Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Zurückweisung eines Steuerberaters als Prozeßbevollmächtigter

 

Leitsatz (NV)

Die in § 62 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO genannten Personen dürfen in ihrer Eigenschaft als Prozeßbevollmächtigte nicht zurückgewiesen werden, solange sie die Befugnis zur Hilfeleistung nicht vorläufig oder endgültig verloren haben.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer 1 (Kläger) erhob, vertreten durch seinen Prozeßbevollmächtigten, den Beschwerdeführer 2 (im folgenden Prozeßbevollmächtigter), mit Schreiben vom 24. Juni 1991 Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzgericht (FG) lud zur mündlichen Verhandlung auf den 12. November 1991. Die Ladung wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 20. September 1991 zugestellt.

Das FG wies den Prozeßbevollmächtigten für das vorliegende Klageverfahren als Prozeßbevollmächtigten zurück.

Es war der Auffassung, § 62 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO stehe der Zurückweisung nicht entgegen.

Der Schutzbereich des § 62 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO erstrecke sich nicht auf Fälle, in denen ein Prozeßbevollmächtigter fortwährend erheblich und grob gegen seine Mitwirkungspflichten und das Sachlichkeitsgebot verstoße und von prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten auf rechtmißbräuchliche Weise Gebrauch mache. Die den Wortlaut einschränkende Auslegung rechtfertige sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die den Schutz des Klägers und der Steuerrechtspflege, nicht aber den Schutz eines Prozeßbevollmächtigten zum Ziel habe, dessen prozessuales Verhalten weder unter dem Aspekt der Interessenvertretung seines Mandanten noch unter einem anderen nicht sachfremden Gesichspunkt vertretbar sei. In einem Extremfall und als letztes Mittel sei deshalb auch die Zurückweisung einer der in §§ 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) bezeichneten Personen zulässig.

Ein solcher Extremfall liege hier vor; der Prozeßbevollmächtigte stelle Anträge mit rückdatierten Schriftsätzen; er rüge, ihm sei die Einsichtnahme in die Akten verweigert worden, obwohl ihm sofort nach Eingang seines Antrags mitgeteilt worden sei, daß er die Akten beim Gericht einsehen könne. Die Absicht, das Verfahren zu verzögern, zeige sich im Verhalten bei den 16 Befangenheitsrügen, für deren Begründung er erst Überlegungszeit beansprucht habe. Auf Verzögerung gerichtet seien auch die Anträge gewesen, das Verfahren zu unterbrechen, um bei seinem Mandanten Rücksprache wegen der zu stellenden Sachanträge zu nehmen bzw. um sich auf das Verfahren vorbereiten zu können. Letzteres sei, wenn er tatsächlich nicht vorbereitet gewesen sei, ein grober Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht. Rechtsmißbräuchlich sei die Erhebung einer Untätigkeitsklage, wenn er - wie mehrfach erklärt - keine Entscheidung wolle.

Gegen die Zurückweisung des Prozeßbevollmächtigten für den Streitfall erhob dieser mit Schriftsätzen vom 19. November 1991 (durch Telebrief am 26. November 1991 übermittelt) namens des Klägers und gleichzeitig im eigenen Namen die vorliegende Beschwerde.

Er ist der Auffassung, die Zurückweisung eines Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers sei nach § 62 Abs. 2 FGO gesetzlich ausgeschlossen.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluß vom 24. Februar 1992).

Mit Schriftsatz vom 1. März 1992 wiederholte der Kläger seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Prozeßbevollmächtigten. Gleichzeitig lehnte er für die nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Abhilfeentscheidung die Richter am FG A, B,C und D wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Entgegen seiner Ankündigung hat der Kläger das Befangenheitsgesuch nicht begründet.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat konnte über die Beschwerde entscheiden, obwohl das FG über das mit Schriftsatz vom 1. März 1992 erhobene Ablehnungsgesuch betreffend die Mitwirkung der Richter am FG A, B, C und D an der Nichtabhilfeentscheidung nicht entschieden hat.

Das Ablehnungsgesuch ist erhoben worden, nachdem das FG durch Nichtabhilfebeschluß vom 24. Februar 1992 bereits die Entscheidung getroffen hatte, an deren Mitwirkung die abgelehnten Richter ausgeschlossen werden sollten. Handlungen der abgelehnten Richter vor Anbringung eines Ablehnungsgesuchs blieben jedoch auch dann wirkam, wenn das Ablehnungsgesuch Erfolg hätte (vgl. § 51 FGO i.V.m. § 47 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 51 FGO Rz. 13).

2. Die Beschwerde ist zulässig, auch soweit sie vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen erhoben ist, da dieser durch den Zurückweisungsbeschluß selbst beschwert ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. März 1967 VI B 12/66, BFHE 88, 79, BStBl III 1967, 295).

3. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das FG hat zu Unrecht den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zurückgewiesen.

Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz FGO können Bevollmächtigte oder Beistände, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, zurückgewiesen werden. Dies gilt nicht für die in § 3 und § 4 Nr. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2). Hierzu gehören u.a. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (§ 3 Abs. 1 StBerG).

