Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfortbildung; Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

 

Leitsatz (NV)

  1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH verpflichtet § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 die Finanzbehörde wegen der von einem Grundlagenbescheid für den Folgebescheid ausgehenden Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO 1977) grundsätzlich dazu, Folgebescheide anzupassen.
  2. Höchstrichterlich ist ebenfalls geklärt, dass eine unterlassene, unrichtige oder unvollständige Auswertung eines Grundlagenbescheides in dem Folgebescheid grundsätzlich die Anpassungspflicht nicht verbraucht. Vielmehr geht diese dann in eine entsprechende Pflicht zur Richtigstellung über.
  3. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid (Folgebescheid) zu ändern, solange sich dessen Besteuerungsgrundlagen nicht mit den Feststellungen des entsprechenden Grundlagenbescheides decken.
 

Normenkette

AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 17.04.2003; Aktenzeichen 12 K 6505/02 E)

 

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestandes sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legen die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. und 2. Alternative FGO nicht gemäß den gesetzlichen Anforderungen dar (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "Ob" und ggf. "Wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).

Nach ständiger Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 15. Februar 2001 IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007, m.umf.N.; vom 16. Juli 2003 X R 37/99, BFHE 203, 14, BStBl II 2003, 867) verpflichtet § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend der von einem Grundlagenbescheid für den Folgebescheid ausgehenden Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO 1977) die Finanzverwaltung grundsätzlich dazu, Folgebescheide anzupassen. Durch eine unterlassene, unrichtige oder unvollständige Auswertung eines Grundlagenbescheides in dem Folgebescheid kann die Anpassungspflicht grundsätzlich nicht verbraucht werden, vielmehr geht sie dann in eine entsprechende Pflicht zur Richtigstellung über (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2000 X R 42/96, BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471, unter II. 2. a der Gründe, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 15. Mai 2003 XI B 171/02, BFH/NV 2003, 1286, m.w.N.).

Aus dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, dass § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 die Änderung eines Steuerbescheides (Folgebescheides) immer dann verlangt, solange sich dessen Besteuerungsgrundlagen nicht mit den Feststellungen des entsprechenden Grundlagenbescheides decken.

Die Kläger haben insoweit keinen weiteren oder erneuten Klärungsbedarf dargetan (dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1286). Die von ihnen aufgeworfene Frage einer sich beliebig verlängernden Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 stellt sich im Streitfall erkennbar nicht. Weder liegt ein wiederholender ―fehlerhafter― Grundlagenbescheid vor, noch war im Streitfall die normale Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1999 nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 abgelaufen, so dass es eines Rückgriffs auf die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 für den Erlass des korrigierten Einkommensteuer-Änderungsbescheides für 1999 vom 18. Juli 2002 nicht bedurfte.

2. Die Kläger legen auch nicht die Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO dar.

Sie haben nicht vorgetragen, dass das Finanzgericht (FG) von der ständigen Rechtsprechung des BFH abweicht (zu den Anforderungen an eine Divergenzrüge BFH-Beschluss vom 11. August 2003 III B 147/02, BFH/NV 2004, 13, 14, m.w.N.).

Ebenso wenig haben die Kläger eine offensichtlich fehlerhafte materiell-rechtliche Rechtsanwendung des FG von einigem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung dargetan, die zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erforderlich machen könnte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 13, 14, m.w.N.).

Vielmehr hat das FG auf der Grundlage der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie sie u.a. auch in dem von den Klägern selbst zitierten Urteil des BFH in BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471 wiedergegeben wird, zutreffend die Pflicht der Verwaltung zur Korrektur eines Folgebescheides wegen fehlerhafter Auswertung eines Grundlagenbescheides festgestellt (s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1286).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1170908

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