Leitsatz (amtlich)

1. Der II. Senat hält an der in den Beschlüssen II 31/53 U vom 3. Dezember 1953 (Slg.Bd. 58 S. 301, BStBl. 1954 III S. 28) und II 45/53 U vom 9. Dezember 1953 (Slg. Bd. 58 S. 308, BStBl. 1954 III S. 30) vertretenen Rechtsauffassung fest, nach der jedenfalls in den Ländern der britischen Zone die Finanzverwaltungsbehörden grundsätzlich nicht befugt sind, den nach § 107a AO zugelassenen Helfern in Steuersachen die Führung zusätzlicher Berufsbezeichnungen zu verbieten.

2. Es kann nach geltendem Recht Helfern in Steuersachen jedenfalls in den Ländern der britischen Zone nicht untersagt werden, die zusätzliche Bezeichnung "Beratender Betriebswirt VBV" zu führen.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; AO § 107a; DV zu § 107a AO § 2; AO § 107 DV § 1 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der von einem Finanzamt in der britischen Zone als Helfer in Steuersachen zugelassene Beschwerdeführer (Bf.) die zusätzliche Berufsbezeichnung "Beratender Betriebswirt VBV" führen darf oder nicht; durch die Abkürzung "VBV" wird auf die Zugehörigkeit zur "Vereinigung Beratender Betriebs- und Volkswirte (VBV) e. V." hingewiesen. Das Finanzamt hat ihm die Führung der zusätzlichen Berufsbezeichnung durch die in diesem Rechtsmittelverfahren angefochtene Verfügung vom 5. Dezember 1951 untersagt. Seine Beschwerde an die Oberfinanzdirektion und das gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 17. Dezember 1952 beim Finanzgericht eingelegte Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Der erkennende Senat hat sich in den Beschlüssen II 31/53 U vom 3. Dezember 1953 (Slg.Bd. 58 S. 301, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1954 III S. 28, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung § 107a Rechtsspruch 4, Steuer und Wirtschaft 1954 Nr. 65) und II 45/53 U vom 9. Dezember 1953 (Slg. Bd. 58 S. 308, BStBl. 1954 III S. 30, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung § 107a Rechtsspruch 5, Steuer und Wirtschaft 1954 Nr. 66) eingehend mit den Fragen der Berufsbezeichnung und der Werbungstätigkeit der Helfer in Steuersachen in den Ländern der britischen Zone befaßt. Nach diesen Beschlüssen unterliegt gemäß Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) die Ausübung eines Berufs, als deren Bestandteil auch die Wahl der Berufsbezeichnung anzusehen ist, nur den Beschränkungen, die "durch Gesetz" festgelegt sind. Im Beschluß II 31/53 U hat der erkennende Senat mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß gesetzliche Bestimmungen, die ein allgemeines Werbeverbot, insbesondere auch hinsichtlich der Führung zusätzlicher Berufsbezeichnungen, für Helfer in Steuersachen enthalten, jedenfalls in den Ländern der britischen Zone nicht erlassen sind. Weder die a. a. O. und auch in dieser Streitsache von der Beschwerdegegnerin (Bgin.) -- Oberfinanzdirektion -- angeführten Verwaltungsvorschriften des früheren Reichsministers der Finanzen, noch die a. a. O. erwähnten Verwaltungserlasse der früheren Leitstelle der Finanzverwaltung oder der ehemaligen Gemeinsamen Steuer- und Zollabteilung (bzw. der Fininzministerien der Länder) der britischen Zone sind nach den genannten Beschlüssen als Rechtsvorschriften anzusehen, die eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG darstellen (vgl. für das Erfordernis eines Gesetzes auch von Mangoldt, Kommentar zum GG Anm. 3 zu Art. 12 S. 94).

Die als Urteil bezeichnete Entscheidung des Finanzgerichts vom 20. Mai 1953 konnte die in den angeführten, ihr zeitlich nachfolgenden Beschlüssen des Bundesfinanzhofs aufgestellten Grundsätze noch nicht berücksichtigen. Die Entscheidung unterliegt, da sie der in den Beschlüssen klargestellten Rechtslage teilweise nicht entspricht, der Aufhebung.

Die Bgin. (Oberfinanzdirektion) hält -- trotz Kenntnis der Beschlüsse -- die schon in ihrer Beschwerdeentscheidung vertretene Rechtsauffassung aufrecht.

Die Bgin. vertritt vor allem die Ansicht, daß ein Standesgewohnheitsrecht des Berufsstandes der Helfer in Steuersachen gegeben sei, nach dem jede werbende Tätigkeit, insbesondere auch durch die Führung zusätzlicher Berufsbezeichnungen, verboten ist.