Entgegen der Auffassung des FG dürfen die in § 3 und § 4 Nr. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen selbst dann nicht zurückgewiesen werden, wenn die sachlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Halbsatz 1 FGO vorliegen. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Regelung erlauben eine einschränkende Auslegung.

a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO vorgesehene Möglichkeit der Zurückweisung nicht bei den in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen. Bereits daraus erhellt, daß die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO genannten Kriterien keine Zurückweisung der in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen rechtfertigen können.

b) Zutreffend geht auch das FG davon aus, daß die Möglichkeit der Zurückweisung von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mit Rücksicht auf die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und die standesrechtlichen Regelungen des StBerG ausgeschlossen wurde (vgl. z.B. BRDrucks 129/63). Aus der Regelung in § 62 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO ergibt sich ferner, daß die Begrenzung der Zurückweisungsmöglichkeit andauert, solange ein Bevollmächtigter als nach §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG zur Hilfeleistung in Steuersachen zugelassen ist. Die im Steuerberatungsgesetz getroffenen Regelungen geben entgegen der Auffassung des FG keinen Anlaß zu der Annahme, unter besonderen Voraussetzungen könnte dennoch eine Zurückweisung zulässig sein. Die in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten Personen verlieren das Recht zum Auftreten vor den Steuergerichten nur durch Erlöschen, Rücknahme oder Widerruf der Bestellung (§§ 45 und 46 StBerG) oder wenn als vorläufige Maßnahme gegen sie ein Berufs- und Vertretungsverbot (§ 134 StBerG) verhängt wird. Die Entscheidung über diese Maßnahmen hat der Gesetzgeber - ebenso wie die Ahndung von Pflichtverletzungen, die nicht bereits zum Verlust der Zulassung führen (vgl. § 90 StBerG) - jedoch nicht den Steuergerichten zugewiesen, sondern den Verwaltungsbehörden (§ 46 Abs. 4 StBerG) oder der Berufsgerichtsbarkeit (§ 89 StBerG). Gerichte sind unter den in § 10 Abs. 2 StBerG bezeichneten Voraussetzungen darauf beschränkt, Tatsachen, die für die Rücknahme oder den Widerruf der Bestellung oder die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens erforderlich sind, den für die Entscheidung zuständigen Stellen zu übermitteln.

c) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Bereits nach § 254 der Reichsabgabenordnung a.F. (AO) konnten die in § 107 Abs. 3 AO bezeichneten Personen (Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater) nicht zurückgewiesen werden. Wirtschaftsprüfer, Steuerbevollmächtigte und vereidigte Buchprüfer konnten - wie andere Bevollmächtigte - zurückgewiesen werden, wenn ihnen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlte. Die Regierungsvorlagen in der II. und III.Wahlperiode (BTDrucks II/1761, III/127) sahen vor, daß vor allen Finanzgerichten (einschließlich des BFH) Rechtsanwälte, Rechtslehrer an deutschen Hochschulen und Steuerberater uneingeschränkt, daneben Notare, Wirtschaftsprüfer und (mit Einschränkung) vereidigte Buchprüfer als Bevollmächtigte zugelassen waren. Darüber hinaus sollten vor den FG auch andere Personen als Bevollmächtigte auftreten dürfen, soweit sie die Fähigkeit zum geeigneten Vortrag besaßen und - falls sie geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten - zu den in § 107a AO aufgeführten Personen gehörten. Einer Anregung des Finanzausschusses des Bundestages folgend mit Rücksicht auf das zwischenzeitlich ergangene Steuerberatungsgesetz vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1301) sah die Regierungsvorlage zum Entwurf einer FGO (BTDrucks IV/1446; vgl. auch BTDrucks IV/3523 und BRDrucks 129/63 jeweils zu § 59) für das Verfahren vor den FG die Zulassung auch der Wirtschaftsprüfer, Steuerbevollmächtigten, vereidigten Buchprüfer und Notare ohne Zurückweisungsmöglichkeit vor. Im Rahmen des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356) wurde schließlich die bisher bestehende Möglichkeit beseitigt, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer bei fehlender Fähigkeit zum geeigneten Vortrag zurückzuweisen.

d) Danach dürfen nach § 62 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO die dort genannten Personen in ihrer Eigenschaft als Prozeßbevollmächtigte nicht zurückgewiesen werden, solange sie die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen nicht vorläufig oder endgültig verloren haben (vgl. bereits BFHE 88, 79, BStBl III 1967, 295; BFH-Beschlüsse vom 20. September 1979 VII B 20/79, BFHE 128, 489, BStBl II 1979, 778; vom 12. Februar 1986 IV B 54/85, BFH/NV 1986, 616; Ziemer/Haarmann/ Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 6322; Tipke/Kruse, a.a.O., 14. Aufl., § 62 FGO Rz. 6; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 62 Rz. 44).

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen nach § 135 Abs. 1 FGO dem unterliegenden Beteiligten zur Last. Für die Frage, wer die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens in einem Zwischenstreit trägt, ist deshalb im Ergebnis grundsätzlich die Entscheidung über die Kosten im Hauptsacheverfahren maßgebend (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. April 1988 VI B 47/87, BFH/NV 1988, 794, und vom 21. November 1991 VII B 53-54/91, BFH/NV 1992, 526).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 32

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