Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungsmäßigkeit einer Zustellung; entschuldigtes Fernbleiben eines Zeugen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Zustellung ist auch dann ordnungsgemäß, wenn der Postbedienstete den Benachrichtigungsschein in einen "Türschlitz" einwirft, auf der Postzustellungs urkunde aber einen Einwurf in den "Briefkasten" vermerkt.

2. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein in dieser Weise eingeworfener Benachrichtigungsschein dem Zustellungsempfänger zur Kenntnis gelangt.

3. Muß der Zustellungsempfänger mit einem amtlichen Schreiben (hier: Ladung) rechnen, so ist ihm zuzumuten, die eingeworfene Post einschließlich Werbesendungen gründlich durchzusehen.

4. Das Fernbleiben eines Zeugen ist nicht entschuldigt, wenn dieser die bei der Post niedergelegte Ladung nur deswegen nicht abholt, weil er auf seiner Fahrt von bzw. zur Arbeitsstätte einen Dritten mitnimmt und er aufgrund dessen die bei der Post niedergelegte Ladung nicht zu den Postöffnungszeiten abholen kann.

 

Normenkette

FGO §§ 82, 53 Abs. 2, §§ 56, 91; ZPO §§ 182, 217, 380-381, 400; VwZG § 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) Berlin beschloß am 29. Juli 1993 in der Streitsache M- GmbH gegen das Finanzamt A Beweis über die Zustellung der angefochtenen Einspruchsentscheidung durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Zeugen zu erheben. Der Zeuge und Beschwerdeführer war bis 1989 Steuerberater der M-GmbH gewesen. Der Beschwerdeführer wurde mit Postzustellungsurkunde, durch Niederlegung zugestellt am 20. September 1993, zum Termin zur Beweisaufnahme am Donnerstag, dem 30. September 1993, geladen. Er blieb dem Beweistermin unentschuldigt fern.

Mit Beschluß vom 30. September 1993, dem Beschwerdeführer lt. Postzustellungsurkunde zugestellt durch Niederlegung am 4. Oktober 1993, setzte das FG u. a. ein Ordnungsgeld gemäß § 380 Abs. 1, § 400 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Höhe von 400 DM, ersatzweise 2 Tage Ordnungshaft, fest. Der Beschluß war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Als neuer Beweistermin wurde zugleich der 14. Oktober 1993 bestimmt. Auch zu diesem Termin erschien der Beschwerdeführer nicht. Das FG setzte daraufhin ein Ordnungsgeld in Höhe von 600 DM, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, fest. Dieser Beschluß wurde dem Beschwerdeführer am 19. Oktober 1993 zugestellt.

