Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

Zu den Anforderungen an die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags, wenn dem Prozeßbevollmächtigten offensichtlich ein Organisationsverschulden anzulasten ist.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Das angefochtene Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 24. April 1987 zugestellt worden. Die Frist für die Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) lief am 25. Juni 1987 ungenutzt ab. Mit Schreiben vom 21. Juli 1987, dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 23. Juli 1987, teilte der Vorsitzende des damals zuständigen IX. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) den Klägern mit, daß eine Begründung der Revision bisher nicht vorliege; zugleich wies er auf § 56 FGO hin. Am 10. August 1987 gingen beim BFH die Revisionsbegründung vom 5. August 1987 und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gleichen Datums ein. Der Briefumschlag, in dem beide Schriftssätze enthalten waren, trägt den Poststempel vom 6. August 1987. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete der Prozeßbevollmächtigte wie folgt: Die Frist sei infolge eines Büroversehens versäumt worden. Zuständig für die ,,Fristenwahrung sämtlicher eingehender Steuerbescheide" seien die ,,zentrale Bearbeitungsstelle und eine dafür ausdrücklich mit Belehrung beauftragte Person". Nach Abfassung des Revisionsschriftsatzes habe ,,die beauftragte Mitarbeiterin . . . eine weitere Frist nicht gesetzt". Die Klageakte sei zu den übrigen Akten gelegt und nicht wieder vorgelegt worden. Die beauftragte Mitarbeiterin sei ,,in der Ausübung von Wiedervorlagen ausdrücklich belehrt worden".

Durch ein weiteres Schreiben vom 12. August 1987, zugestellt am 14. August 1987, wies der Senatsvorsitzende die Kläger darauf hin, der Antrag vom 5. August 1987 sei außerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO beim BFH eingegangen. Mit Schriftsatz vom 27. August 1987, eingegangen beim BFH am 28. August 1987, beantragten die Kläger wegen Versäumung der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozeßbevollmächtigte habe den am 5. August 1987 gefertigten Schriftsatz ,,am 6. August 1987, d. h. am Tage des Fristablaufs, zur Post aufgegeben". Es liege ein abermaliges Büroversehen vor, da die damit beauftragte Auszubildende ,,aus nicht überprüfbaren Gründen" den Schriftsatz nicht am Tage der Unterzeichnung zur Post gegeben habe.

Die Kläger beantragen, wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weiterhin sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide vom 30. September 1985 gemäß den vor dem Finanzgericht (FG) gestellten Anträgen abzuändern.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Die Kläger haben die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Die Revisionsbegründungsschrift hätte bis zum Ablauf des 25. Juni 1987 beim BFH eingehen müssen. Nach § 56 Abs. 1 und 2 Satz 2 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Innerhalb der Antragsfrist sind alle Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Daran fehlt es hier.

Die Darlegung im Schriftsatz der Kläger vom 27. August 1987 ist möglicherweise dahin zu verstehen, daß der Prozeßbevollmächtigte am Tage vor dem Fristende eine Auszubildende mit der Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes beauftragt hat und daß dieser Schriftsatz bei korrekter Ausführung des Auftrags unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeit am folgenden Tage beim BFH hätte eingehen können. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Darlegung hinreichend konkret ist und ggf. auf diesbezüglichen Hinweis des Gerichts (§ 155 FGO i. V. m. § 139 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) ergänzt werden könnte. Denn jedenfalls entspricht das Wiedereinsetzungsgesuch vom 5. August 1987 nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Die Kläger hätten darlegen müssen, daß der Prozeßbevollmächtigte die Frist überwiegend wahrscheinlich nicht infolge eines von ihm verschuldeten Organisationsmangels versäumt hat. Bezogen auf den Streitfall erfordert das Gesuch um Wiedereinsetzung grundsätzlich eine Darlegung aller innerhalb der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, auf welche Weise und - im Falle eines Büroversehens - durch wessen Verschulden die Frist versäumt worden ist (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. Juni 1978 VIII ZB 6/78, Versicherungsrecht - VersR - 1978, 942; vom 27. November 1985 IVb ZB 102/85, VersR 1986, 365; vom 9. Juli 1986 VIII ZB 22/86, VersR 1987, 49; BFH-Beschlüsse vom 26. September 1985 IX B 11/83, BFH / NV 1986, 224; vom 11. November 1987 IX R 76 /83, BFH / NV 1988, 317).

Ein Prozeßbevollmächtigter muß durch ordnungsmäßige Büroorganisation gewährleisten, daß Fristensachen als solche erkannt, die Fristen sodann berechnet und - ggf. einschließlich etwa erforderlicher Vorfristen - notiert, die Aktenstücke dementsprechend wieder vorgelegt werden und der fristwahrende Schriftsatz dem Adressaten rechtzeitig zugeleitet wird. Soweit der Prozeßbevollmächtigte hiermit sein Personal betrauen darf, muß dieses sorgfältig ausgewählt, umfassend ausgebildet und in geeigneter Weise überwacht werden. Ein Mangel in der Büroorganisation ist als Verschulden des Prozeßbevollmächtigten den Klägern zuzurechnen.

Der Wiedereinsetzungsantrag vom 5. August 1987 war ersichtlich darauf gerichtet, die Fristversäumung mit einem dem Büropersonal unterlaufenen Fehler zu erklären. Dieser Vortrag reicht nicht aus, da als Fehlerursache auch das eigene Verhalten des Prozeßbevollmächtigten in betracht kommt. Ein eigenes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten kann darin liegen, daß er sein Personal nicht auf das im Fristenkontrollbuch einzutragende Ende der Revisionsbegründungsfrist hingewiesen, sondern es dessen Beurteilung überlassen hat, wann diese Frist endete. Ein Angehöriger der rechts- und steuerberatenden Berufe kann zwar einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen überlassen, ohne schuldhaft zu handeln. Er muß aber durch geeignete Anordnungen dafür sorgen, daß er selbst die Fristberechnung in ungewöhnlichen und zweifelhaften Fällen kontrolliert. Dazu gehört auch, daß er für die Berechnung und Eintragung der gesonderten Revisionsbegründungsfrist Sorge trägt. Der Prozeßbevollmächtigte mußte damit rechnen, daß diese Frist seinem Personal nicht bekannt war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416314

BFH/NV 1989, 711

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