Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Die Tatsache, daß ein Richter schon in einem früheren gerichtlichen Verfahren derselben Instanz mit dem zu beurteilenden Sachverhalt befaßt war und sich eine Meinung bilden mußte, ist für sich allein kein Ausschließungsgrund.

2. Auf Verfahrensverstöße und sonstige Rechtsfehler eines Richters läßt sich dessen Ablehnung grundsätzlich nicht stützen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; ZPO §§ 41, 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Rechtsnachfolger der 1993 verstorbenen X. Diese hatte eine gewerbliche Fremdenvermietung betrieben, die sie im Streitjahr 1979 aus Altersgründen aufgegeben hat. Wegen Nichtabgabe der Steuererklärung schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) im Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 15. April 1981 die Besteuerungsgrundlagen; dabei ging das FA von einem Aufgabegewinn in Höhe von ... DM aus.

Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) ist streitig, ob ein Schreiben der Erblasserin vom 11. April 1981 als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 15. April 1981 anzusehen ist. Des weiteren machen die Kläger geltend, die Erblasserin habe den Betrieb, wenn überhaupt, erst im Jahre 1981 aufgegeben. Die Einkommensteuer sei deshalb auf 0 DM herabzusetzen.

Diesem Klageverfahren vorausgegangen sind zwei ebenfalls vor dem ... Senat des FG entschiedene Verfahren, die auch die Einkommensteuer der Erblasserin für 1979 betrafen. Im Verfahren ... hatte die Erblasserin geltend gemacht, der Einkommensteuerbescheid für 1979 sei nicht wirksam ergangen, und hilfsweise beantragt, das FA zur Änderung des Einkommensteuerbescheids 1979 nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verpflichten. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es vertrat dabei unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 1973 I R 66/71 (BFHE 110, 502, BStBl II 1974, 70) die Auffassung, entsprechend den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei der dem FA obliegende Nachweis des Zugangs des Verwaltungsaktes erbracht, wenn der Adressat erst nach Jahren den Zugang bestreite, obwohl er schon früher wiederholt Anlaß gehabt hätte, den Nichtzugang geltend zu machen.

In dem ebenfalls vor dem ... Senat des FG anhängigen Verfahren ... war streitig, ob die Voraussetzungen für einen Erlaß der Einkommensteuer 1979 vorlagen. Das FG wies die Klage wiederum unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am FG Y als unbegründet zurück. Die gegen diese Urteile erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 16. März 1995 lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Vorsitzenden Richter am FG Y mit der Begründung ab, dieser sei bereits in zwei vorausgegangenen Verfahren der Erblasserin gegen das FA als Vorsitzender beteiligt gewesen. Im übrigen wies er auf das Urteil des BFH vom 15. September 1994 XI R 31/94 (BFHE 175, 327, BStBl II 1995, 41) hin.

Vorsitzender Richter am FG Y hat in seiner dienstlichen Äußerung erklärt, er halte sich nicht für befangen. Im Verfahren ... sei die Entscheidung auf die Rechtsprechung des I. Senats des BFH im Urteil vom 28. November 1973 I R 66/71 gestützt worden. Diese Grundsätze seien erst später -- nach Ergehen des FG-Urteils betreffend Einkommensteuer 1979 der Erblasserin -- durch das BFH-Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85 (BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534) aufgegeben worden. Der Zugang des nunmehr streitigen Einkommensteuerbescheides sei angesichts der Rechtskraft des Urteils nicht mehr streitbefangen. Das FG wies ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch zurück. In der ursprünglichen Besetzung wies das FG sodann die Klage als unbegründet ab. Gegen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Kläger machen geltend, nach dem zeitlichen Ablauf, wie er in der Niederschrift protokolliert sei, liege die Vermutung nahe, daß der abgelehnte Richter selbst über den Antrag auf Ablehnung entschieden habe. Die Niederschrift enthalte keine Aussagen über die Verhandlungsgespräche in der Sache selbst. Es sei deshalb zu vermuten, daß das Ergebnis der Entscheidung bereits vor der mündlichen Verhandlung festgestanden habe. Der angefochtene Beschluß sei fehlerhaft, denn allein erheblich sei, daß ein Richter in einem Vorverfahren in der gleichen Sache bereits mitgewirkt habe. Allein der "böse Schein" rechtfertige die Ablehnung. Im übrigen bestätige gerade die Begründung des vor liegenden Urteils, daß ein "vorbefaßter" Richter nicht erneut in derselben Sache entscheiden dürfe. Das Urteil weise zahlreiche Fehler auf. Die dienstliche Äußerung zeige, daß sich der Richter erst am Tage der mündlichen Verhandlung mit der geänderten Rechtsprechung befaßt habe. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger selbst habe in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Rechtsprechung hingewiesen. Seit Erlaß des Einkommensteuerbescheides für 1979 seien nunmehr 14 Jahre vergangen. Ungeachtet der Untätigkeitsklage vom 18. Dezember 1990 habe es 4 Jahre bis zur mündlichen Verhandlung gebraucht. Wenn wegen Festsetzungsverjährung nun eine Berichtigung der "Veranlagung 1979 auf 1980" nicht mehr möglich sei, sei dies dem abgelehnten Richter anzulasten und begründe ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist ungeachtet dessen, daß die Kläger das FG-Urteil nicht angefochten haben, zulässig, denn im Falle eines Erfolges der Befangenheitsbeschwerde wäre ihnen für eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 119 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützte Revision Wiedereinsetzung (§ 56 FGO) in den vorigen Stand zu gewähren (z. B. BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, 221).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist dabei, ob tatsächlich die Entscheidung durch Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Der Beteiligte muß von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß haben, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

