Leitsatz (amtlich)

Die Verurteilung eines Prozeßbeteiligten zu einer besonderen Gebühr wegen einer durch den Prozeßbevollmächtigten verschuldeten Verzögerung des Rechtsstreits verstößt nicht gegen rechtliche Grundsätze.

 

Normenkette

GKG § 47

 

Tatbestand

Durch den angefochtenen Beschluß wurde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Steuerpflichtige) gemäß § 47 GKG eine volle Gebühr wegen Verzögerung des Rechtsstreits auferlegt. Anlaß dazu gaben dem FG folgende Umstände: Die Klägerin war zur mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 1969 ordnungsgemäß am 16. Mai 1969 zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten geladen worden. Am 5. Juni 1969 hatte der in Kanzleigemeinschaft mit diesem arbeitende und nunmehr selbst prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt Dr. A. dem FG sinngemäß mitgeteilt: Der sachbearbeitende Prozeßbevollmächtigte Dr. H. habe den Fall wegen Überlastung nicht rechtzeitig bearbeiten können. Dr. H. habe die Steuerpflichtige am 1. Juni 1969 davon fernmündlich unterrichtet und ihr die Akten samt Terminsladung am 2. Juni 1969 übersandt. Die Steuerpflichtige habe darauf ihn selbst (Dr. A.) gebeten, ihre Vertretung zu übernahmen. Er sei in der kurzen Zeit bis zum Termin nicht in der Lage gewesen, sich in die Sache einzuarbeiten. Er bitte deshalb im Namen der Klägerin, den Termin aufzuheben. Die Klägerin sei durch Verschulden des früheren Prozeßbevollmächtigten in diese Lage geraten. - Der Vorsitzende des FG ließ daraufhin dem nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten durch den Berichterstatter fernmündlich mitteilen, daß der Termin abgehalten werde und die Steuerpflichtige zweckmäßigerweise zum Termin mitgebracht werden solle. Im Termin erschien weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter. Ein weiterer Anruf des Berichterstatters in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten eine halbe Stunde nach Terminsbeginn ergab, daß der Termin nicht notiert worden und der Anwalt mit der Wahrnehmung eines Termins bei einem anderen Gericht beansprucht war. Hierauf vertagte das Gericht den Termin und setzte gegen die Klägerin die Verzögerungsgebühr fest.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde. Das FG hat mit Beschluß vom 19. Juni 1969 ausgesprochen, daß es der Beschwerde nicht abhelfe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das FG hat die angefochtene Verzögerungsgebühr ohne Anhörung der Steuerpflichtigen verhängt. Darin liegt, wenn auch § 47 GKG die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht ausdrücklich vorsieht, ein wesentlicher Verfahrensmangel (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. dazu den Beschluß des OLG München vom 6. November 1964, LW 1398/64 in NJW 1965, 306) im Bereich einer Vorschrift, auf deren Befolgung ein Beteiligter nicht wirksam verzichten kann (§ 295 Abs. 2 ZPO, § 155 FGO). Dieser Mangel ist im Beschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 539 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen (Wegen der analogen Anwendungen der Vorschriften über die Berufung vgl. Baumbach-Leuterbach, Zivilprozeßordnung, Anm. 1 zu § 573). Im Falle solcher wesentlichen Verfahrensmängel kann das Beschwerdegericht die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, es kann aber auch nach Bereinigung des Fehlers über die Beschwerde selbst entscheiden.

Der Senat sieht hier aus folgenden Gründen keinen Anlaß zur Zurückverweisung, obwohl es sich bei dem Beschluß nach § 47 GKG um eine Ermessensentscheidung des Gerichts der Hauptsache handelt: die von der Strafgebühr betroffene Beteiligte hatte im Beschwerdeverfahren uneingeschränkt Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern und hat diese Gelegenheit auch wahrgenommen. Die Schriftsätze zur Begründung der Beschwerde haben dem FG vorgelegen. Das FG hat trotzdem keinen Anlaß gesehen, der Beschwerde abzuhelfen. Außerdem hat die Steuerpflichtige den Verfahrensmangel nicht einmal gerügt und eingeräumt, daß die Terminsvertagung auf dem Verschulden des früheren Prozeßbevollmächtigten beruht.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 1969 infolge einer Verletzung prozessualer Pflichten der Steuerpflichtigen notwendig geworden war und daß dieser Verstoß auf dem Verschulden des früheren Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. H. beruht. Dieser Anwalt hat die Steuerpflichtige, die auf Grund des Mandatsverhältnisses auf die Wahrnehmung ihrer prozessualen Pflichten durch den Anwalt vertrauen konnte, zu einem Zeitpunkt im Stich gelassen, zu dem ein Anwaltswechsel erkennbarermaßen den Ablauf des Prozesses entsprechend dem späteren tatsächlichen Geschehen verzögern mußte. Er hat deshalb schuldhaft bewirkt, daß die Partei der allgemein anerkannten, sich aus dem Prozeßrechtsverhältnis und dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebenden Förderungspflicht nicht nachkommen konnte (vgl. dazu Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, Anm. 2 E Grunds. vor § 128). Es kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben, ob auch ein Mitverschulden der Beteiligten selbst oder ihres nunmehrigen Bevollmächtigten gegeben war.

