Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

Die Handhabung von Rechtsvorschriften in einer Aufklärungsverfügung ergibt i. d. R., für sich allein gesehen, selbst dann keinen Ablehnungsgrund i. S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO, wenn sie auf einem Irrtum beruht.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

Die vom Prozeßbevollmächtigten der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) verfaßte Klageschrift wurde, ebenso wie der auf Aussetzung der Vollziehung gerichtete Antrag in gleicher Sache, am 28. August 1995, einen Tag vor Ablauf der Klagefrist, beim Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) angebracht und von dort, mit dem Eingangsstempel vom 28. August 1995 versehen, am 29. August 1995 an das Finanzgericht (FG) weitergeleitet, wo sie am 4. September 1995 eintraf und den Eingangsstempel dieses Tages erhielt.

Mit Verfügung vom 7. September 1995 übersandte der Berichterstatter in dieser Sache eine -- nur mit dem Eingangsstempel des FG versehene -- Kopie der Klage, des Antrags sowie der am gleichen Tage eingegangenen Klage- und Antragsbegründung an das FA und forderte dieses zur Erwiderung auf. -- In der gleichzeitig an den Prozeßbevollmächtigten abgesandten Eingangsbestätigung war ebenfalls nur vom Eingangsdatum beim FG ("4. 9. 95") die Rede.

Daraufhin verzichtete das FA in seiner Klageerwiderung auf einen Vortrag zur Begründetheit der Klage und beschränkte sich darauf, die Versäumung der Klagefrist darzulegen. Dieser Schriftsatz erreichte den Prozeßbevollmächtigten zusammen mit einer Aufklärungsverfügung des Berichterstatters vom 26. Oktober 1995, in der es u. a. heißt:

" ... nach den inzwischen dem Gericht vorliegenden Steuerakten treffen die Angaben des FA zur Absendung der Einspruchsentscheidungen zu. Aufgrund der Bestimmung ... hätten die Klagen bis ... eingehen müssen. Tatsächlich eingegangen sind sie jedoch erst am 4. 9. 1995. Da auch kein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde, ... dürften die Klagen verspätet sein. Es scheint daher angeraten, daß Sie die Klagen und die Aussetzungsanträge, die ja wegen der Bestandskraft der Steuerbescheide gegenstandslos sind, zurücknehmen ... "

Nachdem sich hierdurch der Prozeßbevollmächtigte veranlaßt gesehen hatte, auf die rechtzeitige Anbringung der Klage beim FA hinzuweisen, bestätigte dies der Bericht erstatter in seiner an alle Verfahrensbeteiligten gerichteten Verfügung vom 17. November 1995 und forderte das FA auf, in der Sache Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 27. November 1995 lehnten die Beschwerdeführer den Berichterstatter im Klageverfahren und im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung wegen Besorgnis der Befangenheit ab, und zwar mit der Begründung, aus den Steuerakten sei der wirkliche Zugangstermin ersichtlich gewesen; daß der Berichterstatter dies nicht erkannt und sich die Darstellung des FA zu eigen gemacht habe, ohne seine Auffassung als vorläufig zu kennzeichnen, rechtfertige den Schluß, er werde im weiteren Verfahren an einer derart festgefügten Meinung festhalten.

Zu den Befangenheitsgesuchen hat der Berichterstatter eine dienstliche "Erklärung" folgenden Inhalts abgegeben:

" ... Ich habe ... den Eingangsstempel des FA (28. 8. 95) übersehen. Aus den am ... 17. 10. 95 ... vorliegenden Steuerakten konnte und habe ich nur die Angabe des FA bestätigt gesehen ... Die Klageschrift befindet sich nicht in den Akten des Finanzamts, sondern ausschließlich in den Gerichtsakten. Auf meine Verfügung vom 17. 11. 1995 weise ich hin ... "

Das FG hat die Befangenheitsgesuche durch gleichlautende Beschlüsse vom 19. Dezember 1995 zurückgewiesen.

Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit den vorliegenden Beschwerden. Sie meinen, das Verhalten des Berichterstatters gebe weiterhin Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit: Es lasse sich nämlich nur damit erklären, daß der Berichterstatter bei Abfassung der Verfügung vom 26. Oktober 1995 die Gerichtsakten nicht eingesehen, also ohne ausreichende Prüfung die Auffassung des FA übernommen habe. Die Übernahme dieser falschen Auffassung beruhe "auf der inneren Einstellung des Richters".

Das FA hat in seiner Stellungnahme lediglich die Sachdarstellung dahin ergänzt, daß der zuständigen Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle bei Abfassung der Klageerwiderung aus den damals vorliegenden "Zwischenakten" nur das Eingangsdatum beim FG (4. September 1995) bekannt gewesen sei, im übrigen aber davon abgesehen, sich zur Rechtslage zu äußern und einen Antrag zu stellen.

 

Entscheidungsgründe

Die in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden sind unbegründet.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgeblich hierfür ist, ob ein Beteiligter, von seinem Standpunkt aus, bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, daß der Richter nicht unvoreingenommen, sondern willkürlich entscheiden wird (s. Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 51 Rz. 37, und die dortigen Nachweise). Das ist im Streitfall nicht zu befürchten.

Die fehlerhafte Beurteilung der Fristwahrung in der Aufklärungsverfügung vom 26. Oktober 1995, die für sich gesehen in der Regel ohnedies als Befangenheitsgrund nicht ausreicht (Gräber, a.a.O., Rz. 40), beruht auf einem Irrtum tatsächlicher Art über den wahren Geschehensablauf, der sich ausschließlich daraus erklärt, daß sich der Berichterstatter in diesem Stadium des Verfahrens allein an den Steuerakten orientierte und den nur aus dem Original der Klageschrift bei den Gerichtsakten ersichtlichen Eingangsstempel des FA übersah. Begünstigt war ein solcher Irrtum durch die Art der Aktenführung sowie dadurch, daß zunächst der Weg, den die Klageschrift fast zwei Monate zuvor (gemäß § 47 Abs. 2 FGO) tatsächlich genommen hatte, vom Prozeßbevollmächtigten nicht angesprochen worden (auch nicht, als ihm das Gericht als Eingangsdatum für die Klage nur den 4. September 1995 mitgeteilt hatte), bei der Rechtsbehelfsstelle unbekannt und beim Berichterstatter offensichtlich in Vergessenheit geraten war. Daß die daraus resultierende Fehleinschätzung der Rechtslage unter Berücksichtigung aller dieser Umstände als reines Versehen zu werten ist, bestätigt der weitere Gang der Ereignisse: Auf den entsprechenden Hinweis des Prozeßbevollmächtigten bestätigte der Berichterstatter in seiner Verfügung vom 17. November 1995 die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung und forderte das FA auf, sich zur Begründetheit der Klage zu äußern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt mußte auch für die Beschwerdeführer klar sein, daß dem Berichterstatter bei der ersten Beurteilung der Rechtslage nichts weiter als eine für das weitere Schicksal ihrer Rechtsschutzbegehren folgenlose "Panne" unterlaufen war, die vernünftigerweise keinen Anhaltspunkt für irgendeine (unsachliche) "innere Einstellung" des Berichterstatters erkennen läßt.

Auch sonst gibt die Verfügung vom 26. Oktober 1995 weder nach Form noch nach Inhalt Anlaß, an der Unparteilichkeit des Berichterstatters zu zweifeln.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421611

BFH/NV 1997, 42

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