich aus den Akten ergibt, daß eine Zuordnung der Aktenzeichen der vom Kläger vor dem beschließenden Senat und vor einem anderen Senat des BFH geführten Verfahren erst nach Ablauf der Revisionsfrist möglich war. Die Frage braucht aber nicht entschieden zu werden. Auch wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, daß die Revisionsschrift als solche - in ergänzter Form - den gesetzlichen Erfordernissen genügt, sind die Revisionen unzulässig, und zwar deshalb, weil sie nicht in der vorgeschriebenen Weise begründet worden sind.

Spätestens die Revisionsbegründung muß einen bestimmten Antrag enthalten (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO), ferner muß sie erkennen lassen, welche Rechtsnorm der Revisionskläger für verletzt hält. Auch wenn ein förmlicher Antrag nicht unbedingt erforderlich ist, es vielmehr genügt, wenn sich aus der Revisionsbegründung eindeutig ergibt, inwieweit der Kläger sich durch das angegriffene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er eine Änderung erstrebt (Gräber / Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 27 mit Nachweisen), bestehen - zumindest, soweit es sich um das wegen ,,Zwangsvollstreckung" ergangene FG-Urteil handelt - unter Berücksichtigung des vom Kläger in der ,,Begründung" gestellten Antrags Zweifel, ob diesen Formerfordernissen genügt ist.

Der Senat kann aber auch diese Frage offenlassen. Jedenfalls kann der Inhalt des Schriftsatzes vom 20. Januar 1988 nicht als ausreichende Revisionsbegründung angesehen werden.

Zu einer formgerecht begründeten Revision gehört eine wenigstens kurze Auseinandersetzung mit den Gründen der Vorentscheidung (BFH, Beschlüsse vom 28. Mai 1986 IV R 24/85, BFH / NV 1988, 369, und vom 16. Oktober 1984 IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; ständige Rechtsprechung). Diesen Mindestanforderungen wird die - noch nicht einmal als Revisionsbegründung bezeichnete - Schrift vom 20. Januar 1988 in bezug auf keines der angefochtenen Urteile gerecht. Die darin enthaltenen Ausführungen zu 1. und 2. (,,Abweichung von einer Entscheidung . . ." und ,,Grundsätzliche Bedeutung"), die der Kläger (auch) auf das wegen Aufrechnung ergangene FG-Urteil zu beziehen scheint, sind solche, wie sie zur Begründung einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision in Betracht kommen könnten (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, Abs. 3 Satz 3 FGO). Sie können somit nicht anders beurteilt werden als die in einem zur Begründung der Revision eingereichten Schriftsatz enthaltene Bezugnahme auf eine Nichtzulassungsbeschwerde. Eine solche Bezugnahme reicht als Revisionsbegründung regelmäßig nicht aus, weil in der Nichtzulassungsbeschwerde im allgemeinen etwas anderes darzulegen oder zu bezeichnen ist als in einer Revisionsbegründung (vgl. Tipke / Kurse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 120 FGO, Tz. 55, e; Gräber / Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 35, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Ausnahmen sind allerdings möglich, etwa dann, wenn schon die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eine gründliche Auseinandersetzung mit der Vorentscheidung enthält und in der Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird (vgl. BFH, Urteil vom 25. Juli 1978 VIII R 23/78, BFHE 126, 260, BStBl II 1979, 116). Eine solche Rüge ist erforderlich, weil in der Nichtzulassungsbeschwerde nur der Zulassungsgrund dargetan wird, die Revision aber auch und vor allem einen Revisionsangriff gegen das angefochtene Urteil nötig macht. Hier brauchte die Auseinandersetzung nur im Aufzeigen der Divergenz zwischen dem Urteil der Vorinstanz, die die Aufrechnungserklärung des FA (stillschweigend) als Verwaltungsakt angesehen hatte, und dem Senatsurteil in BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536 zu bestehen; dieses Urteil hat der Kläger bezeichnet. Es fehlt jedoch an einer entsprechenden Revisionsrüge. Ist diese nicht ausdrücklich erhoben, so muß sie wenigstens eindeutig der Revisions- oder Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen sein; eine nicht in der Rechtsmittelschrift zum Ausdruck kommende Absicht des Revisionsklägers genügt nicht. In dem bloßen Hinweis auf die Divergenz sowie darauf, daß die vom Senat in BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536 berücksichtigten ,,Rechtsquellen und Literaturmeinungen" auch dem FG hätten bekannt gewesen sein müssen, kann eine Revisionsrüge ebensowenig gesehen werden wie in den zwei Sätze umfassenden Ausführungen zu Nr. 2 der ,,Begründung", mit denen der Kläger Vertrauensschutz aufgrund der der angefochtenen Aufrechnungserklärung des FA beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung beansprucht.

Hinsichtlich des FG-Urteils wegen Zwangsvollstreckung liegt gleichfalls keine ordnungsgemäße Revisionsbegründung vor. Die Ausführungen zu Nr. 4 der ,,Begründung" betreffen eine Immobiliarzwangsvollstreckung, die nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils ist. Der insoweit allein als Begründung in Betracht kommende einzige Satz (in Nr. 2 der Begründung über ,,Auswirkungen bei Geltendmachung von Erstattungsansprüchen, die mittels fehlerhafter Aufrechnungserklärung . . . verrechnet wurden") genügt selbst dann nicht den vorstehend entwickelten Anforderungen, wenn er im Zusammenhang mit Nr. 1 der ,,Begründung" - diese bezogen auf das Urteil wegen Zwangsvollstreckung - gewürdigt wird.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 241

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