Entscheidungsstichwort (Thema)

Divergenz, Verfahrensmangel

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FG seiner Entscheidung ausdrücklich eine der vom BFH (Urteil vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539) vorgegebenen Methoden zur Berechnung der Haftungsquote bei der Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände zugrunde gelegt und sind ihm dabei durch Nichtberücksichtigung einzelner Posten Fehler unterlaufen, so ist darin keine mit der NZB angreifbare Divergenz zu sehen, sondern ein im Zulassungsverfahren unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler (Subsumtionsfehler).

2. Handelt es sich bei dem Vortrag, den das FG fälschlicherweise als neues tatsäch liches Vorbringen nach Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG ausgeschlossen hat, im wesentlichen um die Äußerung einer Rechtsansicht, die von der vom FG vertretenen Rechtsauffassung abweicht, so kann die angefochtene Entscheidung des FG jedenfalls nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen.

 

Normenkette

AO 1977 § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, Abs. 3 S. 3; UStG 1980 § 17 Abs. 1 Sätze 1, 3, Abs. 2 Nr. 1 S. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 3

 

Gründe

Der Antragsteller kann für seine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG), mit dem dieses seine Klage gegen den Umsatzsteuerhaftungsbescheid des Finanzamts (FA) als unbegründet abgewiesen hat, die beantragte Prozeßkostenhilfe (PKH) nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach der im vorliegenden PKH-Verfahren gebotenen summarischen Beurteilung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --).

Der Antragsteller stützt seine Beschwerde auf Divergenz und Verfahrensmängel.

1. Soweit die Beschwerde auf eine Abweichung des FG-Urteils von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. März 1985 VII R 139/81 (BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539) gestützt wird (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), ist der Beschwerdegrund nicht in der nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO vorgeschriebenen Form dargelegt. Es fehlt an einer hinreichenden Bezeichnung der Divergenz. Hierzu muß der Beschwerdeführer dartun, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung u. a. des BFH nicht übereinstimmt. In der Beschwerdebegründung müssen die einander gegenübergestellten abstrakten Rechtssätze im Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung des BFH so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 63 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Der Antragsteller hat derartige voneinander abweichende abstrakte Rechtssätze im FG-Urteil und in der angeblichen Divergenzentscheidung nicht dargelegt. Nach seiner Auffassung sind dem FG, indem es die vom FA durchgeführte Berechnung der anteiligen Haftungsquote übernommen hat, insofern Fehler unterlaufen, als es einerseits bei den Zugängen zu den Lieferantenverbindlichkeiten im Haftungszeitraum gezahlte laufende Kosten in Höhe von ... DM nicht berücksichtigt und andererseits die Umsatzsteuerzahlungen an das FA nur in Höhe des während des Haftungszeitraums entstandenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten angesetzt habe. Darin kann, die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt, jedoch keine Divergenz i. S. abweichender Rechtssätze nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gesehen werden. Das FG ist vielmehr bei den Ausführungen, in denen es die vom FA berechnete Haftungsquote als sachlich richtig bezeichnet hat, ausdrücklich davon ausgegangen, daß die angewandte Berechnungsmethode der zweiten im angeblichen Divergenzurteil des BFH vorgegebenen Methode entspricht, wonach sich die Haftungsquote nach dem Verhältnis der getilgten zu den Gesamtverbindlichkeiten des Haftungszeitraums, in Beziehung gesetzt zu den darauf entfallenden Umsatzsteuerrückständen, bestimmt. Das FG hat also seine Entscheidung gerade auf den abstrakten Rechtssatz in der angeblichen Divergenzentscheidung des BFH gestützt. Sollte dem FG bei der Berechnung im einzelnen ein Fehler unterlaufen sein, indem es einzelne Rechnungsposten unberücksichtigt gelassen hat, so liegt darin keine mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbare Divergenz, sondern allenfalls ein im Zulassungsverfahren unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler -- Subsumtionsfehler -- (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 17 m. w. N.).

2. Als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) wird mit der Beschwerdeschrift gerügt, das FG habe tatsächliches Vorbringen zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen und damit gegen Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) verstoßen. Der Antragsteller trägt vor, das FG habe ihn aufgefordert, die Einwände gegen die Feststellungen der betriebsnahen Veranlagung bis zum 15. Januar ... vorzubringen. Mit Schriftsatz vom 14. Januar ... , der beim FG am 15. Januar ... eingegangen sei, habe er somit rechtzeitig darauf hingewiesen, daß Kundenforderungen in Höhe von ... DM ausgefallen seien. Gleichwohl habe das FG in seinem Urteil dieses Vorbringen als verspätet zurückgewiesen.

