Leitsatz (amtlich)

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren kann nicht für notwendig erklärt werden, wenn sich die Hauptsache bereits im Einspruchsverfahren erledigt hat und nur die Kostenentscheidung des FA beim FG angefochten wurde.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 3 S. 3, Abs. 1

 

Tatbestand

Die durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vertretene Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hatte gegen einen Börsenumsatzsteuerbescheid Einspruch eingelegt und Herabsetzung beantragt. Das FA (Beklagter und Beschwerdeführer) setzte daraufhin durch Änderungsbescheid die Steuer herab und entschied durch Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 1972, daß die Kosten des Einspruchsverfahrens die Klägerin zu tragen habe. Gegen diese Kostenentscheidung erhob die Klägerin Klage. Während des Verfahrens vor dem FG hob das FA die angefochtene Einspruchsentscheidung auf. Die Beteiligten erklärten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Die Klägerin beantragte, die Kosten dem FA aufzuerlegen und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären. Diesem Antrag entsprach das FG durch Beschluß vom 30. März 1972.

Mit der Beschwerde macht das FA geltend, das FG sei - wie dem Beschluß des BFH vom 21. Mai 1971 III B 48/70 (BFHE 102, 454, BStBl II 1971, 714) zu entnehmen sei - nicht befugt gewesen, hinsichtlich der durch den Änderungsbescheid erledigten Hauptsache eine Entscheidung gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO zu treffen, denn insoweit sei das klägerische Begehren im Einspruchsverfahren endgültig erledigt worden und nicht in ein Klageverfahren übergegangen. Nur gegen die Kostenentscheidung vom 28. Januar 1972 habe die Klägerin ein Rechtsmittel eingelegt, so daß auch nur insoweit ein Vorverfahren geschwebt habe. Insoweit aber sei es nicht notwendig gewesen, einen Bevollmächtigten für das Vorverfahren zuzuziehen, weil die Klägerin ihre Interessen habe allein vertreten können.

Das FA beantragt, die im Beschluß des FG vom 30. März 1972 enthaltene Erklärung, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Durch den Änderungsbescheid sei die Hauptsache nicht voll, sondern nur zum Teil erledigt worden; im Kostenpunkt sei weiterhin das Vorverfahren anhängig geblieben. Es sei aber - wie aus dem BFH-Beschluß vom 21. Mai 1971 III B 48/70 - hervorgehe "in bezug auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO rechtlich nicht zulässig ... schon eine Teilerledigung vor dem FA zum Anlaß zu nehmen, den obsiegenden Steuerpflichtigen mit einer rechtswidrigen Kostenpflicht zu belasten".

