Entscheidungsstichwort (Thema)

Stundung und Erlaß als Anordnungsanspruch

 

Leitsatz (NV)

Ein im Hauptsacheverfahren verfolgtes Begehren auf Stundung oder Erlaß kann dann ein die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigender Anordnungsanspruch sein, wenn für eine dem Antragsteller günstige Ermessensentscheidung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 222, 227; FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb von seiner Mutter den ruhenden Gewerbebetrieb X. Seit . . . ist er Inhaber der Firma. Die Firma X liquidierte er zum . . . Die Veräußerung der Betriebsgrundstücke, die er zu einem Buchwert übernommen hatte, erbrachte einen Erlös in Höhe von . . . DM. Der erklärte Veräußerungsgewinn betrug ca. . . . DM. Die festgesetzten Einkommensteuernachforderungen des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) für . . . beliefen sich auf . . . DM.

Mit Bescheid . . . teilte das FA die Einkommensteuerschulden der Antragsteller auf Antrag der Antragstellerin dahin auf, daß die Antragstellerin null DM zu zahlen hatte.

Die Antragsteller beantragten den Erlaß der Steuernachforderungen für . . . und trugen vor, der erzielte Veräußerungserlös sei in voller Höhe von den Banken zum Ausgleich von Verbindlichkeiten verwendet worden. Das FA lehnte den Erlaß ab. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Die dagegen von den Antragstellern erhobene Klage ist beim Finanzgericht (FG) anhängig. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Die Antragsteller beantragten beim FG außerdem den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen der Einkommensteuernachforderung für 1985.

Das FG lehnte den Antrag ab. Es vertrat die Ansicht, daß sich aus dem Vorbringen der Antragsteller kein Anordnungsanspruch (§ 114 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) ergebe. Die Ablehnung des Erlaßantrags sei nicht rechtswidrig gewesen. Soweit die Antragsteller meinen, die Bilanzansätze der Betriebsgrundstücke seien unzutreffend gewesen, hätten sie dies im Besteuerungsverfahren korrigieren müssen. Eine sachliche Unbilligkeit könne darin auch deshalb nicht gelegen haben, weil den Antragstellern der Buchwert bekannt gewesen sei und sie mit entsprechenden Veräußerungsgewinnen im Falle des Verkaufs haben rechnen müssen. Sonstige Gründe, die eine Zwangsvollstreckung als unbillig erscheinen lassen könnten (vgl. § 258 der Abgabenordnung - AO 1977 -), seien weder vorgetragen noch erkennbar. Es liege auch kein Anordnungsgrund vor. Es erscheine vertretbar, daß die Antragsteller bei entsprechender Einschränkung der persönlichen Lebensbedürfnisse dem FA reelle Angebote zur Tilgung der Steuerschuld zumindest in Raten machten. Soweit im Hinblick auf eine mögliche Ratenvereinbarung auch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht käme, würde dies ein konkretes und annehmbares Angebot der Antragsteller zur ratenweisen Tilgung der Steuerschulden voraussetzen.

Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Beschwerde tragen die Antragsteller vor: Die Ansicht des FG, die Bilanzansätze hätten im Rechtsbehelfsverfahren korrigiert werden können, sei unzutreffend. Die Rechtsvorgänger des Antragstellers hätten bereits vor Jahrzehnten das gesamte Grundstück einschließlich der zu Wohnzwecken genutzten Gebäudeteile in das Betriebsvermögen übernommen. Nach Ansicht des Hessischen FG (Urteil vom 18. Oktober 1988 8 K 56/87, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 273) bestehe keine Möglichkeit, einen ehemals zulässigen Bilanzansatz in der Bilanz zu berichtigen. Entgegen der Auffassung des FG habe der Antragsteller bei der Übernahme der Grundstücke im Jahre . . . auch nicht gewußt, daß ein entsprechender Veräußerungsgewinn zu versteuern sei. Bei ,,going concern" wäre keine Gewinnrealisierung eingetreten. Ausschlaggebend sei, daß die Immobilie nicht freiwillig, sondern auf Drängen der Banken veräußert worden sei. Hätte der Antragsteller dem Drängen der Banken nicht nachgegeben, wäre es zu einer Zwangsversteigerung mit wirtschaftlich weitaus ungünstigerem Ergebnis gekommen. Der Antragsteller habe auch nicht die Befriedigung anderer Gläubiger, nämlich der Banken, zu Lasten des Fiskus vorgenommen. Die dinglich gesicherten Gläubiger hätten zwangsläufig vorrangig befriedigt werden müssen, ohne daß der Antragsteller darauf hätte einwirken können. Ohne dingliche Sicherung wären die erforderlichen Kredite nicht bewilligt worden. Eine Zwangsvollstreckung gegenüber dem Antragsteller würde zu seinem wirtschaftlichen Ruin führen. Der aufgrund des Hinweises des FG gestellte Stundungsantrag sei vom FA mit Bescheid . . . abgelehnt worden. Diese Entscheidung sei mit der Beschwerde angefochten worden. Im Falle einer Pfändungsverfügung des FA würden die Kreditlinien seitens der Hausbank gestrichen. Dies würde den wirtschaftlichen Ruin des Unternehmens bedeuten. Die laufenden Steuern seien nur deshalb nicht immer pünktlich bezahlt worden, weil sich die Banken und Lieferanten wegen der derzeitigen Schwebesituation zurückhaltend engagiert hätten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Antragstellerin kann mit der Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung fehlt. Nachdem die Einkommensteuerschuld . . . auf Antrag der Antragstellerin aufgeteilt (vgl. §§ 268 ff. AO 1977) und für sie auf null DM festgesetzt worden ist und dies für die Antragstellerin sogar zu einer Erstattung geführt hat, ist eine Vollstreckung gegenüber der Antragstellerin nicht mehr zulässig. Die Antragstellerin hat weder dargelegt noch ist sonst erkennbar, daß das FA ihr gegenüber trotz fehlender Steuerforderung eine Vollstreckung angedroht hat.

