Leitsatz (amtlich)

Helfer in Steuersachen dürfen in den Ländern der britischen Zone im beruflichen Verkehr frühere Amtsbezeichnungen gebrauchen, zu deren Führung sie an sich berechtigt sind.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; AO § 107a; VO Nr. 175 §§ 18a, 21 Abs. 2; Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen § 10

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) war bis 1941 als Direktor einer städtischen Sparkasse in Mitteldeutschland, von diesem Zeitpunkt ab bis zum Ende des Krieges in entsprechender Amtsstellung im Osten tätig. Nach seiner Vertreibung hat das in einem Lande der britischen Zone gelegene Finanzamt ihn -- auf Grund bestandener Prüfung -- durch Verfügung vom 13. Juni 1950 als Helfer in Steuersachen zugelassen.

Durch die in diesem Rechtsmittelverfahren angefochtene Verfügung vom 22. Oktober 1951 hat das Finanzamt ihm u. a. untersagt, neben der Bezeichnung "Helfer in Steuersachen" auf geschäftlichen Briefbogen die zusätzliche Bezeichnung "Sparkassen-Direktor a. D." (außer Dienst), zu führen. Seine Beschwerde an die Oberfinanzdirektion und das gegen die Beschwerdeentscheidung beim Finanzgericht eingelegte Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Der erkennende Senat hat in dem zur Veröffentlichung freigegebenen Beschluß II 31/53 U vom 3. Dezember 1953( BStBl. 1954 III S. 28.) ausgesprochen, daß nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) die Ausübung eines Berufs, als deren Bestandteil auch die Wahl der Berufsbezeichnung und die Art der Ausgestaltung von geschäftlichen Briefbogen anzusehen sind, nur den Beschränkungen unterliegt, die "durch Gesetz" festgelegt sind. Der Senat ist in dem Beschluß II 31/53 U zu dem Ergebnis gelangt, daß es in den Ländern der britischen Zone -- deren Recht auch in diesem Rechtsstreit nur zur Erörterung steht -- z. Zt. an gesetzlichen Bestimmungen fehlt, die ein allgemeines Werbeverbot für Helfer in Steuersachen und ein allgemeines Verbot enthalten. neben der Bezeichnung "Helfer in Steuersachen" zusätzliche Bezeichnungen zu führen. Auf die Gründe des Beschlusses II 31/53 U, von dem eine Abschrift beigefügt ist, wird in diesem Rechtsstreit Bezug genommen.

Nach dem Sachverhalt des Beschlusses II 31/53 U handelte es sich um zusätzliche Bezeichnungen, die der an dem Rechtsstreit beteiligte Helfer in Steuersachen aus eigener Entschließung gewählt hatte. Die Rechtsausführungen des angeführten Beschlusses müssen umsomehr in dieser Streitsache maßgebend sein, in der der Bf. zusätzlich eine Bezeichnung verwendet, auf deren Führung er nach § 10 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen in der Fassung vom 1. September 1953 (Bundesgesetzblatt -- BGBl. -- 1953 I S. 1288 ff.) einen gesetzlich festgelegten Rechtsanspruch hat. Dabei ist es für die grundsätzliche Entscheidung der Streitfrage ohne Bedeutung, daß nach § 10 a. a. O. der Beamte auf Widerruf im allgemeinen nicht den Zusatz "a. D.", sondern den Zusatz "z Wv." (zur Wiederverwendung) führen darf und muß, was der Bf. nicht bestreitet.

