Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine neuen Ablehnungsgründe im Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (NV)

Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des Finanzgerichts können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 155; ZPO §§ 42, 44-45, 570

 

Tatbestand

Beim . . . Senat des Finanzgerichts (FG) waren vier Klagen anhängig, die die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1975 der Klägerin, die Einkommensteuer 1975 und 1976 des Klägers und die Einkommensteuer 1977 und 1978 der Kläger betrafen. In den Rechtsstreiten ging es um die aufgrund von Außenprüfungen wegen fehlender Einnahmebelege vorgenommenen Zuschätzungen zum Gewinn aus selbständiger bzw. gewerblicher Tätigkeit.

Das FG erhob Beweis durch Einholung eines Gutachtens des Prüfers beim FG, B. Aufgrund der Ermittlungen und einer Gesamtgeldverkehrsrechnung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß erhebliche Betriebseinnahmen nicht in der Buchführung erfaßt worden waren. Zu den Einwendungen der Kläger gegen das Gutachten, insbesondere hinsichtlich der bei der Gesamtgeldverkehrsrechnung angenommenen Lebenshaltungskosten nahm der Prüfer zusätzlich in einem Schreiben vom September 1986 Stellung.

Das FG setzte für alle vier Klagen Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. September 1989 an. Im Verlauf der Erörterung der Streitsache wegen Einkommensteuer 1976 des Klägers lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Vorsitzenden des . . . Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Im Sitzungsprotokoll ist der zum Ablehnungsgesuch führende Verhandlungsablauf wie folgt dargestellt:

,,Die Streitsache wurde erörtert. Während der Besprechung wirft Herr Rechtsanwalt F dem Vorsitzenden vor, daß er den Sachverhalt verdrehe. Als sich der Vorsitzende daraufhin diesen Vorwurf verbittet und erläutern will, unterbricht Herr Rechtsanwalt F und sagt, unter diesen Voraussetzungen sei er nicht weiter bereit zu verhandeln und lehne den Vorsitzenden ab. Zur Begründung erklärte Herr Rechtsanwalt F, das habe schon damit angefangen, daß der Vorsitzende behauptet habe, die Höhe der vom Prüfer jährlich anzusetzenden Lebenshaltungskosten sei mit dem Mandanten abgesprochen worden. Darauf habe er gesagt, der Prüfer habe gelogen, und darauf wiederum habe der Vorsitzende eine Erklärung abgegeben, die er, der Klägervertreter, nicht wiedergeben wolle. Der Anwalt, befragt, ob das so richtig zu Protokoll gegeben worden sei, erklärte: Ich sage dazu nichts. Der Vertreter des Beklagten verzichtete auf eine Äußerung. Daraufhin wurde die Verhandlung mit dem Hinweis, daß der Senat unter Zuhilfenahme eines weiteren Richters und unter Ausschluß des Vorsitzenden über den Befangenheitsantrag entscheiden werde, um 14.37 Uhr unterbrochen."

Über das Ablehnungsgesuch wurde mündlich verhandelt und nach Beratung der Beschluß verkündet, daß der Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen werde.

Zur Begründung führte das FG aus: Der Prozeßßbevollmächtigte habe erkennen können, daß die Behauptung des Vorsitzenden, die monatlich für die Lebenshaltung anzusetzenden Beträge seien mit dem Kläger abgesprochen gewesen, ihre Grundlage in entsprechenden Ausführungen des Prüfers in der Stellungnahme vom September 1986 gehabt hätte. Es habe der richterlichen Pflicht zur Sachaufklärung und Prozeßleitung entsprochen, auf diese Stellungnahme und auf deren mögliche Gewichtung für die Entscheidungsfindung hinzuweisen. Der Richter dürfe und solle seine Ansichten äußern und Hinweise geben, damit die Beteiligten ihr Prozeßverhalten danach einrichten und ggf. den eigenen Rechtsstandpunkt überprüfen könnten. Das Institut der Richterablehnung schütze nur vor Unsachlichkeit.

Die mündliche Verhandlung wurde noch an demselben Tag fortgesetzt und die übrigen Streitsachen verhandelt. Nach Beratung wurden die (klageabweisenden) Urteile verkündet.