Art. 3 § 3 VGFGEntlG ist eine Verfahrensvorschrift, deren Verletzung einen Verfahrensmangel darstellt. Da die Zurückweisung von Erklärungen und Beweismitteln und die Entscheidung ohne weitere Ermittlungen nach Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG im Einzelfall eine Einschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --) und/oder der Verpflichtung des Gerichts zur Erforschung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 FGO) bedeutet, sind an die Rüge der Verletzung dieser Vorschrift neben den Anforderungen, die allgemein an die Rügen von Verfahrensmängeln zu stellen sind (§ 120 Abs. 2 FGO), je nach Fall auch die besonderen Anforderungen zu stellen, die für die Rüge einer Verletzung des Gehörs und/oder der Verletzung der Sachaufklärungspflicht gelten (vgl. BFH-Beschluß vom 20. April 1989 VIII R 296 -- 298/84, BFH/NV 1989, 798).

Es kann indessen dahinstehen, ob hiernach die Rüge ordnungsgemäß erhoben worden ist, denn sie ist jedenfalls nicht begründet. Das FG hat nämlich den Antragsteller nicht mit der Berufung auf den Ausfall von Kundenforderungen schlechthin ausgeschlossen, sondern vielmehr lediglich dessen Vortrag, "die Forderungen seien aus rechtlichen Gründen erst 1988 ausgefallen", als verspäteten neuen Sachvortrag zurückgewiesen. Entgegen der mit der Fristsetzung bis zum 15. Januar ... verbundenen Aufforderung des Gerichts, abschließend zu den Berechnungsansätzen des FA Stellung zu nehmen und evtl. Einwände spezifiziert und unter Vorlage entsprechender Belege zu erheben, hat der Antragsteller im besagten Schriftsatz vom 14. Januar ... lediglich behauptet, die bis zum Tag der Konkursanmeldung der GmbH ausgewiesenen Kundenforderungen von ... DM seien in voller Höhe ausgefallen. Dabei hat der Antragsteller weder zu den Umständen des Ausfalls (z. B. erfolglose Prozesse gegen die Kunden nach Einstellung des Konkursverfahrens oder vergebliche Vollstrekungsmaßnahmen) noch zu den Zeitpunkten des jeweiligen Ausfalls Angaben gemacht oder irgendwelche Nachweise erbracht. Erst mit Schriftsatz vom 25. Juni ... brachte der Antragsteller erstmals vor, daß sämtliche Forderungen aus dem Jahre ... stammten, gegen Nichtgewerbetreibende gerichtet gewesen seien, deshalb nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch mit Ablauf des 31. Dezember 1988 verjährt seien und somit die Forderungsausfälle bezüglich der Umsatzsteuer erst nach Eintritt der Verjährung für das Kalenderjahr ... hätten geltend gemacht werden können. Demgemäß sei sein von ihm als Nachtragsliquidator der vormaligen GmbH am 25. Juni ... gestellter Antrag auf Berichtigung der Umsatzsteuer ... noch rechtzeitig innerhalb der Festsetzungsfrist der Umsatzsteuer erfolgt (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG --, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erste Alternative der Abgabenordnung -- AO 1977 --).

Dieses Vorbringen erhellt, daß es bei dem Einwand des Antragstellers im Grunde nicht um die Zulässigkeit des Ausschlusses neuen tatsächlichen Vorbringens geht, sondern eigentlich um die Geltendmachung einer von der des FG in einem wesentlichen Punkt abweichenden Rechtsansicht. Während das FG für die Uneinbringlichkeit einer Forderung i. S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG als Voraussetzung der den Berichtigungsanspruch auslösenden Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 Abs. 1 UStG) tatsächliche Ereignisse (z. B. vergebliche Vollstreckungsversuche) verlangt und genügen läßt, möchte der Antragsteller die Uneinbringlichkeit allein in dem rechtlichen Grund der Nichtdurchsetzbarkeit der Forderung infolge des zivilrechtlichen Verjährungseintritts verankert sehen. Indem das FG dieses Vorbringen ausgeschlossen hat, hat es lediglich eine im übrigen so nicht zutreffende (vgl. BFH-Beschluß vom 10. März 1983 V B 46/80, BFHE 138, 107, BStBl II 1983, 389, wonach sowohl rechtliche Gründe der Nichtdurchsetzbarkeit einer einredebehafteten Forderung als auch tatsächliche Gründe der Zahlungsunfähigkeit oder des mangelnden Zahlungswillens des Schuldners zur Uneinbringlichkeit führen) Rechtsansicht des Antragstellers, nicht aber konkretes tatsächliches Vorbringen zurückgewiesen.

Daraus folgt weiter, daß das Urteil des FG gar nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann. Denn selbst wenn das FG dieses Vorbringen nicht (fälschlicherweise) ausgeschlossen hätte, hätte dies nichts an seiner im einzelnen dargelegten und begründeten Auffassung geändert, wonach mangels gegenteiligen tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Uneinbringlichkeit der betreffenden Forderungen bereits zeitnah zu dem Konkurs der GmbH eingetreten ist.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 57

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