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde des FA ist zulässig, insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 50 DM (§ 128 Abs. 3 FGO; BFH-Beschluß vom 8. August 1969 III B 17/69, BFHE 96, 388, BStBl II 1969, 661). Beschwerdegegenstand ist die Erklärung des FG, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig gewesen ist (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO). Der Wert dieses Beschwerdegegenstandes errechnet sich aus den erstattungsfähigen Kosten, und zwar nicht nur aus dem Streitwert der Kostenentscheidung, sondern aus dem gesamten streitigen Streitwert des Vorverfahrens; denn das FG ist offenbar in seiner Entscheidung von letzteren Kosten ausgegangen. Diese Kosten des Vorverfahrens übersteigen 50 DM.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Das FG durfte die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nicht für notwendig erklären. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört ihrem sachlichen Inhalt nach zum Kostenfestsetzungsverfahren (BFH-Beschluß vom 18. Juli 1967 Gr. S. 5-7/66, BFHE 90, 150, 152, 156, BStBl II 1968, 56). Maßgeblich für die Festsetzung und Erstattung der Aufwendungen für einen Bevollmächtigten im Vorverfahren ist deshalb die gerichtliche Kostenentscheidung. Diese richtet sich nach §§ 135 ff. FGO und kann sich als Folge des beim FG anhängigen Rechtsstreits nur auf den gerichtlichen Streitwert beziehen. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Kosten des Vorverfahrens den Gegenstand der Hauptsacheentscheidung bilden; denn auch in diesem Fall kann das Gericht nur entscheiden, ob der Steuerpflichtige die Kosten des Vorverfahrens zu tragen hat oder nicht. Es kann aber nicht darüber hinaus die Kosten des Vorverfahrens dem FA auferlegen mit der Folge, daß die notwendigen Vertretungskosten zu erstatten wären. Denn im materiellen Kostenrecht für das Einspruchsverfahren, das in den §§ 250-253 AO geregelt ist, finden sich nur Bestimmungen darüber, in welchen Fällen dem Steuerpflichtigen die Kosten des Einspruchsverfahrens auferlegt werden können; dagegen ist nicht vorgesehen, daß das FA die Kosten zu tragen bzw. die Auslagen des Steuerpflichtigen zu erstatten habe, wenn es dem Einspruchsbegehren im Vorverfahren ganz oder teilweise entspricht (vgl. zur entsprechenden Regelung in § 162 Abs. 2 Satz 2, § 72 VwGO, Entscheidungen des BVerwG vom 1. November 1965 Gr. S. 2/65, BVerwGE 22, 281 und vom 30. August 1972 VIII C 2/72, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts S. 310, § 72 VwGO Nr. 5, Entscheidung des BVerfG vom 29. Oktober 1969 1 BvR 65/68, BVerfGE 27, 175, 178). Nach diesen Grundsätzen könnte sich die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Vorverfahrens nach § 139 Abs. 1 FGO allenfalls auf den vom FG festgesetzten Streitwert für das gerichtliche Verfahren in Höhe von 350 DM beziehen. Da aber insoweit kein Vorverfahren geschwebt hat, scheidet aus diesem Grunde ein Ausspruch des Gerichts nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ebenfalls aus: Vorverfahren ist das durch außergerichtlichen Rechtsbehelf eingeleitete Verwaltungsverfahren, das dem Rechtsstreit vorausgeht und der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dient (BFH-Beschluß vom 8. Oktober 1971 II B 32/69, BFHE 103, 399, BStBl II 1972, 92). Die Kostenentscheidung war aber nicht schon in dem angefochtenen Verwaltungsakt, sondern erst in der Einspruchsentscheidung enthalten. Gegen diese erstmals bei Abschluß des Einspruchsverfahrens getroffene Entscheidung des FA ist aber nach § 229 AO der Einspruch nicht gegeben. Auch ist die Anfechtung der Kostenentscheidung auf einen anderen Gegenstand gerichtet als die Anfechtung der Hauptsache (vgl. BFH-Beschluß vom 22. März 1972 II B 14/71, BFHE 105, 95, BStBl II 1972, 493). Hinzu kommt, daß die Kosten dem Steuerpflichtigen nicht deshalb auferlegt worden waren, weil der Steuerbescheid rechtmäßig gewesen sei, sondern weil der Steuerpflichtige Tatsachen verspätet vorgebracht habe. Im übrigen sind hinsichtlich der Kostenentscheidung des FA im Vorverfahren keine gesonderten Vertretungskosten angefallen. Denn der Gegenstandswert des Vorverfahrens, aus dem die Gebühren zu berechnen sind, hat sich durch die Kosten nicht erhöht (vgl. § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 GKG, § 4 Abs. 1 ZPO). Für die durch die gerichtliche Anfechtung des Kostenausspruchs der Einspruchsentscheidung entstandenen Vertretungskosten bedarf es keiner Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, weil es sich insoweit nicht mehr um Kosten des Vorverfahrens, sondern um die Kosten des gerichtlichen Verfahrens handelt.

Der Beschluß des FG war deshalb insoweit aufzuheben, als die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 760

BFHE 1973, 497

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