Die Auffassung des Finanzgerichts, das Finanzamt habe ihm vor seiner Zulassung die Auflage gemacht, keine zusätzlichen Berufsbezeichnungen zu führen, und es könne deshalb bei Nichterfüllung dieser Auflage die Zulassung zurückziehen, beruht auf Rechtsirrtum. Es kann dahingestellt bleiben, ob das entsprechende der Zulassung vom 13. Juni 1950 vorangegangene Schreiben des Finanzamts vom 9. Juni 1950 in eindeutiger Form die Auflage enthält, auch die frühere Amtsbezeichnung nicht zusätzlich zu gebrauchen. Denn die Erlasse des früheren Reichsministers der Finanzen und der früheren Finanzleitstelle für die Britische Zone, die ein Werbeverbot und entsprechende Verbote zusätzlicher Berufsbezeichnungen enthielten, sind als Verwaltungsvorschriften keine Gesetze im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. im einzelnen I, 1 -- 3 der Gründe des Beschlusses II 31/53 U). Sie sind daher auch keine ausreichende Rechtsgrundlage für die etwa gemachte Auflage. Aus diesem Grunde dürfen von den Finanzverwaltungsbehörden die vom Finanzgericht für zulässig erachteten Folgerungen aus der Nichterfüllung einer entsprechenden Auflage nicht gezogen werden.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts enthält auch das Schreiben des Bf. vom 10. Juni 1950, in dem er mitteilt, daß er die Bezeichnung "Helfer in Buch- und Steuersachen" führen werde, keinen Verzicht auf einen zusätzlichen Hinweis auf die frühere Beamteneigenschaft. Es bedarf daher keiner näheren Darlegungen, daß ein solcher Verzicht deshalb als rechtsunwirksam anzusehen wäre, weil er auf dem vorangegangenen Schreiben des Finanzamts vom 9. Juni 1950 beruht und die in diesem Schreiben angeführten Verwaltungsvorschriften keine Rechtsgrundlage für das Verbot der zusätzlichen Bezeichnung darstellen.

Dem Finanzgericht kann auch nicht gefolgt werden, wenn es aus Art. 2 Abs. 1 GG eine Einschränkung des Rechts zur Führung der früheren Amtsbezeichnung mit der Begründung herleitet, der Bf. verletze durch sein Verhalten Rechte anderer und verstoße gegen das Sittengesetz. Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG stellt allerdings eine Auswirkung des im Art. 2 Abs. 1 GG festgelegten Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen dar und unterliegt insoweit Beschränkungen, als durch seine Ausübung nicht Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen werden darf. Hier könnten als "Rechte anderer" -- mangels einer gesetzlichen Grundlage -- nur solche Rechte in Betracht kommen, die auf einem Standesgewohnheitsrecht beruhen. Ein solches Standesgewohnheits recht, nach dem eine Werbung durch zusätzliche Berufsbezeichnungen untersagt wäre, ist jedoch nicht als gegeben zu erachten (vgl. die Begründung unter I 5 des Beschlusses II 31/53 U). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG durch solche Rechte Dritter eingeschränkt werden könnten, die auf Gewohnheitsrecht, noch dazu auf dem Gewohnheitsrecht einer einzelnen Berufsgruppe, beruhen.

Die auf einer gesetzlichen Bestimmung beruhende Führung der alten Amtsbezeichnung mit dem vorgesehenen Zusatz im Rahmen der Ausübung des Berufs als Helfer in Steuersachen verstößt auch nicht gegen das Sittengesetz im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG. Unter dem Sittengesetz im Sinne dieser Verfassungsbestimmung ist nicht eine bloße Standessitte zu verstehen, der unter Umständen die Sitte eines anderen Standes entgegenstehen könnte. Die Schöpfer des Grundgesetzes haben nach den Erfahrungen der vorangegangenen Zeit besonderen Wert auf die verfassungsmäßige Festlegung des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gelegt, so daß eine Einschränkung insoweit nur dann angenommen werden kann, wenn die Ausübung des Grundrechts zu einem Verstoß gegen allgemein anerkannte sittliche Grundsätze führen würde. Es ist somit im Art. 2 Abs. 1 GG nur ein Verstoß gegen das "ethische Grundgesetz" der Allgemeinheit gemeint (vgl. v. Doemming-Füsslein-Matz "Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes", Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge Bd. 1 S. 57). Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß ein solcher Verstoß im Streitfall nicht gegeben ist.

Da es an einer gesetzlichen Bestimmung fehlt, die einen Hinweis auf die frühere Amtsbezeichnung verbietet, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob und inwieweit eine entsprechende Rechtsvorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar wäre oder nicht.

Nach alledem waren wegen Fehlens einer rechtlichen Grundlage für die Anordnung die Verfügung des Finanzamts, die verfahrensrechtlich nach §§ 18a, 21 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Wiedererrichtung von Finanzgerichten (VO Nr. 175), § 202 der Reichsabgabenordnung nicht vorgesehene Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion und die Entscheidung des Finanzgerichts mit der Kostenfolge aus § 309 der Reichsabgabenordnung aufzuheben (vgl. zur verfahrensmäßigen Behandlung die Begründung unter III des Beschlusses II 31/53 U).

 

Fundstellen

Haufe-Index 407824

BStBl III 1954, 30

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