Die Ausführungen der Bgin. geben dem erkennenden Senat -- auch nach nochmaliger Prüfung -- keine Veranlassung, von dem in den erwähnten Beschlüssen eingenommenen Standpunkt abzugehen, der übrigens auch eine überwiegend zustimmende Beurteilung im steuerrechtlichen Schrifttum gefunden hat.

Der Senat hält im besonderen auch seine unter Ziff. I, 5 des Beschlusses II 31/53 U näher begründete Auffassung aufrecht, daß sich die Finanzverwaltungsbehörden -- auch im Streitfall -- für ihre Maßnahmen nicht auf ein gewohnheitsrechtliches Standesrecht berufen können, da ein solches nicht gegeben ist. Im einzelnen wird auf die Darlegungen unter Ziff. I, 5 a. a. O. verwiesen.

Der Senat hat außerdem folgendes erwogen:

Der zeitliche Schwerpunkt für die Bildung des von der Bgin. -- auch unter Bezugnahme auf eine Entschließung des Beirats einer Landesbezirksstelle der Kammer der Steuerberater für die britische Zone -- behaupteten Standesgewohnheitsrechts müßte in der Zeit nach Einfügung des § 107a in die Reichsabgabenordnung, also in den Jahren 1936 bis 1945 liegen. Es kann schon ganz allgemein zweifelhaft sein, ob diese Zeitspanne wegen der von der totalitären Staatsführung vertretenen Auffassungen und geübten Gepflogenheiten für die Bildung einer allgemeinen Rechts überzeugung -- als Voraussetzung für die Entstehung von Gewohnheitsrecht -- in Betracht kommt. Jedenfalls kann im besonderen hinsichtlich der streitigen Fragen der Berufsbezeichnung der Helfer in Steuersachen von der Bildung einer allgemeinen Rechts überzeugung in dieser Zeit deshalb nicht gesprochen werden, weil die maßgebenden Verwaltungsanordnungen, die der Übung des Berufsstandes zu Grunde lagen, zum Teil mit dem Gesetz nicht im Einklang standen, wie in dem Beschluß II 31/53 U im einzelnen dargelegt ist.

Auch in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch des Jahres 1945 und dem Inkrafttreten des GG (1949) war die Rechtsgestaltung in den einzelnen Ländern der späteren Bundesrepublik Deutschland so unterschiedlich, daß auch diese Zeit nicht für die Bildung einer allgemeinen Rechtsüberzeugung geeignet war. Außerdem würde diese Zeitspanne zu kurz für eine lang andauernde Übung sein. Hinzu kommt, daß schon in diesen Jahren entsprechend der allgemeinen freiheitlicheren Auffassung von den Rechten der Staatsbürger eine Anzahl von Helfern in Steuersachen das Recht zur Führung zusätzlicher Berufsbezeichnungen in Anspruch nahm; von einer allgemeinen Rechts überzeugung auch innerhalb der Berufsgruppe kann daher nicht gesprochen werden, auch wenn sich die überwiegende Mehrheit der Angehörigen des Berufsstandes weiterhin an die einer Rechtsgrundlage entbehrenden Verwaltungsanordnungen aus der Zeit vor 1945 gehalten hat.

Übrigens ist die Darlegung der Bgin., daß hinsichtlich der Führung der Berufsbezeichnungen kein Druck von den Finanzverwaltungsbehörden ausgeübt wurde, nach Kenntnis des Bundesfinanzhofs nicht zutreffend.

Da somit vor dem Inkrafttreten des GG ein Standesoder allgemeines Gewohnheitsrecht in dem behaupteten Sinne nicht anzuerkennen ist, bedarf es keiner Untersuchung, ob dieses Gewohnheitsrecht nicht nach Art. 123 Abs. 1 GG deshalb außer Kraft getreten wäre, weil es dem GG (insbesondere Art. 12 Abs. 1) widerspricht.

Der Bildung von mit den Grundrechten nicht im Einklang stehenden Gewohnheitsrecht nach Inkrafttreten des GG steht die Bestimmung des Art. 19 Abs. 1 GG entgegen (vgl. dazu auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 B v R 787/52 vom 10. Februar 1953, Slg. der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 2 S. 121 ff.).

