Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsnatur der Steuerberaterprüfung; Verletzung der Chancengleichheit

 

Leitsatz (NV)

1. Die Steuerberaterprüfung ist eine zwar bundeseinheitlich geregelte, aber vor einem bei der obersten Landesbehörde zu bildenden Prüfungsausschuß abzulegende ,,Landesprüfung".

2. Eine Verletzung der Chancengleichheit bei der Ablegung der Prüfung kann sich deshalb nur dann ergeben, wenn innerhalb eines Bundeslandes keine einheitlichen Prüfungsbedingungen bestanden haben. Unterschiedliche Prüfungsbedingungen in einzelnen Bundesländern führen nicht zu einer Verletzung der Chancengleichheit.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 83; StBerG § 158

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 02.11.1994; Aktenzeichen 1 BvR 1048/90)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde antragsgemäß zur Steuerberaterprüfung 1988 zugelassen. Da sie nach der mündlichen Prüfung nur eine Gesamtdurchschnittsnote von . . . erreicht hatte, bestand sie die Prüfung nicht. Gegen das ihr mitgeteilte Prüfungsergebnis legte die Klägerin mit der nachfolgenden Begründung erfolglos Klage ein:

Das Prüfungsergebnis sei rechtswidrig, weil bei der schriftlichen Prüfungsaufgabe aus dem Gebiet der Buchführung und des Bilanzwesens ausschließlich in Bayern eine Textseite mit näheren Bearbeitungshinweisen gefehlt habe. Die Prüfungsaufgabe habe auf den Seiten 2 bis 10 Einzelangaben über die zu beurteilenden Sachverhalte enthalten. Die Seite 2 sei dem Aufgabentext versehentlich nicht beigefügt worden. Diese Seite habe besonderes Gewicht gehabt, denn aus ihr sei ersichtlich gewesen, was die Kandidaten im einzelnen zu prüfen gehabt hätten. Die Seite 2 habe also eine themenmäßige Eingrenzung der Bearbeitung enthalten.

Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Die gerügte Bewertung der Prüfungsaufgabe Buchführung und Bilanzwesen sei nicht rechtswidrig. Es sei kein Verfahrensfehler, wenn in Bayern die Kandidaten einen Aufgabentext zu bearbeiten gehabt hätten, der aufgrund des Fehlens von detaillierten Bearbeitungshinweisen von den in anderen Bundesländern gestellten Aufgaben abgewichen sei. Die Durchführung der Steuerberaterprüfung obliege nach § 14 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) den obersten Landesbehörden in eigener Zuständigkeit. Nach § 18 Abs. 1 DVStB würden die Prüfungsarbeiten von den zuständigen obersten Landesbehörden gestellt, die auch die zulässigen Hilfsmittel und die Bearbeitungszeit bestimmten. Die Steuerberaterprüfung sei nach dieser eindeutigen Regelung keine einheitlich durchzuführende Bundesprüfung. Sie werde auch nicht durch den Umstand zu einer einheitlich zu beurteilenden Bundesprüfung, daß sich die Bundesländer seit Jahren darauf verständigt hätten, die Prüfungen jeweils zu den gleichen Zeitpunkten unter Verwendung der gleichen schriftlichen Prüfungsarbeiten durchzuführen.

Aus diesen Gründen habe die unterschiedliche Aufgabenstellung in den einzelnen Bundesländern auch nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit geführt. Dieser Grundsatz gebiete es nur, für Teilnehmer derselben Prüfung - also der Prüfung in Bayern - identische Prüfungsbedingungen zu schaffen. Diese Voraussetzung sei erfüllt gewesen, denn in Bayern habe allen Bewerbern der identische Aufgabentext zur Verfügung gestanden.

Durch das Fehlen der an das Wort ,,ferner" anschließenden Ausführungen und den Hinweis, daß dieses Wort zu streichen sei, sei die Klägerin nicht in unzulässiger Weise derart psychisch verunsichert worden, daß eine ordnungsgemäße Bearbeitung der Prüfungsaufgabe nicht mehr möglich gewesen sei. Der Aufgabentext, wie er den Bewerbern vorgelegen habe, sei auch ohne einzelne Bearbeitungshinweise verständlich und eindeutig lösbar gewesen. Es treffe zwar zu, daß in den vergangenen Jahren grundsätzlich Einzelbearbeitungshinweise zu den Klausuren gegeben worden seien, doch habe die Klägerin hierauf keinen Rechtsanspruch gehabt. Es sei keine unzulässige Benachteiligung der Klägerin, wenn die zu lösende Prüfungsarbeit nicht jedes Jahr in genau der gleichen Weise aufgebaut sei. Bei einem durchschnittlichen Bewerber könne vorausgesetzt werden, daß er sich auf gewisse Abweichungen der Aufgabenstellung gegenüber den Aufgaben früherer Jahre einstelle, ohne dadurch in ,,Panik" zu geraten, zumal wenn diese Abweichungen - wie in der Streitsache - relativ geringfügig seien.

Die Aufgabenstellung in der Form, wie sie die Bewerber in Bayern zu lösen gehabt hätten, sei nicht zu beanstanden. Die Aufgabe sei aufgrund des in Abschnitt B erteilten Prüfungsauftrags eindeutig und lösbar gewesen. Der Auftrag, die in Abschnitt C erläuterten Vorgänge in steuerlicher Hinsicht zu prüfen, für evtl. notwendige Buchungen bzw. Umbuchungen Hinweise zu geben und den steuerlich zutreffenden Gewinn unter Berücksichtigung des für die Steuerpflichtige günstigsten Ergebnisses zu ermitteln, sei eindeutig und benötige zu seinem Verständnis keine weiteren Hinweise.

