Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Rechtsmittelfrist infolge unzureichender Unterrichtung des Prozeßbevollmächtigten

 

Leitsatz (NV)

Die Bevollmächtigung eines Dritten entbindet den Kläger nicht von seiner Verpflichtung, seinerseits die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und nach den Umständen des Einzelfalls zumutbare Sorgfalt aufzuwenden, um die Rechtsmittelfrist zu wahren.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 73 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte gegen die Einspruchsentscheidungen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) wegen Einkommensteuer, Gewerbesteuermeßbetrag und Umsatzsteuer für die Streitjahre (1974 bis 1978) Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) führte für jede Steuerart ein gesondertes Klageverfahren mit unterschiedlichem Aktenzeichen durch und entschied nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des nicht vertretenen Klägers über die nicht verbundenen Klagen wegen Einkommensteuer und Gewerbesteuermeßbetrag durch Urteile vom 6. März 1984. Während die Klage wegen Gewerbesteuermeßbetrag (Az. III 399/83) abgewiesen wurde, gab das FG der Klage in der Einkommensteuersache (Az. III 398/83) in geringem Umfang statt. Beide Urteile wurden dem Kläger am 27. März 1983 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.

Gegen das Urteil III 398/83 legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 24. Mai 1984 (Eingang beim FG am 25. Mai 1984) Revision ein; die Revisionsschrift in der Sache III 399 /83 war dagegen bereits am 27. April 1984 beim FG eingegangen.

Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist begründete er wie folgt:

Der Kläger sei aufgrund von Unerfahrenheit und Ungewandtheit in rechtlichen Dingen, die sich auch an der Art und Weise zeige, in der er die finanzgerichtlichen Verfahren betrieben habe, ohne Verschulden an der rechtzeitigen Einlegung der Revision gehindert gewesen.

Dem Kläger sei nicht bewußt gewesen, daß das FG über seine einheitliche Klage in getrennten Verfahren entschieden habe, da ein Trennungsbeschluß nicht ergangen sei. Deshalb sei er bei Zustellung der Urteile am 27. März 1984 trotz gründlicher Durchsicht davon ausgegangen, daß er zwei identische Urteile in derselben Sache erhalten habe. Da ihm ein geeigneter Prozeßbevollmächtigter nicht bekannt gewesen sei, habe er einem Geschäftsfreund ein Exemplar des vermeintlich identischen Urteils (III 399/83) und eine Blankovollmacht mit der Bitte übergeben, durch eine geeignete Person Revision einlegen zu lassen, was auch fristgerecht geschehen sei. Angesichts der eindeutigen Auftragserteilung seien Rückfragen durch den Prozeßbevollmächtigten nicht veranlaßt gewesen. Dem Kläger selbst sei erst in einem Gespräch mit dem Bevollmächtigten am 22. Mai 1984 bewußt geworden, daß es sich um zwei verschiedene Urteile gehandelt habe.

Der Kläger beantragt, unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, da sie verspätet eingelegt worden ist.

1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen.

Das Urteil wurde dem Kläger am 27. März 1984 zugestellt. Die Revisionsfrist lief folglich am 27. April 1984 ab (§ 54 Abs. 1 und 2 FGO, § 222 der Zivilprozeßordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Revisionsschrift ging erst am 25. Mai 1984 beim FG ein.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden. Denn der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die versäumte Frist einzuhalten. Eine Fristversäumung ist nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November 1977 IV R 113/75, BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Zwar liegt im Streitfall kein Verschulden des klägerischen Prozeßbevollmächtigten vor; die Bevollmächtigung eines Dritten entband den Kläger jedoch nicht von seiner Verpflichtung, seinerseits die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und nach den Umständen des Einzelfalls zumutbare Sorgfalt aufzuwenden, um die Frist zu wahren (vgl. Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 1900).

Zu der hiernach erforderlichen Sorgfalt hätte es gehört, daß der im finanzgerichtlichen Verfahren nicht vertretene Kläger vor Erteilung des Auftrags zur Einlegung von Rechtsmitteln den Inhalt der ihm zugestellten Urteile tatsächlich zur Kenntnis genommen hätte. Auch die vermutete Identität der Urteile hätte sich nur durch einen Vergleich beider Ausfertigungen feststellen lassen können. Schon bei oberflächlicher Betrachtung wäre hierbei auch für einen Laien bereits wegen der unterschiedlichen Tenorierung unschwer erkennbar gewesen, daß die Urteile verschiedene Verfahrensgegenstände betrafen. Die behauptete gründliche Durchsicht kann somit tatsächlich nicht stattgefunden haben. Der für die Fristversäumung ursächliche Irrtum des Klägers beruht deshalb auf einer unentschuldbaren Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten.

Es kann dahinstehen, ob das FG ohne ausdrückliche Trennung der Verfahren nach § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO für jede Steuerart, die einen eigenen Klagegegenstand bildete, eine gesonderte Entscheidung treffen durfte (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1973 VII B 47 /72, BFHE 110, 465, BStBl II 1974, 137). Denn die Verfahrensweise des FG läßt das Verschulden des Klägers unberührt. Ein möglicher Verfahrensmangel kann aber nur im Rahmen einer in zulässiger Weise erhobenen Revision Bedeutung erlangen.

Die Revision war nach alledem durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415945

BFH/NV 1989, 787

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