Leitsatz (amtlich)

1. Sind in einem Besteuerungsverfahren nacheinander mehrere Steuerbescheide ergangen, die vom Kläger teils aus formellen und teils aus materiellen Gründen angegriffen worden sind, so muß der Revisionsantrag des Klägers den Umfang dieser Angriffe erkennen lassen. Der Revisionsantrag, das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts aufzuheben, genügt in diesem Fall nicht.

2. Die Verpflichtung des Vorsitzenden, gemäß § 65 Abs. 2 und § 76 Abs. 2 FGO auf ausreichende Anträge hinzuwirken, hat im Revisionsverfahren einen anderen Inhalt als im Klageverfahren.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2, §§ 121, 65 Abs. 2, § 76 Abs. 2

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 14.04.1978; Aktenzeichen 2 BvR 260/78)

 

Tatbestand

1. Die Klägerin und ihr Bruder (der Prozeßbevollmächtigte) kauiten zu je 1/2 durch notariell beurkundeten Vertrag vom 3. Juli 1964 ein unbebautes Grundstück. Der Kaufpreis wurde mit 60 000 DM angegeben. Er war wie folgt zu zahlen:

Die Tochter des Verkäufers erhielt an einer Wohnung des von den Käufern geplanten Hauses das Nießbrauchsrecht. Die Ausübung dieses Nießbrauches sollte den Käufern überlassen werden. Diese hatten der Nießbrauchsberechtigten jeweils den Betrag zu zahlen, welcher dem Mietzins für diese Wohnung - damals 3 000 DM jährlich - entsprach. 2/3 dieses Betrages sollten Entgelt für die Überlassung der Ausübung des Nießbrauches sein; das restliche Drittel sollte auf den angegebenen Kaufpreis verrechnet werden. Falls die Nießbrauchsberechtigte dieses Recht selbst ausübte, sollte 1/3 der für die Wohnung zu erzielenden Höchstmiete auf den angegebenen Kaufpreis verrechnet werden.

Die vorgenannten Beträge waren ab Vertragsschluß zu zahlen bzw. zu verrechnen, "auch wenn das von den Käufern geplante Gebäude noch nicht errichtet ist ...".

Soweit bis zum Tode der Nießbrauchsberechtigten der angegebene Kaufpreis noch nicht durch Verrechnung getilgt sein sollte, war der Restbetrag innerhalb eines Jahres in den Nachlaß zu zahlen.

Die Klägerin und ihr Bruder beantragten Steuerbefreiung mit der Begründung, das geplante Haus solle zu etwa 85 % steuerbegünstigten Wohnraum enthalten.

2. Das beklagte FA setzte mit Bescheid vom 18. August 1964 (Steuerbescheid I) 106,15 DM Grunderwerbsteuer fest. Zur Berechnung der Gegenleistung gemäß § 11 GrEStG kapitalisierte es die auf den angegebenen Kaufpreis zu verrechnenden jährlichen 1 000 DM entsprechend dem Alter der Nießbrauchsberechtigten und addierte hierzu den Zeitwert der beim Tode dieser genannten Person voraussichtlich noch zu zahlenden Differenz bis 60 000 DM. Das ergab einen Gesamtbetrag von 20 228 DM, von welchem die Hälfte (10 114 DM) als Gegenleistung auf die Klägerin entfiel. Zu 85 % erhob das FA gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. a und Art. 2 Abs. 2 des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) in der Fassung vom 12. November 1958 (GVBl 1958, 330) keine Grunderwerbsteuer.

Der Steuerbescheid erging nach seinem Wortlaut insoweit vorläufig, als Steuerbefreiung nach dem GrESWG gewährt wurde und "die Höhe der jährlichen Rente, die sich nach dem Mieterlös aus einer noch zu schaffenden Wohnung richtet, noch ungewiß ist".

3. a) Mit endgültigem Bescheid vom 9. Februar 1967 (Steuerbescheid II) setzte das FA gemäß Art. 4 GrESWG gegen die Klägerin nach der halben Gegenleistung 1 950,05 DM Grunderwerbsteuer und einen Zuschlag gemäß Art. 4 GrESWG in Höhe von 60,15 DM fest, weil sich ergeben hatte, daß das errichtete Gebäude die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG nicht erfüllte. Bei dieser Veranlagung kapitalisierte das Finanzamt im Gegensatz zum Steuerbescheid I nicht nur die auf den angegebenen Kaufpreis zu verrechnenden, sondern auch die darüber hinausgehenden Beträge, die als Entgelt für die Überlassung der Ausübung des Nießbrauches bezeichnet und bei Vertragsabschluß auf 2 000 DM jährlich beziffert worden waren. Die Gesamtsumme dieser jährlichen Beträge war inzwischen gemäß Vereinbarung der Vertragspartner ab 1. Juni 1966 von bisher 3 000 DM auf 3 480 DM jährlich (290 DM monatlich) festgelegt worden; diese Erhöhung berücksichtigte das FA auch bei seiner jetzigen Veranlagung in dem Steuerbescheid II.

b) Gegen den Steuerbescheid II legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, die Leistungen an die Nießbrauchsberechtigte dürften - wie das in dem Steuerbescheid I geschehen sei - nur zu 1/3 kapitalisiert und als Gegenleistung angesetzt werden, weil sie nach dem Kaufvertrag nur insoweit auf den angegebenen Kaufpreis anzurechnen seien. Darüber hinaus sei nicht berücksichtigt worden, daß lebenslängliche Nutzungen oder Leistungen nach § 17 a BewG alter Fassung bzw. § 16 BewG 1965 zu bewerten seien.

