Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde bei verweigerter Aussetzung der Vollziehung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, wenn die aufgeworfene materielle Rechtsfrage in dem summarischen Revisionsverfahren über die Aussetzung der Vollziehung einer abschließenden Klärung nicht zugeführt werden kann.

2. An der Rechtmäßigkeit der in § 55 Abs. 8 und 9 ZG zum Ausdruck kommenden Regelung, wonach der Inhaber eines Zollverfahrens regelmäßig Zollschuldner hinsichtlich der aus seinem Zollverfahren entwendeten oder abhanden gekommenen Waren wird, bestehen keine ernstlichen Zweifel.

3. Die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht für einen Billigkeitserlaß noch Raum für die Anwendung nationaler Vorschriften läßt, ist jedenfalls bezüglich des Zolls nicht klärungsbedürftig.

 

Normenkette

AO §§ 163, 227, 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 361 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 3, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 3 S. 3; UStG § 21 Abs. 2; EUStBV § 17; TabStG § 10 Abs. 1-2; ZG § 55 Abs. 8-9; EWGV 1430/79 Art.13; EWGV 1697/79; EWGV 3799/86 Art.4 Nr. 1 Buchst. a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrt vom Beklagten und Beschwerdegegner, dem Hauptzollamt (HZA), die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids.

Die Klägerin betreibt eine Spedition für den Transport von Containern. Sie schließt in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung, Transportverträge u.a. mit Reedereien ab. 1988 fertigte das HZA auf Antrag der Klägerin, vertreten durch die mit dem Transport beauftragte Reederei, insgesamt 600 Karton Zigaretten amerikanischen Ursprungs, die für die amerikanischen Streitkräfte bestimmt waren, zur bleibenden Zollgutverwendung in den der Klägerin bewilligten Verteilerverwendungsverkehr ab. Die Zigaretten wurden in einem verschlossenen und verplombten Container auf einem Motorschiff befördert. Während des Transports und vor der Übergabe der Zigaretten an die US-Streitkräfte wurden nach Feststellungen der Zollfahndung 250 Karton mit Zigaretten von der Besatzung des Motorschiffs entwendet. Die US-Streitkräfte bestätigten aber den einwandfreien Erhalt des Containers. Das HZA nahm die Klägerin auf Zahlung der Eingangsabgaben für die gestohlenen Zigaretten - wegen zweckwidriger Verwendung - in Anspruch.

Gegen den Steuerbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Die gleichzeitig beantragte Aussetzung der Vollziehung wurde vom HZA abgelehnt; die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Die nunmehr erhobene Verpflichtungsklage wies das Finanzgericht (FG) ab, weil bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids bestünden. Die Zigaretten, die sich nach dem Truppenzollrecht als Zollgut in der bleibenden Zollgutverwendung befunden hätten, seien durch den Diebstahl zweckwidrig verwendet worden. Da die Klägerin den Nachweis der zweck- und fristgerechten Verwendung des Zollguts nicht habe erbringen können, sei in ihrer Person als Inhaberin des Verteilerverwendungsvekehrs die Abgabenschuld gemäß § 55 Abs. 8 und 9 des Zollgesetzes (ZG), § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), § 10 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) entstanden. Diese Vorschriften seien verfassungskonform und stellten insbesondere keine Abgabenregelung mit erdrosselnder Wirkung dar. Sie dienten lediglich der Sicherung des Zollverkehrs und bürdeten der Klägerin bei zweckgerechter Verwendung keine zusätzlichen steuerlichen Lasten auf. Werde aus steuertechnischen Gründen bei der Einfuhr zunächst auf die Festsetzung der Abgaben verzichtet, weil die Waren in einem Zollverfahren befördert würden, so dürfe bei einem Diebstahl nicht endgültig auf die Abgabenerhebung verzichtet und das Risiko des Transportverlustes der Allgemeinheit angelastet werden. Der Klägerin sei als Speditionsunternehmen bekannt gewesen, daß hochsteuerbare Waren nur unter der Bedingung der vollständigen Abgabe an die ausländischen Streitkräfte steuerfrei transportiert werden könnten. Angesichts dieses Risikos hätte die Klägerin eine größere Sorgfalt bei der Sicherung des Transports und der Überwachung der Abgabe des Zollguts an die Streitkräfte walten lassen müssen. Schließlich sei auch die Ablehnung eines Erlasses aus Billigkeitsgründen durch das HZA bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, da die einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften, die auch auf die nationalen Abgaben entsprechend anzuwenden seien, einen Erlaß bei einem nicht fahrlässigen Handeln des Beteiligten nur zuließen, wenn die gestohlenen Waren kurzfristig wiedergefunden würden.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung verschiedener Rechtsfragen und wegen Verfahrensmängeln.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Nach Auffassung der Klägerin hat vornehmlich folgende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung: Bei verfassungskonformer Auslegung des § 55 Abs. 8 und 9 ZG sei eine Inanspruchnahme desjenigen als Zollschuldner ausgeschlossen, dem das Zollgut gestohlen worden sei; sei eine solche Auslegung nicht möglich, seien diese Vorschriften wegen Verstoßes gegen Art.14 des Grundgesetzes (GG) als nichtig anzusehen.