2. Allein die Tatsache, daß der abgelehnte Richter in früheren gerichtlichen Verfahren derselben Instanz mitgewirkt oder entschieden hat, kann die Ablehnung eines Richters nicht begründen.

Von der Ausübung des Amtes als Richter ist nach § 51 Abs. 2 FGO lediglich ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

Ausgeschlossen ist nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszuge oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Diese Regelung umfaßt nur die Mitwirkung beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung in einer früheren, d. h. unteren Instanz. Der innere Grund für die Vorschrift ist -- insoweit nicht anders als für den gesetzlichen Ausschließungsgrund des § 51 Abs. 2 FGO -- die Erwägung, daß von keinem Richter erwartet werden kann, er werde mit voller Unbefangenheit nachprüfen, ob eine von ihm erlassene oder miterlassene Entscheidung zutrifft. Die Aufzählung der Ausschließungsgründe in § 41 ZPO ist abschließend (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142; BFH-Beschluß vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656). Die Tatsache, daß ein Richter schon in einem früheren gerichtlichen Verfahren derselben Instanz mit dem zu beurteilenden Sachverhalt befaßt war und sich eine Meinung bilden mußte, ist für sich allein kein Ausschließungsgrund (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 26. Februar 1992 I B 66/91, BFH/NV 1993, 104, m. w. N.; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 41, m. w. N.).

3. Auf Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters läßt sich dessen Ablehnung grundsätzlich nicht stützen (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308; vom 26. Juli 1989 IV B 106-109/88, BFH/NV 1991, 165, und vom 24. November 1994 X B 146-149/94, BFH/NV 1995, 692, jeweils m. w. N.). Sie können eine Besorgnis der Befangenheit nur ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber den ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. z. B. Senatsbeschluß in BFH/NV 1995, 692, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Vorwurf der Kläger, unter Vorsitz des abgelehnten Richters sei in einem ebenfalls die Einkommensteuer 1979 der Erblasserin betreffenden Verfahren eine fehlerhafte Rechtsauffassung vertreten worden, rechtfertigt deshalb keine Besorgnis der Befangenheit. Anhaltspunkte dafür, daß die beanstandete Auffassung von unsachlichen Erwägungen bestimmt worden wäre, haben die Kläger nicht vorgetragen. Im übrigen ist das FG insoweit der damaligen Rechtsauffassung des BFH gefolgt, an der der BFH erst nach Erlaß dieser Entscheidung nicht mehr festgehalten hat.

Soweit die Kläger im Beschwerdeverfahren neue Umstände für die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG Y vortragen, sind diese Gründe unbeachtlich. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden (z. B. BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253). Zwar können im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (§ 155 FGO i. V. m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO sind nur die Gründe, die in dem Ablehnungsgesuch dem FG gegenüber geltend gemacht worden sind.

Die Gründe für die Besorgnis der Befangenheit, die die Kläger aus dem in der Niederschrift protokollierten Verfahren bis zur Entscheidung über die Klage herleiten, sind erstmalig mit der Beschwerde geltend gemacht worden. Sie können daher im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 752

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