Das FA schrieb der Klägerin am 13. März 1967, § 17 a BewG alter Fassung begrenze bei der Grunderwerbsteuer den Wert der jährlichen Leistungen auf den 18. Teil des gemeinen Wertes und nicht des Einheitswertes. Diese Grenze sei im vorliegenden Fall nicht überschritten. Die jährlichen Leistungen müßten voll (und nicht nur zu 1/3) bei Berechnung der halben Gegenleistung i. S. des § 11 GrEStG angesetzt werden, weil u. a. der gesamte Nießbrauch an der Wohnung als Entgelt für den Verkauf des Grundstückes eingeräumt worden sei.

Am 12. Juni 1967 teilte das FA der Klägerin mit, die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Steuerbescheides I durch den Steuerbescheid II (§ 92 Abs. 2 bzw. § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO) hätten insoweit nicht vorgelegen, als bei Berechnung der halben Gegenleistung i. S. des § 11 GrEStG die Leistungen an die Nießbrauchsberechtigte in dem Steuerbescheid II voll statt - wie im Steuerbescheid I - nur zu 1/3 angesetzt worden seien. Es (das FA) werde daher in der Einspruchsentscheidung oder - falls die Klägerin zustimme - in dem Abhilfebescheid nach § 94 AO lediglich 1/3 dieser Leistungen ansetzen. Anschließend werde es die Sache der Oberfinanzdirektion zur Aufdeckung des Fehlers vorlegen und gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO die Steuerfestsetzung erneut dahin berichtigen, daß die gesamten Leistungen an die Nießbrauchsberechtigte angesetzt werden.

Am 21. Juni 1967 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin dem FA persönlich mit, daß er einer Änderung des Steuerbescheides II nicht zustimme.

Durch Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1967 setzte das FA die Steuer auf 445,20 DM herab. Dabei berücksichtigte es die an die Nießbrauchsberechtigte zu erbringenden jährlichen Leistungen nur zu einem Drittel. Den Zeitwert der beim Tode der Nießbrauchsberechtigten voraussichtlich noch zu zahlenden Differenz bis 60 000 DM zog es versehentlich ab, statt ihn bei Berechnung der halben Gegenleistung hinzuzurechnen.

4. Die Klägerin erhob gegen den Steuerbescheid II in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 1967 Klage.

Während des Klageverfahrens berichtigte das FA auf Anweisung der OFD vom 18. September 1967 die Steuerfestsetzung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO durch Steuerbescheid vom 10. Oktober 1967 (Steuerbescheid III); es setzte die Steuer jetzt auf 1 589,60 DM - zuzüglich dem schon vorher erhobenen Zuschlag gemäß Art. 4 GrESWG (60,15 DM) - fest. Bei der Berechnung der halben Gegenleistung i. S. des § 11 GrEStG berücksichtigte es die gesamten an die Nießbrauchsberechtigte zu erbringenden jährlichen Leistungen bis zur Höhe von 1/18 des auf die Wohnung entfallenden Anteils am gemeinen Wert des bebauten Grundstückes. Diesem kapitalisierten Betrag rechnete es den abgezinsten, beim Tod der Nießbrauchsberechtigten voraussichtlich noch nicht verrechneten Rest der 60 000 DM hinzu.

Der Steuerbescheid III wurde Gegenstand des Klageverfahrens (§ 68 FGO).

5. Das FG wies die Klage ab mit der Maßgabe, daß die Klägerin statt der gesamten Kosten des Einspruchsverfahrens nur 4/5 davon zu tragen habe. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unzulässig.

Gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß die Revisionsbegründung oder die Revision einen bestimmten Antrag enthalten. Im vorliegenden Fall sind diese Anforderungen nicht erfüllt.