Es kann dahinstehen, ob die ausführliche Darlegung der Rechtsfrage durch die Klägerin auch hinreichend das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts enthält, denn es fehlt im vorliegenden Fall jedenfalls an der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage in einem möglichen Revisionsverfahren über die begehrte Aussetzung der Vollziehung.

a) Der Senat geht dabei davon aus, daß die Nichtzulassungsbeschwerde nicht etwa deshalb unzulässig ist, weil in ihr nicht die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage dargelegt wird (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), die in bezug auf die Auslegung des § 361 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) von Bedeutung ist, sondern die grundsätzliche Bedeutung einer materiellen Rechtsfrage, die das Hauptverfahren betrifft. Er folgt damit der Auffassung, die der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Beschluß vom 28. November 1977 GrS 4/77 (BFHE 124, 130, BStBl II 1978, 229) zu einer vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Beschwerde gegen einen Beschluß nach § 69 Abs. 3 FGO vertreten hat, denn es kann keinen Unterschied machen, ob die Frage der Aussetzung der Vollziehung eines Bescheids in der ersten Instanz Gegenstand eines Beschlußverfahrens (wie im Falle des § 69 Abs. 3 FGO) oder eines Klageverfahrens (wie hier gemäß § 361 Abs. 2 AO 1977) war (a.A. offenbar Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 115 FGO Tz.88).

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber unbegründet, wenn die aufgeworfene materielle Rechtsfrage in dem summarischen Revisionsverfahren (Urteilsverfahren) über die Aussetzung der Vollziehung einer abschließenden Klärung nicht zugeführt werden kann (BFH, Beschluß vom 6.August 1986 II B 67/86, BFHE 147, 222, BStBl II 1986, 859; vgl. auch Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 115 FGO Abschn. 4a, am Ende; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.9813; a.A. wohl Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 115 Anm.15). Das stimmt mit dem allgemein anerkannten Grundsatz überein, daß eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung beikommt, (zumindest) im Revisionsverfahren einer abschließenden Entscheidung zugänglich sein muß (vgl. nur die von Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm.10 und 11, angeführten Beispiele).

Die Vorentscheidung steht mit ihrer Auslegung des § 55 Abs. 8 und 9 ZG in Einklang mit dem auch im Gemeinschaftszollrecht herrschenden Prinzip, daß der Inhaber eines Zollverfahrens Zollschuldner hinsichtlich der aus seinem Zollverfahren entwendeten oder abhandengekommenen Waren wird, es sei denn, er kann ihren Untergang oder die ohne sein Verschulden eingetretene Vernichtung der Waren nachweisen (vgl. Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, B/55 Rz.77 mit 42). Durch die Anbindung der Verbrauchsteuerentstehungstatbestände bei der Einfuhr an das Zollrecht (hier § 21 Abs. 2 UStG für die Einfuhrumsatzsteuer und § 10 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 TabStG für die Tabaksteuer) gilt Entsprechendes grundsätzlich auch für die nationalen Eingangsabgaben. Die hiergegen von der Klägerin erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken und die für die Verbrauchsteuern geltend gemachten Besonderheiten sind nicht geeignet, insoweit ernstliche Zweifel zu begründen, die eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen könnten.

2. Soweit die Klägerin grundsätzliche Bedeutung der Frage beimessen will, ob eine Zollschuld überhaupt aufgrund des § 55 Abs. 2 (gemeint ist wohl Abs. 9) Satz 2 ZG entstanden sein kann, sieht der Senat weder eine Rechtsfrage exakt formuliert noch ihre grundsätzliche Bedeutung ausreichend dargelegt. Die Darlegungen genügen insoweit nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO.

