Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Der Umstand, daß ein Richter -- im laufenden Streitverfahren oder in einer früheren richterlichen Entscheidung -- eine von den Prozeßbeteiligten vertretene Rechtsmeinung aus deren Sicht nicht in der gebotenen Weise oder überhaupt nicht berücksichtigt, kann grundsätzlich den Vorwurf der Parteilichkeit nicht begründen.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

In dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) wegen Umsatzsteuer 1990 wendet der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) sich gegen die Heranziehung zur Umsatzsteuer, u. a. deshalb, weil die kumulierte Einkommen- und Umsatzbesteuerung zu einer verfassungswidrigen Besteuerung des Existenzminimums führe. Die "Zurückschreibung" der für die Besteuerung als Kleinunternehmer maßgebenden Jahresumsatzgrenze von 60 000 DM auf 25 000 DM in § 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) durch das Steuerreformgesetz 1990 verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Mit Schriftsatz vom 4. Mai 1994 lehnte der Kläger die Richter des FG-Senats -- Vorsitzender Richter am FG B und die Richter am FG H, F und A -- als befangen ab. Er begründete dies damit, daß diese Richter an den vorangegangenen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 1990 mitgewirkt haben. In den beiden jeweils ablehnenden Aussetzungsbeschlüssen komme sein verfassungsrechtliches Vorbringen nicht zum Ausdruck. Er habe beim Präsidenten des FG Schadensersatzansprüche im Rahmen der Staatshaftung geltend gemacht. Für die abgelehnten Richter bestehe mithin die Möglichkeit, in Regreß genommen zu werden. Daraus folge ihr Parteieigenschaft, die die Richtereigenschaft ausschließe.

Das FG hat den Antrag -- ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter -- zurückgewiesen, und zwar hinsichtlich des nicht mehr dem Senat angehörenden Richters am FG A als unzulässig, hinsichtlich der übrigen abgelehnten Richter als unbegründet. Eine Richterablehnung könne grundsätzlich nicht auf die Rüge rechtsfehlerhafter Entscheidungen gestützt werden, insbesondere -- wie hier in den Aussetzungsverfahren -- solcher in einem früheren Verfahrensabschnitt oder in einem Parallelverfahren. Eine Ausnahme könne lediglich bei offenbarer Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmeinung gegeben sein, wenn außerdem ein Anhaltspunkt dafür vorliege, daß diese auf unsachlichen und willkürlichen Erwägungen beruhe. Dafür sei hier nichts ersichtlich. Gleiches gelte für die vom Kläger behauptete Befürchtung der abgelehnten Richter, ggf. regreßpflichtig zu werden. Es fehle nach Mitteilung des Präsidenten des FG bereits an einer Schadens ersatzforderung des Klägers. Im übrigen könne ein Verfahrensbeteiligter nicht durch sein eigenes Verhalten einen Ablehnungsgrund herbeiführen. -- Dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter habe es nicht bedurft, da es nicht um deren Verhaltensweisen, sondern um den Inhalt der beanstandeten Entscheidungen und damit um einen feststehenden Sachverhalt gehe.

Der Kläger wendet sich hiergegen mit einer Beschwerde, die er im wesentlichen damit begründet, daß sein Vorbringen der Verfassungswidrigkeit der Umsatzbesteuerung in den Aussetzungsverfahren wiederholt und demonstrativ unberücksichtigt geblieben sei. Der rechtsuchende Bürger werde hierdurch "verkaspert". Es sei auch unzutreffend, daß er keine Schadensersatzansprüche beim Präsidenten des FG geltend gemacht habe.

Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hält das Beschwerdevorbringen für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, m. w. N.). Ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit kann grundsätzlich nicht erfolgreich auf das Vorbringen gestützt werden, daß einem Richter Fehler unterlaufen seien. Das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit soll die Beteiligten nicht vor Fehlern des Richters schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat vielmehr allein den Zweck, die Beteiligten davor zu bewahren, daß an der Entscheidung der sie betreffenden Streitsache ein Richter mitwirkt, dem gegenüber die Besorgnis begründet ist, daß er ihnen mit Voreingenommenheit begegne (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638; vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308; vom 2. September 1991 XI B 27/90, BFH/NV 1992, 124).

Der BFH hat deshalb die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten durch einen Richter -- im laufenden Streitverfahren oder in einer früheren richterlichen Entscheidung -- grundsätzlich nicht ausreichen lassen, um die Befangenheit des Richters zu besorgen, auch wenn diese falsch sein sollten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404; vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; in BFH/NV 1992, 124). Nicht anders kann es sich verhalten, wenn der Richter eine von den Prozeßbeteiligten vertretene Rechtsmeinung aus deren Sicht nicht in der gebotenen Weise oder überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. auch BFH- Beschluß vom 11. August 1986 IV B 12/86, BFH/NV 1988, 89). Eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellungg des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH-Beschlüsse in BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638 und in BFH/NV 1992, 124).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze rechtfertigen die von dem Kläger vorgetragenen Gründe nicht die Besorgnis der Befangenheit. Der Kläger hat keine Umstände dargetan, die auf eine unsachliche oder willkürliche Einstellung der Richter B, H und F bei der Entscheidung hindeuten. Es kann deshalb dahinstehen, ob die von dem Kläger als befangen abgelehnten Richter die gerügte Verfassungswidrigkeit des § 19 UStG 1980 in den Aussetzungsverfahren hinreichend gewürdigt haben.

Inwiefern die vom Kläger behaupteten Schadensersatzforderungen aus Amtshaftung gegen die abgelehnten Richter deren Unbefangenheit beeinflussen sollten, ist nicht erkennbar. Nach Aktenlage sind solche Forderungen nicht geltend gemacht worden. Es besteht schon wegen des Richterprivilegs nach § 839 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch kein Anhaltspunkt dafür, daß sie Erfolg haben könnten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420522

BFH/NV 1995, 894

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