Am 1. November 1993 legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluß vom 14. Oktober 1993 und am 16. November 1993 Beschwerde gegen den Beschluß vom 30. September 1993 ein und beantragte Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist. Die verspätete Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß vom 30. September 1993 sei ebenso wie sein Fernbleiben von den beiden Beweisterminen entschuldigt. Der Beschwerdeführer sei vom 4. bis 27. September 1993 in Italien im Urlaub gewesen. Er sei in der Nacht zum 27. September 1993 nach 14stündiger Autobahnfahrt nach A zurückgekehrt. Am Montag, den 27. September 1993, sei er darauf bedacht gewesen, sich von der anstrengenden Fahrt zu erholen und sich auf seine am 28. September 1993 wieder beginnende Arbeit vorzubereiten. Erst am Abend des 28. September 1993 habe er bei Durchsicht seiner Post den Benachrichtigungszettel der Post vorgefunden. Er habe die Absicht gehabt, die niedergelegte Post am 29. September 1993 abzuholen. Da seine Freundin, mit der er täglich morgens zur Arbeit und abends von der Arbeit zurückfahre, gerade an diesem Tag habe länger arbeiten müssen, habe die niedergelegte Sendung erst am 30. September 1993 abends abgeholt werden können. Da der Beweistermin zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden hatte, habe er nichts weiteres unternommen, vielmehr auf eine erneute Ladung gewartet. Unter Berücksichtigung seiner täglichen Arbeitszeit ab ca. 9.00 Uhr und der durch die Mitnahme seiner Freundin gebotenen morgendlichen Abfahrt um ca. 8.00 Uhr habe keine Möglichkeit bestanden, die Post morgens abzuholen. Der Beschwerdeführer habe auch keine Vorsorge für seinen Urlaub zu treffen gehabt, da er von dem finanzgerichtlichen Verfahren nichts gewußt habe. Auch habe keine gesteigerte Sorgfaltspflicht bestanden, die ihn zu einer umgehenden Abholung der niedergelegten Post hätte zwingen können. Eine Ladung zum Beweistermin am 14. Oktober 1992 habe der Beschwerdeführer nicht erhalten. Die Postzustellungsurkunde über den Zustellungsversuch am 2. Oktober 1993 sei insoweit fehlerhaft, als dort der Einwurf des Benachrichtigungsscheines in einen Briefkasten bestätigt werde. Der Beschwerdeführer habe keinen Briefkasten, sondern einen Türschlitz in seiner Haustüre. Auch hätte er den Beschluß vom 30. September 1993 persönlich in Empfang nehmen können, da er am 2. Oktober 1993 (= Sonnabend) seine Wohnung erst um 9.30 Uhr verlassen habe, der Postbote üblicherweise aber bereits um 9.00 Uhr komme. Es sei allerdings auch nicht auszuschließen, daß der Benachrichtigungszettel zwischen Werbeschriften gerutscht sei. Auch habe der Beschwerdeführer in der Zeit vom 4. bis 15. Oktober 1993 Handwerker in seiner Wohnung beschäftigt. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin sei ebenfalls von dem Beweistermin nicht unterrichtet gewesen. Der Beschwerdeführer hat seine Angaben eidesstattlich versichert.

Das FG hat nach Einvernahme des Postbeamten, der den Zustellungsversuch am 2. Oktober 1993 beim Beschwerdeführer vorgenommen hatte, der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde, die sich gegen den Be schluß des FG vom 30. September 1993 richtet, ist unzulässig.

a) Die Beschwerde betreffend die Festsetzung von Ordnungsgeld vom 30. September 1993 ist verspätet eingelegt worden. Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen (§ 129 Abs. 1 FGO). Da der Beschluß am 4. Oktober 1993 durch Niederlegung zugestellt wurde, ist die Beschwerdefrist am 18. Oktober 1993 abgelaufen. Die Be schwerde ging erst am 16. November 1993, und damit verspätet, ein.

Der Beschluß vom 30. September 1993 wurde ordnungsgemäß gemäß § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i. V. m. § 182 ZPO zugestellt. Insbesondere aufgrund des Eintrags in der Postzustellungsurkunde (vgl. zu deren Beweiskraft Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Februar 1992 V R 39/88, BFH/NV 1992, 580) und Aussage des Postbediensteten wurde der Beschwerdeführer von der Niederlegung in der für ihn bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise durch Einwurf in den Türschlitz benachrichtigt. Der Ordnungsmäßigkeit der Ladung steht nicht entgegen, daß der Postbedienstete für die Art der Benachrichtigung in der Postzustellungsurkunde das Kästchen mit der vorgedruckten Anmerkung "-- wie bei gewöhnlichen Briefen üblich -- in den Hausbriefkasten eingelegt" (Zeile 8.1) angekreuzt hatte, statt handschriftlich in Zeile 8.2 einzufügen "nämlich durch den Türschlitz". Keinesfalls kann die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung davon abhängig gemacht sein, ob hinter dem Türschlitz ein -- von außen ohnehin nicht sichtbares -- Behältnis angebracht ist, das den Türschlitz zum "Brief kasten" machen würde. Für die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung ist die Tatsache unerheblich, ob der Zustellungsempfänger den Benachrichtigungsschein zur Kenntnis nimmt (BFH-Urteil vom 6. September 1990 IV R 7/90, BFH/NV 1991, 714).

