Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust des Ablehnungsrechts durch rügelose Einlassung in einem Erörterungstermin

 

Leitsatz (NV)

1. Nimmt ein Beteiligter an einem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter teil, ohne mögliche Ablehnungsgründe wegen Besorgnis der Befangenheit gegen ihn geltend zu machen, verliert er sein Ablehnungsrecht.

2. Das gilt auch für eine im Termin angeblich erkennbar gewordene Voreingenommenheit des Berichterstatters sowie die lückenhafte Protokollierung der von diesem geäußerten Rechtsansichten.

3. Legt der Berichterstatter in seiner dienstlichen Äußerung dar, daß der Beteiligte bereits aufgrund von Hinweisen in der Ladung von Anfang an mißgestimmt gewesen sei, so begründet allein das nicht die Besorgnis der Befangenheit.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2, §§ 43, 44 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte gemeinschaftlich mit seinem Sozius, dem Beteiligten, Einkünfte aus selbständiger Anwaltstätigkeit. Gegen die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) im Anschluß an eine Betriebsprüfung für die Jahre 1981 bis 1983 gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte haben der Kläger und der Beteiligte Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. In der Sache geht es u.a. um die Frage, ob von der Sozietät getragene Strom- und Heizkosten für Räume, die von den Söhnen des Beteiligten zu Wohnzwecken genutzt wurden, als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.

Am 5. August 1992 hat die Berichterstatterin, Richterin X, einen Erörterungstermin abgehalten, an dem der Kläger bis zum Ende teilgenommen hat.

Erstmals mit Schriftsatz vom 18. August 1992 hat der Kläger beantragt, die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung hat er sich im wesentlichen darauf berufen, daß sowohl die Verfahrensweise der Richterin als auch die von ihr im Erörterungstermin geäußerten Rechtsansichten ihre Voreingenommenheit erkennen ließen.

Im Anschluß an die von der abgelehnten Richterin unter dem 21. August 1992 abgegebene dienstliche Äußerung hat der Kläger weiter vorgetragen, daß er sein Gesuch auch auf die mangelhafte Protokollierung der von der Richterin im Erörterungstermin geäußerten Rechtsansichten, die seiner Ansicht nach abwegig seien, stütze. Dieser Grund sei erst nach dem Erörterungstermin bekannt geworden. Außerdem komme in der dienstlichen Äußerung der Richterin zum Ausdruck, daß sie von vornherein gegen den Kläger eingenommen gewesen sei. Es treffe nämlich nicht zu, daß von Beginn des Termins an eine angespannte Atmosphäre geherrscht habe. Wenn die Richterin einen solchen Eindruck gehabt habe, so beruhe dies darauf, daß sie voreingenommen gewesen sei und daher jede Äußerung nicht nur als gegen sich, sondern auch gegen das FA gerichtet, empfunden habe. Tatsächlich habe der Erörterungstermin in durchaus sachlicher Form begonnen. Zu einer angespannten Atmosphäre sei es erst gekommen, als die Richterin ihre abwegigen Rechtsansichten vorgetragen habe.

Mit Beschluß vom 13. Oktober 1992 hat das Finanzgericht (FG) das Ablehnungsgesuch des Klägers abgelehnt. Die abgelehnte Richterin hat an diesem Beschluß nicht mitgewirkt.

Dagegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat. Er beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben und dem Ablehnungsgesuch stattzugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Klägers und sein Ablehnungsgesuch sind unbegründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies setzt voraus, daß ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte dafür sprechen, daß das Verhalten des Richters auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür beruht.

2. Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Vorbringen des Klägers nicht die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterin.

a) Offenbleiben kann dabei, ob die vom Kläger im Zusammenhang mit der Durchführung des Erörterungstermins vorgetragenen Gründe die Annahme der Voreingenommenheit begründen könnten. Eine Ablehnung der Berichterstatterin kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger sein Rügerecht insoweit verloren hat.

Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr benannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen hat. Verhandlung im vorgenannten Sinne ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (z.B. Beschlüsse des BFH vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577; vom 22. Mai 1991 IV B 48/90, BFH/NV 1992, 395; vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524) auch das Abhalten eines Erörterungstermins. Deshalb müssen Ablehnungsgründe, die während des Erörterungstermins entstehen, bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden. Darüber hinaus muß sich die Partei weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will (BFH in BFH/NV 1992, 395; in BFH/NV 1992, 524).

Der Kläger hat in dem Erörterungstermin vom 5. August 1992 die Befangenheit der abgelehnten Richterin nicht gerügt. Er hat vielmehr am Erörterungstermin bis zu dessen Ende teilgenommen. Folglich kann er sich mit Aussicht auf Erfolg allenfalls auf solche Gründe berufen, die erst nach dem Erörterungstermin entstanden sind. Dazu gehören aber die von ihm beanstandete Verfahrensweise der Richterin im Erörterungstermin und deren in diesem Termin angeblich erkennbar gewordene Voreingenommenheit sowie die lückenhafte Protokollierung ihrer geäußerten Rechtsansichten nicht.

Allerdings ist der Kläger der Ansicht, daß ein Verlust des Ablehnungsgrundes durch rügelose Einlassung in die Verhandlung deshalb nicht eingetreten sei, weil es sich bei der von der Richterin anberaumten Sitzung überhaupt nicht um einen Erörterungstermin im Sinne eines zweiseitigen Sachgesprächs gehandelt habe. Der Beteiligte und er seien zu Punkten vernommen worden, auf die sie sich nicht hätten vorbereiten können. Außerdem sei die Richterin zu einem sachdienlichen Gespräch nicht in der Lage gewesen, weil sie angenommen habe, bei Sitzungsbeginn eine angespannte Atmosphäre vorzufinden. Diese vom Kläger vertretene Auffassung ist unzutreffend. Für den Verbrauch der Ablehnungsgründe ist allein entscheidend, daß der Kläger durch seine weitere Teilnahme am Termin das Vertrauen in die Unbefangenheit der Richterin zum Ausdruck gebracht hat.

b) Anhaltspunkte für eine berechtigte Besorgnis des Klägers i.S. der §§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, 42 Abs. 2 ZPO ergeben sich auch nicht aus der von ihm gerügten dienstlichen Äußerung.

Die Richterin hat niedergelegt, daß der Erörterungstermin in sehr angespannter Atmosphäre stattgefunden habe, weil insbesondere der Beteiligte aufgrund der Hinweise in der Ladung zum Termin von Anfang an mißgestimmt gewesen sei und auf die von ihr zur Aufklärung des Sachverhalts gestellten Fragen und geäußerten Rechtsansichten zunehmend heftiger reagiert habe und sein Mißfallen lautstark kundgetan habe. Diese Äußerung vermag entgegen der Annahme des Klägers die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Es handelt sich dabei lediglich um eine sachliche Beschreibung von Geschehnissen im Sitzungsverlauf. Im übrigen hat auch der Kläger vorgetragen, daß die Verhandlung in eine angespannte Atmosphäre geraten sei, als die Richterin ihre Rechtsansichten vorgetragen habe. Daß die Richterin etwa dem Beteiligten und dem Kläger gegenüber von vornherein voreingenommen gewesen wäre, läßt sich der beanstandeten Äußerung nicht entnehmen.

Daß die Richterin in ihrer dienstlichen Äußerung dargelegt hat, im Anschluß an die Fragen zum Sachverhalt ihre Rechtsansicht zu den in diesem Verfahren relevanten Punkten vorgetragen zu haben, ist ebenfalls nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Die Richterin hat insoweit nur ein in den Ablauf der Sitzung fallendes Ereignis wiedergegeben. Die vom Kläger demgegenüber vertretene Ansicht, die Richterin habe durch diese Äußerung zu erkennen gegeben, daß sie an den von ihr vertretenen Rechtsauffassungen festhalte und für andere Argumente nicht mehr offen sei, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419341

BFH/NV 1994, 558

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