Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsbegründung in Form nicht unterzeichneter Anlagen; Beteiligungsfähigkeit einer stillen Gesellschaft (Einheitsbewertung des Betriebsvermögens)

 

Leitsatz (NV)

1. Im finanzgerichtlichen Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens ist eine stille Gesellschaft nicht beteiligungsfähig.

2. Reicht ein Prozeßbevollmächtigter zum Zwecke der Begründung der Revision fünf zusammengeheftete Blätter ein, deren erstes - unterschriebenes - Blatt keinen Hinweis auf die weiteren vier - nicht unterschriebenen - Blätter (Revisionsbegründung nebst Anlage) enthält, so kann es an einer durch Unterschrift gedeckten ordnungsgemäßen Revisionsbegründung fehlen.

3. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter diesen Umständen.

 

Normenkette

FGO § 48 Abs. 1 Nr. 3, § 54 Abs. 2, § 56 Abs. 1; HGB § 335 Abs. 2; ZPO § 50 Abs. 1, § 222 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Am 22. Januar 1979 erließ das beklagte FA einen zusammengefaßten Bescheid über die Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1973, den 1. Januar 1974, den 1. Januar 1975 und den 1. Januar 1976 gegen die ,,X-GmbH atypisch stille Gesellschaft z. Hd. des Geschäftsführers". Die Klage gegen diesen Bescheid wurde als Rechtsstreit der ,,X-GmbH + atypisch stille Gesellschaft" geführt. Ihr Ziel war es, die Einheitswerte um die Werte der Anteile an der X-GmbH zu kürzen.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision wird das Klagebegehren weiterverfolgt.

Am 2. Mai 1983 ist beim BFH im Anschluß an die Einlegung der Revision beim FG eine aus fünf zusammengehefteten Blättern bestehende Postsendung des Prozeßbevollmächtigten eingegangen. Auf dem ersten von ihm unterschriebenen Blatt hat er unter dem Datum des 28. April 1983 den Revisionsantrag gestellt und auf mündliche Verhandlung verzichtet. Ein Hinweis auf die weiteren nicht unterschriebenen Blätter, die die Revisionsbegründung nebst Anlage enthalten, fehlt. Das erste dieser vier Blätter ist ohne Seitenangabe, die beiden nächsten Blätter sind mit den Angaben ,,- 2 -" und ,,- 3 -" gekennzeichnet. Das letzte Blatt mit einem Schaubild, auf das in der Revisionsbegründung Bezug genommen worden ist, ist als Anlage 1 bezeichnet worden.

Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats hat der Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 24. Mai 1983 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung weist er darauf hin, daß das von ihm unterschriebene Schreiben vom 28. April 1983 versehentlich nicht den von ihm diktierten Satz ,,Begründung liegt bei" enthält.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, da innerhalb der Revisionsbegründungsfrist weder eine unterschriebene Revisionsbegründung noch eine Revisionsbegründung eingegangen ist, auf die in einem unterzeichneten Anschreiben Bezug genommen worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.

1. Die Revision ist namens der X-GmbH erhoben worden. Das Urteil des FG ist zwar gegen die X-GmbH + atypisch stille Gesellschaft ergangen. Auch die in der Revisionsinstanz eingereichten Schriftsätze gehen hiervon aus. Da jedoch eine stille Gesellschaft im finanzgerichtlichen Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht beteiligungsfähig und somit nicht befugt ist, gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO Klage zu erheben, legt der Senat die entsprechenden Prozeßerklärungen dahin aus, daß die Revision namens der X-GmbH erhoben worden ist.

Eine stille Gesellschaft ist nach den Steuergesetzen deshalb nicht beteiligungsfähig, weil es ihr an der steuerlichen Rechtsfähigkeit mangelt (arg. § 50 Abs. 1 ZPO). Auf sie kann deshalb auch nicht die Rechtsprechung des III. Senats übertragen werden, wonach die durch einen geschäftsführenden Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO in einer die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens betreffenden Sache erhobene Klage der Gesellschaft zuzurechnen sei (vgl. hierzu das Urteil vom 18. Mai 1973 III R 73-75/72, BFHE 109, 373, BStBl II 1973, 676).

Daß eine stille Gesellschaft im finanzgerichtlichen Verfahren nicht beteiligungsfähig ist, folgt vor allem daraus, daß bei der stillen Gesellschaft kein von den Gesellschaftern abgrenzbares Gebilde entsteht, das von seiner Struktur her als Träger von Rechtsbeziehungen in Betracht kommen könnte. Auch bei Gründung einer atypischen stillen Gesellschaft entsteht keine Gesamthandsgemeinschaft der Gesellschafter, weil es sich um eine reine Innengesellschaft handelt und deshalb zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Geschäftsinhaber nur schuldrechtliche Beziehungen bestehen (vgl. Ulmer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 705 Tz. 195; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, I, 1, § 1 III , S. 6 ff.). Inhaber des Betriebes, an dem sich der stille Gesellschafter beteiligt, bleibt der Geschäftsinhaber (vgl. § 335 Abs. 2 HGB). Dies alles schließt es aus, bei der stillen Gesellschaft neben dem Geschäftsinhaber noch die stille Gesellschaft selbst als steuerrechtlich rechtsfähiges Gebilde anzusehen. Soll unter diesen Umständen eine Klage gegen einen Einheitswertbescheid erhoben werden, durch den der Einheitswert des Betriebsvermögens festgestellt und auf den Geschäftsinhaber und den/die stillen Gesellschafter aufgeteilt wird, so ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO allein der Geschäftsinhaber klagebefugt. Für die Auslegung des Senats spricht auch der Umstand, daß die Prozeßvollmacht von der X-GmbH erteilt worden ist.