Die Klägerin stützt ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung und Verfahrensfehler.

Sie macht geltend, § 158 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) sei als Ermächtigungsgrundlage für die das Prüfungsverfahren regelnde DVStB verfassungswidrig. Die Ermächtigungsnorm lasse nicht erkennen, mit welchem Inhalt die DVStB hinsichtlich der Durchführung der Prüfung zu erlassen sei. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG).

Es sei in einem Revisionsverfahren zu klären, ob die Steuerberaterprüfung eine - so die Klägerin - Bundesprüfung mit bundeseinheitlich durchzuführendem Prüfungsverfahren oder eine Landesprüfung sei. § 158 StBerG übertrage keine Regelungsbefugnis auf die Länder. Das Prüfungsverfahren müsse daher bundeseinheitlich, mit einheitlichen Aufgabentexten durchgeführt werden. Dies sei im Streitfall nicht geschehen, wodurch der Grundsatz der Chancengleichheit zu Lasten der Klägerin verletzt worden sei.

Als Verfahrensfehler rügt die Klägerin, daß das FG in mehrfacher Hinsicht gegen den Untersuchungsgrundsatz nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen habe.

Das FG habe nicht ermittelt, ob die Prüfungskandidaten in den anderen Bundesländern aufgrund der Nachlieferung der Seite 2 des betreffenden Aufgabentextes während der Prüfung zusätzliche Überlegungs- und Einarbeitungszeit gehabt hätten. Hätte das FG diesen Sachverhalt entsprechend aufgeklärt, so wäre es zur Ungleichbehandlung der Prüflinge in einer bundeseinheitlich durchzuführenden Prüfung und damit zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Prüfungsausschusses gelangt.

Das FG habe es weiterhin versäumt, einen Verstoß gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze zu ermitteln. Trotz unterschiedlicher Aufgabentexte seien bundeseinheitlich identische Korrekturbögen verwendet worden. Für die Prüfungsarbeiten aus Bayern hätten unter Berücksichtigung des unvollständigen Aufgabentextes abweichende Beurteilungsmaßstäbe angelegt werden müssen. Hierfür sei der Prüfer als Zeuge benannt, vom FG aber nicht gehört worden.

Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Bayer. Staatsministerium der Finanzen - Staatsministerium -) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt nur dann in Betracht, wenn die für die Entscheidung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es, wenn die streitige Rechtsfrage sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt oder wenn sie bereits durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt worden ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Tz. 50 m. w. N.). Die Verfassungsmäßigkeit des § 158 StBerG im Hinblick auf Art. 12, Art. 80 Abs. 1 GG ist vom Senat im Urteil vom 30. November 1982 VII R 9/82 (BFHE 137, 526, BStBl II 1983, 348) bejaht worden. Nach der somit wirksam erlassenen DVStB handelt es sich bei der Steuerberaterprüfung um eine zwar bundeseinheitlich geregelte, aber vor einem Prüfungsausschuß, der bei der obersten Landesbehörde zu bilden ist, abzulegende ,,Landesprüfung" (vgl. §§ 10, 1, 2, 4 DVStB). Hinzu kommt, daß die Ausführung des StBerG als Bundesgesetz nach Art. 83 GG grundsätzlich den Bundesländern obliegt. Eine Verletzung der Chancengleichheit kann sich deshalb nur dann ergeben, wenn für die innerhalb der einzelnen Bundesländer durchzuführende Prüfung keine einheitlichen Prüfungsbedingungen geherrscht haben. Im Streitfall haben jedoch alle in Bayern geprüften Kandidaten unter den gleichen Bedingungen die umstrittene Prüfungsaufgabe erledigen müssen.

2. Auch der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 FGO) kann hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Ungleichbehandlung der Kandidaten in Bayern und in anderen Bundesländern nicht zur Zulassung der Revision führen. Das FG hat in seiner Entscheidung bei der Überprüfung der Chancengleichheit ausdrücklich nur auf die Prüfungsverhältnisse in Bayern abgestellt, weil es nicht von einer Bundesprüfung im Sinne des klägerischen Vortrags ausging. Von diesem Rechtsstandpunkt aus hätte die Ermittlung der Bearbeitungszeit für die besagte schriftliche Prüfungsaufgabe in anderen Bundesländern zu keiner anderen Entscheidung des FG führen können.

Die Klägerin vermißt weiterhin fehlende Ermittlungen für eine Differenzierung bei den Bewertungsmaßstäben. Sie ist der Ansicht, die von den bayerischen Prüfungskandidaten abgegebenen Lösungen seien nach anderen Maßstäben zu bewerten, als die Lösungen, die in anderen Bundesländern unter Berücksichtigung der fehlenden Textseite abgegeben worden seien. Diese Ermittlungen hätten jedoch auch nicht zu einem anderen Ergebnis führen können, da das FG die Fragen der Bewertung dem den Prüfern zustehenden Beurteilungsspielraum zugewiesen hat. Dieser Beurteilungsspielraum ist - so das FG zu Recht - einer gerichtlichen Überprüfung (weitgehend) nicht zugänglich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417013

BFH/NV 1991, 124

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