Da der Senat nur Rechts vorschriften zu beachten hat, muß es für die Entscheidung außer Betracht bleiben, ob, wie die Bgin. geltend macht, das im Entwurf eines Steuerberatungsgesetzes (vgl. Bundesrats-Drucksache Nr. 528/53) im § 20 Abs. 2 vorgesehene Verbot nicht amtlich verliehener Berufsbezeichnungen einer allgemeinen Standes sitte des Berufsstandes Rechnung trägt. Auch kann der Bundesfinanzhof die vorgesehene gesetzliche Regelung nicht seiner Beurteilung zugrunde legen, zumal noch nicht feststeht, ob und wann die entsprechende Bestimmung des Entwurfs Gesetz wird (vgl. insoweit auch Urteil des Bundesfinanzhofs II 114/52 S vom 16. Dezember 1953 -- BStBl. 1954 III S. 41, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung § 107 Rechtsspruch 2, Steuer und Wirtschaft 1954 Nr. 90 --; hier ist zwar auf eine beabsichtigte Regelung des Entwurfs zur Erläuterung hingewiesen, aber ausdrücklich hervorgehoben, daß der Bundesfinanzhof seine Entscheidung auf Grund des geltenden Rechts treffen muß).

Da es bisher an einer Gesetzesvorschrift fehlt, welche die Führung nicht amtlich verliehener Berufsbezeichnungen (außer akademischen Graden) verbietet, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob und inwieweit eine entsprechende Rechtsvorschrift mit dem GG vereinbar wäre.

Wie sich aus Ziff. II, 3 des Beschlusses II 31/53 U ergibt, würden die Finanzverwaltungsbehörden auf Grund des § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 107a der Reichsabgabenordnung befugt sein, gegen solche Arten der Werbung einzuschreiten, die eine Unzuverlässigkeit des betreffenden Helfers in Steuersachen erweisen würden. Im Streitfall kann nicht anerkannt werden, daß der Hinweis auf die betriebsberatende Tätigkeit des Bf., die in gewissem Umfange jeder Helfer in Steuersachen ausübt, und der Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer Fachvereinigung zu Zweifeln gegen die Zuverlässigkeit des Bf. Veranlassung geben könnten. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts ist der Senat der Auffassung, daß die gewählte zusätzliche Bezeichnung auch nicht geeignet ist, bei den Steuerpflichtigen eine Täuschung hervorzurufen. Es wäre, da die Abkürzung "VBV" nicht allgemein bekannt ist, wohl erwünscht, die volle Bezeichnung der Fachvereinigung der Abkürzung anzuschließen. Andererseits ist aber die Wahl der Abkürzung rechtlich nicht zu beanstanden, zumal sie auch in anderen Berufsgruppen üblich ist (vgl. V.D.I. = Verein Deutscher Ingenieure, B.D.A. = Bund Deutscher Architekten usw.).

Nach Auffassung des Senats werden jedenfalls berechtigte Interessen der Allgemeinheit oder der Finanzverwaltung und die staatliche Ordnung durch die Führung der zusätzlichen Berufsbezeichnung nicht beeinträchtigt (vgl. auch das rechtskräftig gewordene Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf, Kammern in Köln, VI. Kammer FG VI e 2/53 vom 30. Juni 1953, auszugsweise abgedruckt in "Der Betriebs-Berater" 1954 S. 216).

Im Ergebnis zutreffend hat übrigens schon die Vorinstanz festgestellt, daß § 9 Abs. 2 der Verordnung über eine Berufsordnung für die Angehörigen des wirtschaftlichen Prüfungs- und Treuhandwesens vom 20. Dezember 1946 (abgedruckt unter anderem im Amtsblatt für Schleswig-Holstein 1947 S. 149) der Führung der vom Bf. gewählten zusätzlichen Bezeichnung nicht entgegensteht. Denn es handelt sich hier um keine den Berufsbezeichnungen der "Wirtschaftsprüfer" oder "Vereidigten Buchprüfer" ähnliche oder mit diesen verwechslungsfähige Bezeichnung, deren Verwendung anderen Berufsgruppen verboten wäre. Nach Auffassung des Senats ist dabei eine enge Auslegung dieser Vorschrift geboten, zumal sie nach Abs. 3 Ziff. 2 a. a. O. mit einer Strafandrohung verbunden ist. Auf die Frage der etwaigen Rechtsungültigkeit der genannten Verordnung braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Die Verwaltungsbehörden dürfen den Staatsbürger bei der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Rechte nur im Rahmen des GG auf Grund einwandfreier Rechtsvorschriften beschränken. Da eine einwandfreie Rechtsgrundlage für das Verbot der streitigen zusätzlichen Berufsbezeichnung fehlt, waren die das Verbot enthaltende Verfügung des Finanzamts, die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion und das Urteil des Finanzgerichts mit der Kostenfolge aus § 309 der Reichsabgabenordnung aufzuheben (vgl. übrigens für die verfahrensmäßige Behandlung die Begründung unter III des Beschlusses des Bundesfinanzhofs II 31/53 U).

 

Fundstellen

Haufe-Index 408070

BStBl III 1955, 20

BFHE 1955, 54

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