Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Ablehnung der Akteneinsicht

 

Leitsatz (NV)

Die Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht in nicht dem FG vorliegende Akten Dritter begründet keine Besorgnis der Befangenheit.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte ein Einfamilienhaus errichtet, an einen Zwischenvermieter vermietet und erreicht, daß der Verzicht auf die Steuer befreiung der Mietumsätze von dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) anerkannt und die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über die Herstellung des Gebäudes zum Abzug zugelassen worden waren. Als die Finanzbehörde später Schreiben des Klägers an den Zwischenvermieter ermittelte, nach denen der Kläger den Zwischenvermieter von einem Mietausfallrisiko befreite, änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1982 und 1983, versagte den Vorsteuerabzug und forderte erstattete Steuerbeträge zurück. Außerdem setzte es durch Bescheid vom 22. September 1992 Hinterziehungszinsen fest. Diesen Bescheid focht der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren vor dem Finanzgericht (FG) an.

Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG lehnte den Antrag des Klägers, den auf den 8. Dezember 1993 festgesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, durch Beschluß vom 29. November 1993 ab. Das FG begründete dies damit, daß der Kläger erhebliche Gründe, die ihn an der Teilnahme hinderten, nicht näher bezeichnet und nicht glaubhaft gemacht habe. Die Terminsaufhebung sei auch nicht geboten, damit der Kläger die beantragte Einsicht in Akten des an dem Verfahren nicht beteiligten Zwischenvermieters nehmen könne, weil dessen Steuerakten nicht den Streitfall berührten und deshalb vom FG nicht beigezogen worden seien. Darauf lehnte der Kläger den Vorsitzenden Richter und seine Senatskollegen durch ein am 7. Dezember 1993 beim FG eingegangenes Schreiben wegen Befangenheit ab. Zur Begründung wies der Kläger darauf hin, daß er auf der Akteneinsicht und der Terminsverschiebung bestehe, daß er aus den Steuerakten des Zwischenvermieters nach entlastenden Gründen gegen die ihm vorgeworfene Steuerhinterziehung suchen wolle und daß ihm die abgelehnten Richter ganz wesentliche Entlastungsbeweise vorenthielten. Darauf wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und das Ablehnungsgesuch durch die abgelehnten Richter mit dem angefochtenen Beschluß vom 15. Dezember 1993 als unzulässig zurückgewiesen. Dazu wird in dem bezeichneten Beschluß u. a. dargelegt, daß die Beiziehung der Steuerakten des Zwischenvermieters als eines Dritten nach § 30 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht zulässig sei und daß der Kläger daraus keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters noch der anderen Senatsmitglieder habe ableiten können.

Mit der Beschwerde gegen den Beschluß des FG über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs macht der Kläger geltend, aus den Steuerakten des Zwischenvermieters werde sich ergeben, daß er, der Kläger, von dem Zwischenvermieter betrogen worden sei und daß er nicht vorsätzlich Steuern hinterzogen habe. Die Ablehnung der Aktenbeiziehung rechtfertige das Mißtrauen in die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat die Ablehnungsanträge rechtsfehlerfrei zurückgewiesen.

Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Anlaß vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind vorhanden, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 m. w. N.).

Die Ablehnung der Akteneinsicht im Streitfall begründet kein derartiges Mißtrauen gegen die abgelehnten Richter. Einen Anspruch auf Akteneinsicht hatte der Kläger nur in Gerichtsakten, zu denen die bezeichneten Vorgänge nicht gehören, weil sie den am Verfahren nicht beteiligten Zwischenvermieter betreffen, und in die dem Gericht vorgelegten Akten (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die dem Gericht vorgelegten Akten sind die den Streitfall betreffenden Akten (vgl. § 71 Abs. 2 FGO), soweit deren Inhalt entscheidungserheblich ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 78 FGO Tz. 3). Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung lediglich vermutet, daß er aus den Steuerakten des Zwischenvermieters entlastende Umstände erfahren werde. Begründete Anhaltspunkte hat er dafür nicht nennen können.

Selbst eine fehlerhafte Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht oder eine verspätete Entscheidung über einen möglicherweise konkludent gestellten Antrag auf Beiziehung der Steuerakten des Zwischenvermieters rechtfertigt keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung der Finanzrichter für die Entscheidung in der Hauptsache. Dafür müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß die Fehlbeurteilung auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür des Richters beruht (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 30. Juli 1993 I B 55, 56/93, BFH/NV 1994, 325). Solche weiteren, im eigenen Verhalten eines der abgelehnten Richter begründeten zusätzlichen Anhaltspunkte hat der Kläger aber nicht geltend gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420076

BFH/NV 1995, 604

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