Die Rechtmäßigkeit der Zustellungsform kann auch nicht mit dem unsubstantiierten Vorbringen des Beschwerdeführers in Frage gestellt werden, daß er am Tag des Zu stellungsversuchs noch zuhause gewesen sei, weil er erst um 9.30 Uhr weggegangen sei, während der Postbedienstete üblicherweise schon um 9.00 Uhr bei ihm eintreffe. Ausweislich der Postzustellungsurkunde traf der Postbedienstete in der Wohnung des Beschwerdeführers niemanden an. Aufgrund dieser beurkundeten Tatsache ist der Schluß erlaubt, daß der Beschwerdeführer vor Eintreffen des Postbeamten seine Wohnung verlassen hatte.

b) Dem Beschwerdeführer kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer ohne Verschulden ge hindert gewesen wäre, die Beschwerdefrist einzuhalten. Verschuldet ist ein Fristversäumnis bereits bei leicht fahrlässigem Verhalten (so ständige Rechtsprechung; s. Nachweise z. B. bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rdnr. 11).

Der Beschwerdeführer begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag damit, daß er den Benachrichtigungsschein nicht erhalten habe. Wie aber bereits dargelegt, muß aufgrund der Eintragung in der Postzustellungsurkunde und der Aussage des Postbediensteten davon ausgegangen werden, daß dieser in der für den Beschwerdeführer bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben wurde. Grundsätzlich ist nach allgemeinen Erfahrungssätzen davon auszugehen, daß der Zustellungsempfänger den Benachrichtigungsschein erhalten hat und hiervon Kenntnis nimmt. Schuldhaft handelt aber auch derjenige, der von einer Mitteilung über die Niederlegung beim Postamt schuldhaft keine Kenntnis nimmt (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 VII B 165/87, BFH/NV 1988, 790). Das schließt allerdings im Einzelfall nicht aus, daß die Unkenntnis vom Einwurf eines Benachrichtigungsscheins entschuldigt ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob hierfür der Hinweis eines von der Ladung überraschten Zeugen genügen würde, daß der Benachrichtigungsschein "möglicherweise in eine Werbeschrift gerutscht" sei. Jedenfalls wenn der Zeuge mit einer Ladung rechnet oder zumindest rechnen muß, ist von ihm eine gründliche Prüfung der eingegangenen Post einschließlich Werbezuschriften zu erwarten. Insoweit trifft diesen eine besondere Sorgfaltspflicht. So lag es im Streitfall. Nach eigenen Angaben rechnete der Beschwerdeführer aufgrund der -- vergeblichen -- Ladung zum Termin am 30. September 1993 mit einer erneuten Ladung. Er hätte daher die eingehende Post sorgfältig untersuchen müssen. Handwerker, die möglicherweise die Post des Klägers sorglos behandelten oder versehentlich beseitigt haben könnten, waren in der Wohnung des Klägers erst ab 4. Oktober 1993 beschäftigt, so daß schon kein zeitlicher Zusammenhang mit dem Einwurf des Benachrichtigungsscheins am 2. Oktober 1993 bestand.

c) Unabhängig von der Zulässigkeit der Beschwerde könnte diese auch deswegen keinen Erfolg haben, weil die Festsetzung des Ordnungsgelds rechtmäßig gewesen ist.

Gemäß § 82 FGO i. V. m. § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist die Festsetzung eines Ordnungsmittels, das gemäß § 380 Abs. 1 ZPO einem Zeugen aufzuerlegen war, wieder aufzuheben, wenn der Zeuge glaubhaft macht, daß ihm die Ladung nicht rechtzeitig zugegangen war oder dieser sein Ausbleiben genügend entschuldigt.

aa) Die Ladung zum Beweistermin am 30. September 1993 wurde dem Beschwerdeführer ausweislich der Postzustellungs urkunde am 20. September 1993 durch Niederlegung zugestellt. Dies ist rechtzeitig. Die gesetzlich vorgeschriebenen Ladungsfristen (vgl. § 91 FGO, § 217 ZPO) gelten für die Zeugenladung nicht (vgl. z. B. auch Zöller, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., § 380 Rdnr. 1).

