Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Büroversehen

 

Leitsatz (NV)

Der Prozeßbevollmächtigte handelt schuldhaft, wenn er bei Eingang der ersten in seinem Büro vorgekommenen Entscheidung des BFH über die Zulassung der Revision die mit der Notierung der Rechtsbehelfsfristen betraute Bürokraft nicht darauf hinweist, daß nunmehr die Revisionsfrist zu notieren und zu überwachen ist.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Durch das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 1981 abgewiesen. Die Revision ließ das FG nicht zu. Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger statt. Der entsprechende Beschluß wurde ihrem Prozeßbevollmächtigten am 2. Februar 1990 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Am 5. März 1990 ging beim FG die Revision der Kläger ein. Am folgenden Tag ging ein Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Kläger beim FG ein, mit dem dieser wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte. Zur Begründung führte er aus, die Fristversäumnis beruhe auf einem Versehen der seit rund 27 Jahren in seiner Kanzlei beschäftigten und fast ebensolange für die Fristenkontrolle zuständigen Frau X. Die Fristenkontrolle durch Frau X setze mit dem Vermerk von Schriftsatzterminen usw. im Einspruchsverfahren ein und erstrecke sich danach bis zur Klage bzw. Revision. Es habe folgende Regelung bestanden: Alle Terminsachen würden ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, sofort nach Eingang mit der Tagespost vorgelegt und gelangten nach Durchsicht mit dieser im Rahmen der Postverteilung zurück an Frau X. Diese vermerke im Fristenkontrollbuch die Fristen entweder - soweit vorhanden - nach den Rechtsbehelfsbelehrungen oder nach den Angaben in den Kurzmitteilungen der Gerichte oder nach sonstigen Hinweisen im Text, die von ihm gekennzeichnet würden. Weder im Beschluß des BFH vom 1. Februar 1990 noch in dem begleitenden Kurzbrief habe sich ein Hinweis auf eine einzuhaltende Frist gefunden. Frau X habe daraus fälschlich geschlossen, daß die Revision ,,nunmehr angenommen" sei und von ihr nichts weiter veranlaßt werden müsse.

Sie habe in den 27 Jahren ihrer Tätigkeit noch nie eine Frist versäumt. Deshalb habe man sich auf ihre Fristenkontrolle voll und ganz verlassen können. Aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung habe sie nichts anderes gewußt, als daß einzuhaltende Fristen bekanntgegeben würden. Es sei dies der erste Fall einer Nichtzulassungsbeschwerde gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Sie ist verspätet eingelegt worden. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Tag der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision war der 2. Februar 1990 (§ 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -). Die Revisionsfrist lief mithin am Freitag, dem 2. März 1990, ab (§ 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) sind nicht gegeben. Die Fristversäumnis beruht nach eigenem Vorbringen auf einem schuldhaften Versäumnis des Prozeßbevollmächtigten der Kläger, das ihnen nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Der Prozeßbevollmächtigte hätte die Berechnung der Revisionsfrist nicht ohne jeden Hinweis seiner Angestellten überlassen dürfen. Allerdings kann ein Angehöriger der rechts- und steuerberatenden Berufe unter bestimmten Umständen die Berechnung von Fristen einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen, ohne schuldhaft zu handeln. Das gilt jedoch nur für die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen (ständige Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, vgl. z. B. Bundesverwaltungsgericht, Entscheidung vom 5. März 1982 VIII C 159.81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 171; Senatsurteil vom 27. März 1984 IV R 47/81, BFHE 140, 428; BStBl II 1984, 446; zuletzt: BFH-Beschluß vom 1. März 1989 X R 198/87, BFH/NV 1989, 711; Bundesgerichtshof - BGH -, Entscheidung vom 15. März 1989 IV b ZB 15/89, Versicherungsrecht 1989, 645, 646).

Die Revisionsfrist - auch wenn sie mit der Zustellung des die Revision zulassenden Beschlusses beginnt - gehört zu den einfach zu berechnenden Fristen, die der Prozeßbevollmächtige einem Angestellten überlassen kann, wenn Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen in seiner Kanzlei häufig vorkommen (vgl. BGH-Beschluß vom 12. Februar 1965 IV ZR 231/63, BGHZ 43, 148, 153). Wie der Prozeßbevollmächtigte der Kläger selbst vorgetragen hat, handelte es sich jedoch im vorliegenden Fall um die erste Nichtzulassungsbeschwerde mit anschließender Revision, die in seinem Büro zu bearbeiten war. Seine Büroangestellte hat sich denn auch nicht über Beginn oder Ende der Revisionsfrist geirrt, sondern darüber, daß es überhaupt noch eines fristwahrenden Schriftsatzes bedurfte. Dem hätte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger zumindest durch den Hinweis, daß im Fristenkontrollbuch eine Revisionsfrist zu notieren sei, entgegenwirken müssen. Das gilt um so mehr, als die mit den Fristberechnungen beauftragte Angestellte gewohnt war, ihren Berechnungen Rechtsbehelfsbelehrungen, Angaben auf Kurzmitteilungen der Behörden oder vom Prozeßbevollmächtigten gekennzeichnete Hinweise im Text - also Angaben im eingehenden Schriftstück - zugrunde zu legen. Da hier solche Angaben fehlten und dem Büro Erfahrungen mit Nichtzulassungsbeschwerden fehlten, konnte der Prozeßbevollmächtigte nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß seine Angestellte erkennen würde, daß die dem - bereits abgehefteten - angefochtenen Urteil bei gefügte Rechtsmittelbelehrung maßgeblich war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417131

BFH/NV 1991, 174

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