Leitsatz (amtlich)

Wird ein FG-Urteil, das den Regelungsinhalt eines angefochtenen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheids zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten ändert (z. B. Erhöhung des Gewinnanteils eines Mitunternehmers bei gleichzeitiger Minderung des Gewinnanteils eines anderen Mitunternehmers), mit der Revision angefochten, so kann der BFH als Gericht der Hauptsache die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids i. d. F. des finanzgerichtlichen Urteils aussetzen.

 

Normenkette

FGO § 69

 

Tatbestand

Die Verfahren IV S 12/77 und IV S 13/77 werden gemäß §§ 121, 73 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Antragsteller und Revisionskläger zu 1 und 2 (im folgenden C und D) und A und B sind die vier Söhne des Unternehmers V. A und B sind bereits vor dem zweiten Weltkrieg nach den Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert.

V betrieb als Einzelunternehmer eine Fabrik. Mit Wirkung vom 1. Januar 1951 nahm V seine Söhne C und D als persönlich haftende Gesellschafter auf. V verstarb am 2. Januar 1958. Er wurde kraft Gesetzes zu 1/4 von seiner Ehefrau (im folgenden M) und zu je 3/16 von seinen vier Söhnen A, B, C und D beerbt.

C und D führten das Unternehmen zusammen mit M fort.

M verstarb am 30. März 1965. Sie wurde aufgrund eines Testaments je zur Hälfte von C und D beerbt.

1966 erhoben A und B gegen C und D eine zivilgerichtliche Klage auf Zahlung von 297 844 DM mit der Begründung, sie hätten als Miterben nach ihrem Vater Anspruch auf je 3/16 des seit dem Tod des Vaters in dem Unternehmen erzielten Gewinns, soweit dieser auf den Gesellschaftsanteil des Vaters entfällt. Der Rechtsstreit wurde durch einen Vergleich vom 23. Januar 1967 beendet. Darin verpflichteten sich C und D als Gesamtschuldner, zur Abfindung aller Ansprüche aus dem Erbfall nach den Eltern an A und B als Gesamtgläubiger ratenweise 200 000 DM zu zahlen, wobei 100 000 DM auf die Erbansprüche nach dem Vater und die Pflichtteilsansprüche nach der Mutter und weitere 100 000 DM auf den von A und B geltend gemachten, von C und D jedoch bestrittenen Gewinnanspruch für die Vergangenheit entfallen sollten.

C und D reichten für 1965 und 1966 Gewinnfeststellungserklärungen ein, in denen sie von den erklärten Gewinnen dem A und dem B für jedes Jahr je einen Anteil von 25 000 DM zurechneten. Der Antragsgegner und Revisionsbeklagte (FA) erließ am 11. Mai 1970 entsprechende Gewinnfeststellungsbescheide für 1965 und 1966. Gegen diese Bescheide erhoben A und B Klage mit der Begründung, sie seien zu keiner Zeit Mitunternehmer des von der Gesellschaft betriebenen gewerblichen Unternehmens gewesen; es dürften ihnen deshalb auch keine Gewinnanteile zugerechnet werden.

Das FG gab mit Urteil vom 26. September 1974 der Klage statt; es änderte die Gewinnfeststellungsbescheide für 1965 und 1966 vom 11. Mai 1970 dahin, daß es die dem A und B zugerechneten Gewinnanteile von je 25 000 DM für jedes Jahr je zur Hälfte dem C und dem D zurechnete.

Gegen dieses Urteil legten C und D Revision ein mit dem Begehren, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage des A und des B gegen die Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 abzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA am 30. September 1976 gegen C und gegen D je einen berichtigten Einkommensteuerbescheid, in denen es auf der Grundlage des FG-Urteils deren Gewinnanteile je um 25 000 DM für jedes Jahr höher als bisher ansetzte.

C und D beantragten daraufhin beim FG, die Vollziehung der berichtigten Einkommensteuerbescheide auszusetzen. Das FG sah darin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 in Gestalt des FG-Urteils vom 26. September 1974 und verwies das Verfahren zuständigkeitshalber an den BFH.

Vor dem BFH beantragen C und D erneut die Aussetzung der Vollziehung der berichtigten Einkommensteuerbescheide, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide bestünden. Sie führen aus, eine Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide sei nicht beantragt, weil C und D durch die Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 nicht beschwert seien. In diesen Bescheiden seien die streitigen Gewinnanteile den Brüdern A und B zugerechnet. Neue Grundlagenbescheide habe das FA auf der Grundlage des FG-Urteils vom 26. September 1974 noch nicht erlassen. Deshalb hätte das FA auch keine berichtigten Einkommensteuerbescheide erlassen dürfen. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des FG-Urteils könne nicht gestellt werden, weil FG-Urteile nicht in der Vollziehung ausgesetzt werden könnten.