Für einen derartigen Fall sieht § 47 GKG vor, daß das Prozeßgericht der Partei (im finanzgerichtlichen Verfahren: dem Beteiligten) von Amts wegen eine besondere Gebühr in Höhe der vollen Gebühr auferlegen kann.

Das mit der Beschwerde vorgetragene, aber nicht näher begründete Bedenken, ob die Bestimmung insoweit mit dem GG übereinstimmt, als sie auch bei Verschulden des Prozeßbevollmächtigten die Verurteilung der Prozeßpartei vorsieht, ist nicht gerechtfertigt. Die Gebühr, die nach herrschender Meinung den Charakter einer prozessualen Ordnungsstrafe hat, ist nicht diskriminierend, verletzt also insbesondere nicht die Würde der Person. Ihre Verhängung gegen die Partei bei Verschulden des Prozeßbevollmächtigten läuft auch rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zuwider. Das Einstehenmüssen für fremdes Verschulden, insbesondere im Bereich der unmittelbaren Stellvertretung, wie diese im Verhältnis des Prozeßbevollmächtigten zum Prozeßbeteiligten gegeben ist (§ 85 ZPO), entspricht einer allgemeinen Rechtsüberzeugung. Eine Vernachlässigung dieses Grundsatzes müßte sogar zu erheblichen Störungen der Rechtssicherheit und damit der rechtsstaatlichen Ordnung führen. Dem Vertretenen steht als Äquivalent der Regreßanspruch nach bürgerlichem Recht zur Verfügung. Aus diesen Erwägungen ist auch der weitere Einwand der Steuerpflichtigen zurückzuweisen, die Gerichte sollten von der Verhängung der Verzögerungsgebühr keinen Gebrauch machen, wenn feststehe, daß die Partei selbst kein Verschulden treffe.

Das weitläufige Beschwerdevorbringen, in dem die Steuerpflichtige auf Streitfragen des Hauptsacheprozesses eingeht, ist für die Frage der Anwendbarkeit des § 47 GKG ohne Bedeutung.

Schließlich kann auch nicht mit Erfolg beanstandet werden, daß das FG, das die Ordnungsstrafe bis zu einem Viertel der vollen Gebühr hätte ermäßigen können, eine volle Gebühr verhängt hat. Die Höhe der Gebühr muß dem Grad und der Bedeutung des Verschuldens angepaßt werden. Die Vertagung eines Termins unmittelbar vor oder während der Abhaltung führt bei den überlasteten FG stets zu einer erheblichen Störung des Geschäftsablaufs und zu einer beträchtlichen Arbeitsmehrung für die Richter und für die Geschäftsstelle. Sie führt auch regelmäßig beim Prozeßgegner - im vorliegenden Fall hat dieser den Termin wahrgenommen - zu einer ärgerlichen Einbuße von Zeit und Geld. Wie schon betont, waren für den Anwalt diese Folgen seines Verhaltens erkennbar. Es bedeutet daher eine erhebliche Nachlässigkeit, daß der Anwalt nicht rechtzeitig einen Vertreter bestellt oder seine Auftraggeberin nicht so zeitig verständigt hat, daß diese selbst für die ausreichende Stellvertretung hätte sorgen können. Die Verhängung der Verzögerungsgebühr in Höhe einer vollen Gebühr erscheint deshalb gerechtfertigt.

Die Beschwerde war sonach mit der Kostenfolge nach § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68309

BStBl II 1969, 662

BFHE 1969, 389

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