3. Mit dem weiteren Vorbringen, die Verordnung (EWG) Nr.1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 - NacherhebungsVO - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 197/1) gelte nicht für Fälle im Bereich des Truppenzollrechts, so daß sich die Festsetzungsverjährung für alle drei Abgabenarten nach § 169 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 richte, rügt die Klägerin lediglich Rechtsfehler, die ihrer Meinung nach dem FG unterlaufen seien. Dadurch wird eine grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Klägerin hätte nicht nur konkret auf die Rechtsfrage, sondern auch auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen müssen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 61).

4. Schließlich soll nach Ansicht der Klägerin die Frage von grundsätzlicher Bedeutung sein, ob die Verordnung (EWG) Nr.1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 - Erlaß / ErstattungsVO - (ABlEG L 175/1) die Ablehnung des Antrags auf Billigkeitserlaß rechtfertigen könne. Nach dem Sachzusammenhang zielt die Klägerin damit offenbar auf das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts über Erlaß / Erstattung zu den §§ 163, 227 AO 1977 ab. Sie meint, das Gemeinschaftsrecht lasse für einen Billigkeitserlaß bei Eingangsabgaben noch Raum für die Anwendung der nationalen Vorschriften.

Was die Einfuhrumsatzsteuer und die Tabaksteuer anbelangt, fehlt es jedenfalls an der ausreichenden Darlegung der Rechtsfrage. Der bloße Hinweis, Verbrauchsteuern als Eingangsabgaben seien von der Erlaß / ErstattungsVO nicht betroffen, reicht hierfür nicht aus. Zumindest hätte die Klägerin näher darlegen müssen, weshalb ihrer Ansicht nach trotz vorgeschriebener sinngemäßer Anwendung des Gemeinschaftsrechts für den Erlaß von Einfuhrumsatzsteuer (§ 17 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung) und Tabaksteuer (§ 10 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 TabStG) noch Raum für eine Anwendung der §§ 163, 227 AO 1977 bleibe.

Bezüglich des Zolles ist die Frage nicht klärungsbedürftig. Das Gemeinschaftsrecht regelt den Bereich von Erlaß / Erstattung abschließend. Die §§ 163, 227 AO 1977 und ihre Grundsätze sind als entgegenstehendes oder gleichlautendes nationales Recht seit 1. Juli 1980 auf gemeinschaftsrechtlich geschuldete Abgaben nicht mehr anwendbar (Senat, Urteil vom 3. Mai 1990 VII R 41/88, BFHE 160, 565; vgl. auch Bail / Schädel / Hutter, a.a.O., F IX 1/13 Rz.14; überholt insoweit Tipke / Kruse, a.a.O., § 227 AO 1977 Tz.5a). Weiter ist darauf hinzuweisen, daß Art.4 Nr.1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 vom 12. Dezember 1986 (ABlEG L 352/19) den Fall des Diebstahls von Nichtgemeinschaftswaren, die sich in einem Zollverfahren mit vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Eingangsabgaben befinden, unter Billigkeitsgesichtspunkten abschließend dahingehend regelt, daß Erlaß oder Erstattung nach Art.13 Erlaß/ErstattungsVO nur dann in Betracht kommt, wenn die Waren kurzfristig wiedergefunden und in ihrem ursprünglichen Zustand in ihre alte zollrechtliche Stellung zurückgeführt werden. Mangels Klärungsbedürftigkeit kann die Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg haben. Zudem gelten hier die Ausführungen unter 1. hinsichtlich der Klärungsfähigkeit im Revisionsverfahren über die Ausetzung der Vollziehung entsprechend.

5. Auch die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel führen nicht zur Zulassung der Revision.

a) Soweit die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird (§ 96 Abs. 2 FGO), weil nach Ansicht der Klägerin das FG sie hätte darauf hinweisen müssen, sie habe nichts oder zuwenig zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten beim Transport und der Überwachung der vollständigen Abgabe der Ware an die Streitkräfte vorgetragen, verkennt die Klägerin, daß das Gericht nicht verpflichtet ist, mit den Beteiligten umfassend alle rechtlichen Gesichtspunkte, die für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten, zu erörtern (vgl. BFH, Urteil vom 22.Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, 221, BStBl II 1984, 697). Auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG (§ 76 Abs. 2 FGO) kann die Klägerin sich auch deshalb nicht berufen, weil diesbezügliche Beweisanträge nicht gestellt worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 76 Anm.25). Zudem muß derjenige, der um einen Billigkeitserlaß nachsucht, um seiner Mitwirkungspflicht zu genügen, von sich aus alle für die Überzeugungsbildung des Gerichts notwendigen Umstände vorbringen. . .

 

Fundstellen

Haufe-Index 418392

BFH/NV 1993, 137

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