2. Die Unzulässigkeit der Revision folgt daraus, daß innerhalb der am 2. Mai 1983 endenden Revisionsfrist (vgl. § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 2 ZPO) keine schriftliche, d. h. durch eine Unterschrift gedeckte Revisionsbegründung beim BFH eingegangen ist. Die Revisionsbegründung ist weder unterschrieben noch kann aus dem vom Prozeßbevollmächtigten unterschriebenen ersten Blatt gefolgert werden, daß die Revisionsbegründung dem unterschriebenen Schriftsatz vom 28. April 1983 mit Wissen und Wollen des Prozeßbevollmächtigten beigeheftet worden ist. Denn dieser Schriftsatz (das erste Blatt) enthält keinerlei Hinweis auf die Beifügung einer Revisionsbegründung, die zudem aufgrund der Bezeichnung der Seiten nicht als Fortsetzung des unterschriebenen Schriftsatzes angesehen werden kann.

Die völlig neutral gestaltete Revisionsbegründung läßt auch nicht erkennen, daß sie von dem Prozeßbevollmächtigten stammt oder von ihm gebilligt worden ist und auf seine Veranlassung an den BFH übersandt wurde. Eine Beweisaufnahme darüber, daß die Revisionsbegründung auf Veranlassung des Prozeßbevollmächtigten dem unterschriebenen Schriftsatz vom 28. April 1983 beigefügt worden ist, ist nicht zulässig, weil eine Beweisaufnahme gerade durch das Erfordernis der Unterschrift vermieden werden soll (vgl. den Beschluß des BGH vom 4. April 1973 VIII ZB 11/73, VersR 1973, 636).

Der Große Senat des BFH hat allerdings in seinem Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72 (BFHE 111, 278, 285, BStBl II 1974, 242) die Auffassung vertreten, daß eine Revision im finanzgerichtlichen Verfahren auch dann ordnungsgemäß begründet sei, wenn zwar nicht das die eigentliche Begründung enthaltende Schreiben, wohl aber das mit diesem Schriftstück zusammen beim BFH eingegangene Anschreiben von einem dazu Berechtigten handschriftlich unterzeichnet worden und ohne weiteres erkennbar sei, daß es sich nicht nur um einen Entwurf handle, sondern um eine von dem Berechtigten gefertigte und bewußt eingereichte Begründung der Revision. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall aber deshalb nicht erfüllt, weil der unterschriebene Schriftsatz vom 28. April 1983 anders als in dem dem Großen Senat seinerzeit unterbreiteten Fall keinerlei Hinweis auf die anliegende Revisionsbegründung enthält und deshalb nicht als Anschreiben in dem vom Großen Senat gemeinten Sinne beurteilt werden kann.

Da der Beschluß des Großen Senats nicht einschlägig ist, bedarf es keiner Prüfung, ob sich die Grundlagen für die Entscheidung des Großen Senats dadurch verändert haben, daß durch Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG beim BFH der Vertretungszwang eingeführt worden ist. Der Große Senat hatte seinerzeit seine Rechtsausführungen wesentlich darauf gestützt, daß beim BFH kein Vertretungszwang bestehe.

3. Der Klin. ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wobei es keiner ausdrücklichen Entscheidung darüber bedarf, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann gewährt werden kann, wenn lediglich eine bestimmte Form nicht gewahrt wird (vgl. hierzu die BFH-Urteile vom 16. August 1979 I R 95/76, BFHE 129, 1, BStBl II 1980, 47, und vom 30. Mai 1984 I R 2/84, BFHE 141, 223, BStBl II 1984, 669, m. w. N.). Denn die Einreichung der nicht wirksamen Revisionsbegründung ist nicht unverschuldet i. S. des § 56 Abs. 1 FGO. Wenn der Prozeßbevollmächtigte von der Regel abweichen will, eine von ihm unterschriebene Revisionsbegründung einzureichen, muß er besonders sorgfältig darauf achten, daß gleichwohl die Revision wirksam begründet wird. Wählt er z. B. den vom Großen Senat des BFH zugelassenen Weg, in einem unterschriebenen Anschreiben auf die beigefügte Revisionsbegründung zu verweisen, so muß er sich bei der Leistung der Unterschrift vergewissern, daß das von ihm zu unterzeichnende Schreiben diesen Hinweis wirklich enthält. Er darf sich nicht etwa darauf verlassen, daß er diesen Hinweis vorher diktiert hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413965

BFH/NV 1986, 33

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