In der Revisionsschrift hat die Klägerin den Antrag gestellt, "das angefochtene Urteil aufzuheben". Dieser Antrag kann nicht als ausreichend angesehen werden. Mit der Aufhebung des Klageabweisenden Urteils ist der Steuerbescheid III, der Gegenstand des Klageverfahrens geworden war, nicht beseitigt. Auch die Revisions begründung gibt keinen vollständigen Aufschluß über das Begehren der Klägerin. In diesem Schriftsatz vom 21. April 1972 wird auf Seite 1 u. a. der Satz vorangestellt: "Es wird insbesondere die Zulässigkeit der Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO bestritten." In der Begründung selbst heißt es auf Seite 5 nochmals: "Die Rechtmäßigkeit dieser Berichtigung wird bestritten." Dies rechtfertigt den Schluß, daß die Klägerin auch den Steuerbescheid III aufgehoben haben möchte. Der Senat hat keine Bedenken, den Revisionsantrag dementsprechend auszulegen, wie das in ähnlicher Weise in dem Urteil vom 29. November 1968 VI R 279/67 (BFHE 94, 336, BStBl II 1969, 173) geschehen ist. Jedoch ist der Klägerin damit nicht geholfen; denn dann ergeben sich neue Schwierigkeiten. Will die Klägerin den Steuerbescheid III aufgehoben haben, so muß sie auch sagen, was mit dem dann wieder auflebenden Steuerbescheid II in Gestalt der Einspruchsentscheidung geschehen soll (vgl. den Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, 5, BStBl II 1973, 231, 233). Diesen Bescheid wollte sie ebenfalls nicht hinnehmen, denn sie hatte ihn mit der Klage angefochten. In dieser Hinsicht lassen aber die Revision und ihre Begründung nichts erkennen. Zwar erwähnt die Klägerin auf den Seiten 4 und 9 ihres Schriftsatzes vom 21. April 1972 die Begründung der Kostenentscheidung des FG, wonach sich bei einer Beschränkung der Nutzungen und Leistungen auf den 18. Teil des Einheitswertes die anteilige Gegenleistung der Klägerin auf 3 192 DM belaufen würde bzw. sie (die Klägerin) eine Herabsetzung der Grunderwerbsteuer um 1 727 DM beantragt habe. Damit gibt sie aber nur Äußerungen des FG wieder und begründet mit diesen auf Seite 4 ihre Ausführungen zu § 94 AO, daß das FA nicht ihrem Antrag entsprochen habe, während bei den Ausführungen auf Seite 9 des genannten Schriftsatzes offenbleibt, was die Klägerin damit sagen will. Ein Ersatz für einen Revisionsantrag sind diese Ausführungen nicht, zumal die Klägerin auf Seite 7 (letzter Absatz) des genannten Schriftsatzes Ausführungen zur Berechnung der Besteuerungsgrundlage macht, deren Auswirkungen auf die Höhe der Steuer sie wiederum offenläßt. Hier helfen die Grundsätze des Urteils VI R 279/67 nicht mehr weiter. In dem dort entschiedenen Fall ging es nur um die Besteuerung dem Grunde nach und um die Existenz lediglich eines (Haftungs-) Bescheides. Es war daher ohne weiteres aus der Revisionsbegründung ersichtlich, daß das beklagte FA den vom FG aufgehobenen Bescheid wiederhergestellt haben wollte. Im vorliegenden Fall dagegen, in dem mehrere Steuerbescheide ergangen waren und der Leser der Revisionsbegründung über die Bedeutung ihres Inhaltes für die Höhe der Steuer zumindest teilweise im unklaren gelassen wird, ist das Revisionsgericht ohne einen ausdrücklichen und eindeutig formulierten Antrag auf Vermutungen über das Begehren der Klägerin angewiesen. Gerade das soll aber durch § 120 Abs. 2 FGO vermieden werden. Diese Vorschrift verschärft - was den "bestimmten Antrag" betrifft - die Anforderungen im Revisionsverfahren gegenüber dem Klageverfahren. Während nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO die Klage nur einen solchen Antrag enthalten "soll", "muß" dieser gemäß § 120 Abs. 2 FGO spätestens in der - fristgebundenen - Revisionsbegründung enthalten sein. Deshalb kann ein Revisionskläger auch nicht damit rechnen, daß der Vorsitzende ihn zur Ergänzung seines Revisionsantrages auffordert. Die §§ 65 Abs. 2 und 76 Abs. 2 FGO gelten nach § 121 FGO im Revisionsverfahren nur "sinngemäß". Im Klageverfahren liegt es nahe, daß das Gericht sich nötigenfalls durch Fragen an den Kläger Klarheit über dessen Begehren verschafft, nachdem ihm (dem Gericht) der Prozeßstoff vollständig vorliegt und es diesen durchgearbeitet hat. Im Revisionsverfahren ist dem Gericht diese Möglichkeit verwehrt; denn hier muß der vom Gesetz zur fristgebundenen Sachurteilsvoraussetzung erhobene bestimmte Antrag schon vorliegen, bevor das Revisionsgericht die Erwiderung des Revisionsbeklagten kennt oder gar sich einen Überblick über den Prozeßstoff verschaffen kann. Überdies braucht der Antrag innerhalb der Frist nicht einmal dem Revisionsgericht selbst, sondern nur dem FG vorzuliegen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die §§ 65 Abs. 2 und 76 Abs. 2 FGO haben daher in Verbindung mit § 121 FGO im Revisionsverfahren nur die Bedeutung, daß der Vorsitzende den Revisionskläger zur Präzisierung eines an sich schon ausreichenden Antrages zu veranlassen hat (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 120 FGO, Rdnr. 7). Ein solcher ausreichender Antrag liegt hier nicht vor.

Unter diesen Umständen kann das Revisionsgericht nicht materiell über die Revision entscheiden. Es muß sie als unzulässig verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72530

BStBl II 1978, 196

BFHE 124, 137

BFHE 1978, 137

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