2. Soweit der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis hat, kann seinem Begehren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur entsprochen werden, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Es kann offenbleiben, ob der Antragsteller im Hinblick darauf, daß er nach seinem eigenen Vorbringen im Jahre . . . auch noch Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als . . . erzielt hat, überhaupt einen Anordnungsgrund substantiiert vorgetragen hat. Denn der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO scheitert jedenfalls daran, daß der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs sind eine schlüssige Darlegung unter Angaben der Tatsachen, die die Erfüllung des Anspruchs bewirken, sowie präsente Beweismittel für die Richtigkeit dieser Tatsachen erforderlich (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Oktober 1988 VII B 92/88, BFH/NV 1989, 284, und vom 20. März 1990 VII B 150/89, BFH/NV 1991, 104).

Anordnungsanspruch i. S. v. § 114 FGO kann auch ein im Hauptsacheverfahren verfolgtes Begehren auf Erlaß (§ 227 AO 1977) oder Stundung (§ 222 AO 1977) sein (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. September 1971 I B 26/71, BFHE 103, 390, BStBl II 1972, 83 - Erlaß -; vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307; vom 8. Februar 1988 IV B 102/87, BFHE 152, 407, BStBl II 1988, 514 - Stundung -). Erlaß und Stundung werden durch Entscheidungen der zuständigen Finanzbehörden gewährt, die wesentlich auf der Ausübung des diesen Behörden dafür eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens beruhen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; Senatsbeschluß vom 5./13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Wird im Hauptsacheverfahren eine im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung begehrt, so besteht nach der Rechtsprechung des BFH ein Anordnungsanspruch nicht erst, wenn nach dem Vorbringen zur Begründung der einstweiligen Anordnung der Ermessensspielraum soweit eingeengt ist, daß nur eine dem Steuerpflichtigen günstige Ermessensentscheidung in Betracht kommt, sondern bereits dann, wenn danach für eine ihm günstige Ermessensentscheidung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587; BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307).

Im Streitfall besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß dem Begehren des Antragstellers auf Erlaß der Einkommensteuer gemäß § 227 AO 1977 - das nach seinem Vorbringen allein als Anordnungsanspruch in Betracht kommt - stattgegeben werden wird. Ein Erlaß setzt nach § 227 AO 1977 voraus, daß die Einziehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann sich aus sachlichen oder persönlichen Gründen ergeben.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erlaß aus sachlichen Gründen sind im Streitfall nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber hat bewußt Veräußerungsgewinne der Besteuerung unterworfen und insoweit die Vergünstigung einer Halbierung des durchschnittlichen Steuersatzes (vgl. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) eingeräumt. Veräußerungsgewinne entstehen durch die Aufdeckung stiller Reserven, die auf der Abweichung des Buchwertes von dem Veräußerungspreis beruhen. Bei Unternehmen, die über einen längeren Zeitraum bestanden haben, ist es nicht außergewöhnlich, daß die bei gewillkürtem Betriebsvermögen erforderliche Entscheidung zur Einlage in das Betriebsvermögen von einer anderen Person getroffen worden ist als derjenigen, die später die Veräußerung und damit die Aufdeckung der stillen Reserven bewirkt. Anhaltspunkte dafür, daß in einem derartigen Fall die Einziehung der Steuer nach den Vorstellungen des Gesetzgebers unbillig wäre, sind selbst dann nicht erkennbar, wenn man annimmt, daß es nach der im Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Rechtslage bei den fraglichen Wirtschaftsgütern nicht mehr möglich gewesen wäre, sie in das Betriebsvermögen einzulegen. Es liegen keine vernünftigen Gründe dafür vor, in einem derartigen Fall die Versteuerung eines Veräußerungsgewinns als unbillig anzusehen.

Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen substantiiert vorgetragen, die für einen Erlaß der Einkommensteuer aus persönlichen Gründen sprechen. Eine persönliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Die wirtschaftliche Existenz ist gefährdet, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, 614). Allein der Umstand, daß der Antragsteller für die Bezahlung der Steuerschulden keinen Kredit erhalten kann und auch außer seinem Unternehmen nicht über ausreichende Vermögensgegenstände verfügt, durch deren Veräußerung die Steuerschulden beglichen werden könnten, rechtfertigt einen Erlaß der Steuerschuld noch nicht. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß dem Antragsteller, der nach den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung bei deren Erlaß . . . Jahre alt war, grundsätzlich eine ratenweise Begleichung der Steuerschuld zuzumuten ist. Der Antragsteller hat außerdem keine Gründe dafür vorgetragen, daß es ihm unter Berücksichtigung seiner beruflichen Ausbildung nicht möglich wäre, seinen notwendigen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch das seit dem . . . von ihm betriebene Unternehmen zu verdienen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 42

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