Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Das FA kann sich bei beantragter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen verspäteter Revisionsbegründung nicht damit entschuldigen, mit deren Einreichung auf den Rat des Geschäftsstellenleiters des zuständigen FG bis zur Mitteilung des Aktenzeichens für den Revisionsfall durch den BFH abgewartet zu haben.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1, §§ 124, 126/1

 

Tatbestand

Verfahrensrechtlich ist hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision zu prüfen, ob dem Revisionskläger (Finanzamt - FA -), der das Rechtsmittel nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO begründet hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden kann.

Das FA hat gegen die am 26. Mai 1966 zugestellte Vorentscheidung am 21. Juni 1966, also rechtzeitig, Revision eingelegt, sie jedoch nicht innerhalb der am 26. Juli 1966 abgelaufenen Frist begründet. Auf entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 1. August 1966 hat das FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit folgender Begründung beantragt. Das Finanzgericht (FG), bei dem die Revision am 21. Juni 1966 eingelegt worden sei, habe mit Schreiben vom 7. Juli 1966, beim FA eingegangen am 11. Juli 1966, den Empfang und die gleichzeitige Abgabe der Revision an den Bundesfinanzhof (BFH) bestätigt und dazu weiter ausgeführt: "Von dort erhalten Sie weitere Nachricht. Alle künftigen Schriftsätze übersenden Sie bitte unmittelbar an den Bundesfinanzhof." Bei Eingang dieses Schreibens des FG sei die Revisionsbegründung bereits fertiggestellt, aber noch nicht abschließend gezeichnet gewesen. Mit der Absendung sei bewußt bis zur Mitteilung des Aktenzeichens für den streitigen Vorgang durch den BFH abgewartet worden. Dies sei dem Sachbearbeiter des FA in einer fernmündlichen Anfrage beim Geschäftsstellenleiter des FG aus Gründen der Arbeitsersparnis ausdrücklich angeraten worden. Nach Bekanntgabe des Aktenzeichens durch Schreiben des BFH vom 22. Juli 1966 sei die Revisionsbegründung vom 3. August 1966, eingegangen beim BFH am 8. August 1966, eingereicht und hierbei die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt worden.

 

Entscheidungsgründe

Dem Antrag des FA kann nicht entsprochen werden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach der Rechtsprechung kann der Anspruch auf Nachsicht (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) im allgemeinen nur durch nachgewiesene Unklarheiten tatsächlicher und rechtlicher Art über Formen und Fristen begründet werden. Dabei kommt es auf die besonderen Umstände und persönlichen Verhältnisse, nicht auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an.

Aus der Neuregelung der Finanzgerichtsbarkeit durch die FGO hat sich in Abweichung vom bisherigen Recht (§ 289 AO a. F.) die Notwendigkeit fristgemäßer Revisionsbegründung nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ergeben. Die Rechtsmittelbelehrung des FG hat diesem Erfordernis Rechnung getragen. Das FA hat bei Einlegung der Revision die Einreichung der Begründung "bis spätestens 26. Juli 1966" in Aussicht gestellt und damit zu erkennen gegeben, daß ihm der Ablauf der Begründungsfrist bekannt war. Ihre Einhaltung unterblieb jedoch auf den Rat des Geschäftsstellenleiters des FG an den zuständigen Sachbearbeiter des FA mit Rücksicht auf Zweckmäßigkeitsgründe. Dieser Rat konnte bei sinnvoller Auslegung durch die dazu bestellten gesetzeskundigen, sachverständigen Finanzbeamten nur so verstanden werden, oder er mußte dahin eingeschränkt werden, daß das FA innerhalb der Revisionsbegründungsfrist von einem Monat, ohne sich von dem Risiko der Fristversäumung entlasten zu können, zweckmäßigerweise so lange wie möglich mit der Absendung der Revisionsbegründungsschrift warten solle. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Schreiben der Geschäftsstelle des erkennenden Senats vom 22. Juli 1966, worin dem FA das Aktenzeichen der Revisionssache mitgeteilt wurde, diesem noch so rechtzeitig zugegangen ist, daß die Rechtsmittelbegründung bis zum 26. Juli 1966 hätte eingereicht werden können. Auch wenn dies nicht mehr möglich war, ist die Frist schuldhaft versäumt worden.

Der erkennende Senat hat durch Urteil I 63/60 U vom 10. Oktober 1961 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 73 S. 795, BStBl III 1961, 555) zu § 86 AO entschieden, daß die Grundsätze der Rechtsprechung über die Nachsichtgewährung bei solchen Fristversäumnissen, die trotz eines ordnungsmäßig organisierten Büros von Angestellten eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe verschuldet werden, bei Fristversäumungen des Steuerpflichtigen oder des Vorstehers des FA nicht anwendbar sind. Im Falle des Urteils I 63/60 U, a. a. O., war der Zeitpunkt des Fristablaufs nicht dem Vorsteher des FA, wohl aber dem Sachgebietsleiter bekannt. Gleichwohl wurde der Vorsteher des FA dem Steuerpflichtigen gleichgestellt, der sich nicht im gleichen Masse wie die Angehörigen der steuerberatenden Berufe auf ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen berufen kann. Zwar erkennt die Entscheidung an, daß der Vorsteher des FA nach Lage der Dinge selbst die wichtigsten Fristen nicht persönlich überwachen könne, bei ihm müßten jedoch ebenso wie beim Steuerpflichtigen strengere Anforderungen an den Nachweis gestellt werden, daß keine Schuld an der Fristversäumung bestehe.

Das FA durfte nicht auf den bloßen Rat des Geschäftsstellenleiters des FG von der fristgemäßen Einlegung der gesetzlich gebotenen Revisionsbegründung absehen. Da dem FA die änderung der bisherigen Rechtslage durch die FGO durchaus bewußt war, können die etwa angestellten überlegungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des Zurückhaltens der Revisionsbegründung bis zur Bekanntgabe des Aktenzeichens durch den BFH sein Vorgehen nicht entschuldigen. Es liegt auf der Hand, daß andernfalls wegen der häufig unzureichenden Revisionsbegründungsfristen jeder Prozeßbeteiligte, auch ohne den Rat eines Geschäftsstellenleiters des FG, das Abwarten auf die Zuteilung eines Aktenzeichens als einen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründenden Umstand vortragen könnte.

Da demnach hinsichtlich der unverzichtbaren Revisionsbegründung die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind, wird die Revision als unzulässig verworfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 412337

BStBl III 1967, 142

BFHE 1967, 331

BFHE 87, 331

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