Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungssperre gem. § 173 Abs. 2 AO im Verhältnis Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid zum Umsatzsteuerjahresbescheid?

 

Leitsatz (NV)

1. Der Erlaß eines Jahresumsatzsteuerbescheides ist keine Aufhebung oder Änderung (i. S. d. § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) des entsprechenden Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides; Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid sind verfahrensrechtlich voneinander unabhängig.

2. Aus diesem Grunde kann ein aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ergangener Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid nicht gemäß § 173 Abs. 2 AO 1977 die Änderung des entsprechenden Jahresumsatzsteuerbescheides hindern. Ob aufgrund einer analogen Anwendung dieser Vorschrift die in einem Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid enthaltene Feststellung einer Besteuerungsgrundlage die anderweitige Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung dieser Besteuerungsgrundlage in einem Jahresumsatzsteuerbescheid hindert, bleibt offen.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 2 S. 1; UStG 1980 § 18 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) behauptet, für ihr Unternehmen ... Goldmünzen bezogen zu haben, und begehrt den Abzug der vom Verkäufer in der Rechnung vom 2. Januar 1986 enthaltenen Umsatzsteuer (offen ausgewiesene Umsatzsteuer: X DM).

Am 19. Juni 1987 ordnete der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin für das 1. bis 4. Quartal 1986 mit dem Prüfungsumfang "Umsatz, Steuersatz und Vorsteuerabzug" an. Aufgrund des Prüfungsergebnisses gelangte das FA zu der Auffassung, daß der Vorsteuerabzug zu versagen sei, und erließ am 29. März 1988 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 4. Quartal 1986, in dem der Abzug des geltend gemachten Vorsteuerbetrags aus dem Münzkauf nicht zugelassen wurde. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, über den das FA bisher nicht entschieden hat.

Mit der am 3. Mai 1988 eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 1986 machte die Klägerin wiederum den Abzug der Vorsteuerbeträge aus dem Münzkauf geltend. Das FA stellte die als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung geltende Anmeldung zum Soll und erteilte der Klägerin am 29. Juni 1988 eine entsprechende Abrechnung. Mit Schreiben vom 18. Juli 1988 teilte das FA der Klägerin unter Bezugnahme auf die Umsatzsteuer-Sonderprüfung und die eingereichte Umsatzsteuererklärung 1986 mit, daß die Voraussetzungen für den Abzug der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer in Höhe von X DM gegeben seien. An der Steuerfestsetzung für 1986 ändere sich dadurch nichts.

Nach einer im Januar 1989 durchgeführten Außenprüfung kam das FA erneut zu der Auffassung, daß der Vorsteuerabzug zu versagen sei, weil der Verkäufer der Goldmünzen nicht Unternehmer gewesen sei und die Goldmünzen auch nicht geliefert habe. Das FA erließ einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1986 (vom 19. Februar 1990), gegen den die Klägerin Einspruch einlegte. Diesen Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 19. Februar 1991 änderte das FA die Steuerfestsetzung für 1986, ohne dem Begehren der Klägerin im Streitpunkt Rechnung zu tragen.

Nach Erhebung der Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1986 setzte das Finanzgericht (FG) durch Beschluß gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) das Verfahren aus (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1992, 302). Es vertrat die Auffassung, der Klägerin müsse Gelegenheit gegeben werden, in dem Einspruchs- bzw. einem nachfolgenden Klageverfahren die für sie günstige Änderung des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides für das 4. Quartal 1986 zu erreichen. Da dieser Bescheid -- selbst wenn er erst nach Abschluß des Einspruchsverfahrens und gegebenenfalls auch nach Abschluß eines Klageverfahrens zugunsten der Klägerin geändert werde -- aufgrund einer Außenprüfung (Umsatzsteuer-Sonderprüfung) ergangen sei, greife gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Änderungssperre ein. Der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 4. Quartal müsse demnach unverändert in den Jahresumsatzsteuerbescheid 1986 übernommen werden; eine eigenständige Entscheidung zu den im Verfahren streitigen Fragen dürfe im Umsatzsteuer bescheid 1986 nicht getroffen werden. Da somit die Umsatzsteuerfestsetzung für das 4. Quartal 1986 der Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 1986 vorgreiflich sei, müsse das den Umsatzsteuerbescheid 1986 betreffende Verfahren ausgesetzt werden.

Gegen den Aussetzungsbeschluß wendet sich das FA mit der Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.

1. Das FG ist der Auffassung, daß die Entscheidung über den Einspruch gegen einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid der Entscheidung über die Klage gegen einen Jahresumsatzsteuerbescheid vorgreiflich sei, wenn der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid aufgrund einer Außenprüfung ergangen ist und in beiden Verfahren Sachverhaltsumstände streitig sind, die Gegenstand der Außenprüfung (Umsatzsteuer-Sonderprüfung) waren. Das FG stützt diese Auffassung auf § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977, wonach Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden können, wenn eine Steuerhinter ziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift kommt im Streitfall nicht in Betracht, denn der Erlaß eines Jahresumsatzsteuerbescheides ist keine Aufhebung oder Änderung eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides; Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid sind verfahrensrechtlich voneinander unabhängig.

2. Das vom FG gefundene rechtliche Ergebnis ließe sich nur halten, wenn § 173 Abs. 2 AO 1977 analog mit dem Inhalt anzuwenden wäre, daß Sachverhaltsumstände oder Besteuerungsgrundlagen, auf denen ein nach einer Außenprüfung ergangener Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid sich gründet, unverändet im Jahresumsatzsteuerbescheid berücksichtigt werden müßten. Der Senat braucht nicht Stellung zu nehmen, ob er dieser Rechtsauffassung folgen könnte. Denn im Streitfall käme diese Rechtsauffassung jedenfalls nicht zum Tragen. Das FA hat aufgrund der Umsatzsteuer-Sonderprüfung einen Umsatzsteuer vorauszahlungsbescheid für das 4. Quartal erlassen. Dieser Bescheid erfaßt in seiner feststellenden Wirkung (§ 157 Abs. 2 AO 1977) keine Besteuerungsgrundlagen, die im 1. Quartal 1986 verwirklicht worden sind. Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind als abziehbar, aber im 1. Quartal 1986 mit der Inrechnungstellung entstanden (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1980). Der Umstand, daß das FA abziehbare Vorsteuerbeträge, die im 1. Quartal entstanden sind, in die Steuerfestsetzung für das 4. Quartal einbezogen hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Im Rechtsstreit über die Umsatzsteuerfestsetzung für das 4. Quartal 1986 können Sachverhaltsumstände, die im 1. Quartal verwirklicht worden sind, nicht berücksichtigt werden. Bereits aus diesem Grunde könnte das Einspruchs- bzw. Klageverfahren über die Steuerfestsetzung für das 4. Quartal 1986 nicht zu einer der Klägerin günstigeren Entscheidung führen.

Der Rechtsstreit über den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 4. Quartal 1986 ist daher dem Rechtsstreit über den Jahresumsatzsteuerbescheid 1986 nicht vorgreiflich. Der Aussetzungsbeschluß des FG war daher aufzuheben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 283

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