Das FA beantragt, die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen. Das FA führt aus, die Vollziehung der Folgebescheide könne nicht ausgesetzt werden, weil die Vollziehung der Grundlagenbescheide nicht ausgesetzt sei. Entgegen der Ansicht der Antragsteller sei eine Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide möglich, weil das FG-Urteil vom 26. September 1974 die Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 in ihrem Regelungsinhalt geändert habe. Hierauf seien die Antragsteller mehrfach hingewiesen worden. Wenn sie gleichwohl eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide beantragten, so könnten diese Anträge nicht in Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide umgedeutet werden. Im übrigen sei die Rechtmäßigkeit der Gewinnfeststellungsbescheide i. d. F., die sie durch das FG-Urteil erhalten hätten, nicht ernstlich zweifelhaft.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der berichtigten Einkommensteuerbescheide 1965 und 1966 vom 30. September 1976 sind in Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 i. d. F., die sie durch das FG-Urteil vom 26. September 1974 erhalten haben, umzudeuten (vgl. den allgemeinen Rechtsgedanken des § 140 BGB) und als solche zulässig.

C und D erstreben mit ihren Anträgen erkennbar, daß aus der Erhöhung ihrer Gewinnanteile durch das FG-Urteil vom 26. September 1974 einkommensteuerrechtlich solange keine Folgerungen gezogen werden, als nicht über ihre Revision gegen das FG-Urteil entschieden ist. Dieses Ziel können C und D nur über eine Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide i. d. F. des FG-Urteils vom 26. September 1974 erreichen.

a) Eine Aussetzung der Vollziehung der berichtigten Einkommensteuerbescheide kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Bescheide nicht angefochten sind und eine Vollziehungsaussetzung eines nicht angefochtenen Folgebescheids gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 FGO eine Vollziehungsaussetzung des Grundlagenbescheids voraussetzt. Selbst wenn die Folgebescheide aber angefochten wären, könnte ihre Vollziehung nicht mit der Begründung ausgesetzt werden, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundlagenbescheide.

b) Zu Unrecht nehmen C und D an, die Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 bestünden mit ihrem ursprünglichen Regelungsinhalt solange fort, als das FA auf der Grundlage des FG-Urteils vom 26. September 1974 keine berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide erlassen habe. Für den Erlaß solcher berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide besteht weder eine Rechtsgrundlage noch ein Bedürfnis. Zutreffend hebt das FA hervor, daß die Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 durch das FG-Urteil unmittelbar in ihrem Regelungsinhalt geändert wurden (vgl. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Dabei ist unerheblich, daß das FG-Urteil mit der Revision angefochten und deshalb noch nicht bestandskräftig ist.

Hieraus folgt aber weiter, daß dann, wenn ein FG-Urteil, das den Regelungsinhalt des Gewinnfeststellungsbescheids zum Nachteil eines Beteiligten ändert, mit der Revision angefochten wird, der BFH als Gericht der Hauptsache gemäß § 121 i. V. m. § 69 FGO die Vollziehung aussetzen kann. In diesem Falle wird nicht die Vollziehung eines finanzgerichtlichen Urteils, sondern die Vollziehung eines Gewinnfeststellungsbescheids i. d. F. ausgesetzt, die er durch das finanzgerichtliche Urteil erhalten hat.

c) Einer Umdeutung der Anträge des C und des D dahin, daß eine Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide i. d. F. des FG-Urteils begehrt wird, steht nicht entgegen, daß C und D ausdrücklich eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide beantragen. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, welches Ziel C und D letztlich erreichen wollen, und daß C und D auch dem Wortlaut nach die richtigen Anträge gestellt hätten, wenn sie gewußt hätten, wie der Senat die verfahrensrechtliche Rechtslage beurteilt.

2. Die Anträge sind teilweise begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Erhöhung der Gewinnanteile des C und des D, so wie sie das FG in seinem Urteil vom 26. September 1974 durch Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide vom 11. Mai 1970 vorgenommen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf seinen Vorbescheid vom heutigen Tag im Revisionsverfahren IV R 5/75. Den auf die Streitjahre entfallenden Teil des Abfindungsbetrags veranschlagt der Senat griffweise nach Maßgabe des gesamten Abfindungszeitraums von acht Jahren mit etwas weniger als 1/4, d. h. auf je 6 000 DM für jeden der beiden Antragsteller und für jedes der beiden Streitjahre.

 

Fundstellen

BStBl II 1978, 227

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