Am Tag nach der mündlichen Verhandlung ging ein Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Kläger ein, in dem er den Ablehnungsantrag wie folgt begründete:

,,Die Verhandlung hatte etwa 35 Minuten gedauert. Dann erklärte der Vorsitzende, daß die Äußerungen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers ab jetzt protokolliert werden sollten, damit anschließend ein Verfahren gegen den Prozeßbevollmächtigten des Klägers bei der Rechtsanwaltskammer eingeleitet werden könne. Insoweit bat er auch den Bevollmächtigten des Beklagten, ,genau aufzupassen`. Das Vorstehende versichert der Unterzeichner hiermit anwaltlich. Daraufhin ist der Vorsitzende abgelehnt worden. Der Unterzeichner hat darauf hingewiesen, daß es ihm angesichts dieser Situation nicht zuzumuten sei, an der Verhandlung länger teilzunehmen."

Außerdem beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger Protokollberichtigung. Er habe in bezug auf den Prüfer B das Wort ,,Lügen" nicht gebraucht. Er habe lediglich behauptet, der Prüfer habe in der Stellungnahme nicht die Wahrheit wiedergegeben. Das FG lehnte den Antrag auf Protokollberichtigung ab.

Mit der Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über den Ablehnungsantrag trägt der Prozeßbevollmächtigte in Vertretung der Kläger vor: Entgegen der Begründung in dem angefochtenen Beschluß sei der Vorsitzende nicht abgelehnt worden, weil er eine von der Meinung der Kläger abweichende Ansicht zum Sachverhalt oder zur Rechtslage vertreten habe, sondern weil er ihn, den Prozeßbevollmächtigten, zu einem ihm genehmen Verhalten habe zwingen wollen. Der Vorsitzende habe ihn ohne sachlichen Grund einschüchtern und daran hindern wollen, die Interessen der Kläger so zu vertreten, wie dies nach der Sachlage geboten gewesen wäre. Auch gebe das Gericht in den Gründen des angefochtenen Beschlusses einiges unrichtig wieder. Hierauf komme es aber nicht an, da das Ablehnungsgesuch nur darauf gestützt sei, daß der Vorsitzende in unzulässiger Weise und ohne ausreichenden Grund versucht habe, ihn, den Prozeßbevollmächtigten, zu zwingen, die Meinung der Kläger nicht weiter zu vertreten. Einen ausdrücklichen Antrag stellte der Prozeßbevollmächtigte nicht.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Zu Recht hat das FG den Ablehnungsantrag der Kläger zurückgewiesen.

Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können die Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. In dem Ablehnungsgesuch ist der Ablehnungsgrund darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 44 Abs. 2 ZPO).

Laut Protokoll über die mündliche Verhandlung hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger zur Begründung seines Ablehnungsantrags und seiner Weigerung, weiter zu verhandeln, lediglich ausgeführt, ,,das habe schon damit angefangen, daß der Vorsitzende behauptet habe, die Höhe der vom Prüfer jährlich anzusetzenden Lebenshaltungskosten sei mit den Mandanten abgesprochen worden". Diese Behauptung des Vorsitzenden beruhte ersichtlich auf der Stellungnahme des FG-Prüfers vom September 1986. Da der Prüfer aufgrund eines Beweisbeschlusses des FG tätig geworden war, mußte der Vorsitzende den Inhalt seines Berichts und auch der Stellungnahme mit den Beteiligten erörtern. Bei vernünftiger und objektiver Beurteilung kann hierdurch nicht der Eindruck erweckt werden, der Vorsitzende werde nicht unvoreingenommen entscheiden.

2. Über die vom Prozeßbevollmächtigten der Kläger im Beschwerdeverfahren und in dem nach Verkündung der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch beim FG eingegangenen Schriftsatz vorgebrachten Ablehnungsgründe kann der Senat im Beschwerdeverfahren nicht befinden.

Zwar können im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (§ 155 FGO i. V. m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 132 Rdnr. 6). Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO ist die behauptete Befangenheit des abgelehnten Richters aus den im Gesuch genannten Gründen. Weitere nach der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vorgebrachte Gründe können daher im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden (z. B. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26. August 1985, Monatsschrift für deutsches Recht, 1986, 60; Thomas / Putzo, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 46 Anm. 3; Zöller, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 17; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 6566/1).

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 253

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