bb) Der Beschwerdeführer hat sein Fernbleiben vom Termin auch nicht genügend entschuldigt. Eine Entschuldigung liegt vor, wenn der Zeuge darlegt und glaubhaft macht, daß ihn am Ausbleiben vom Termin kein Verschulden trifft. Da auch Fahrlässigkeit eine Form des Verschuldens ist, darf ihn auch kein geringer Schuldvorwurf treffen. Das Maß des Verschuldens ist allenfalls bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsmittels zu berücksichtigen. Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Vortrag des Klägers glaubhaft ist, daß dieser am 27. September 1993 und im Laufe des 28. September 1993 nach Rückkehr aus seinem mehr als dreiwöchigen Urlaub, seine Privatpost nicht durchgesehen habe. Jedenfalls hatte er ausreichend Zeit, die bei der Post niedergelegte Ladung vor dem Be weistermin abzuholen. Wenn der Be schwerdeführer tatsächlich -- wie er vorträgt -- am Abend des 28. September 1993 von dem Benachrichtigungsschein Kenntnis erlangt haben sollte, so hätte er am Morgen des 29. September 1993 die niedergelegte Ladung abholen können. Zum einen trägt der Beschwerdeführer selber vor (Schriftsatz vom 7. Februar 1994), daß er seine Wohnung "ca. gegen 8.00 Uhr" verlassen müsse. Er hätte daher durchaus so rechtzeitig von zuhause abfahren können, daß er bereits um 8.00 Uhr bei der Post eine Ladung hätte abholen können. Der Senat kann offenlassen, ob auch ein verspätetes Eintreffen an der Arbeitsstelle zum Zweck der Abholung eines amtlichen Schreibens zumutbar gewesen wäre. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer seine Wohnung vor 8.00 Uhr und damit vor Öffnung des Postamtes verlassen mußte, beruhte nach seinen eigenen Angaben ausschließlich darauf, daß er üblicherweise seine Freundin zur Arbeit bringe. Darauf muß er ausnahmsweise verzichten, um das für ihn als Steuerberater erkennbar amtliche und mittlerweile bereits vor neun Tagen niedergelegte Schreiben abholen zu können. Entsprechendes gilt, wenn man dem Vortrag des Beschwerdeführers Glauben schenkt, daß seine Freundin am Abend des 29. September 1993 überraschenderweise habe länger arbeiten müssen und er daher erst nach Schließung des Postamts zuhause angekommen sei. Auch für diesen Fall hätte er die Heimfahrt allein antreten müssen. Die Sachlage ist daher vergleichbar derjenigen, in der der Geladene die Abholung der Ladung wegen starker Arbeitsbelastung vergißt (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juni 1992 II B 217/91, BFH/NV 1993, 479). Das Fernbleiben des Beschwerdeführers im Beweistermin am 30. September 1993 ist daher nicht entschuldigt.

2. Die Beschwerde, die sich gegen den Beschluß vom 14. Oktober 1993 richtet, ist unbegründet.

Dem Beschwerdeführer ist nach oben Gesagtem der Beschluß vom 30. September 1993, der neben der Auferlegung des Ordnungsgeldes auch die Ladung zum 14. Oktober 1993 zum Gegenstand hatte, ordnungsgemäß zugestellt worden. Das Ausbleiben im Termin ist nicht genügend entschuldigt i. S. des § 381 Abs. 1 ZPO. Das zur Ablehnung der Wiedereinsetzung Gesagte gilt entsprechend.

Die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes ist nicht zu beanstanden. Dieses hält sich in dem gesetzlich vorgesehenen Rahmen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch). Ein Ordnungsgeld in Höhe von 600 DM ist hinreichend dadurch gerechtfertigt, daß der Beschwerdeführer in unentschuldigter Weise schon der Ladung zum 30. September 1993 nicht gefolgt war (vgl. ähnlich auch BFH-Beschluß vom 8. April 1993 X B 207, 208/92, BFH/NV 1993, 555). Die (Ermessens-)Entscheidung des FG ist insoweit auch ausreichend begründet im Sinne des BFH-Beschlusses vom 1. Juni 1988 X B 41/88 (BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838), weil sie erkennbar auf das wiederholte Ausbleiben des Zeugen abstellt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420353

BFH/NV 1995, 615

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