Entscheidungsstichwort (Thema)

Befangenheit; kein Ablehnungsrecht des Prozeßbevollmächtigten

 

Leitsatz (NV)

1. Veranlaßt der Vorsitzende die Übersendung der Mitteilung über den Klageeingang nicht nur an den Prozeßbevollmächtigten, sondern auch an den Kläger selbst, kann daraus kein Grund für die Annahme einer unsachlichen Einstellung abgeleitet werden.

2. Der Prozeßbevollmächtigte hat kein eigenes Ablehnungsrecht.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob beim Finanzgericht (FG) wegen Lohnsteuer-Jahresausgleich 1989 im Hinblick auf die Höhe des Grundfreibetrages und die nicht vollständige Berücksichtigung der geltend gemachten Versicherungsbeiträge Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Weiter wendet sie sich dagegen, daß der Bescheid mit Rücksicht auf anhängige Verfassungsbeschwerden teilweise nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig erklärt worden ist.

In dieser Klagesache lud das FG mit Verfügung vom 23. April 1992 zur mündlichen Verhandlung am 14. Mai 1992. Die Ladungsverfügung des Vorsitzenden des für den Streitfall zuständigen ... Senats des FG, des Vorsitzenden Richters am Finanz gericht A, enthielt für den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) den Zusatz, die Ladung erfolge, "weil der Prozeßbevollmächtigte ... die Anschrift der Klägerin bewußt unvollständig angibt (Hausnummer fehlt)".

Am Sitzungstag ging beim FG ein Telebrief der Klägerin vom 12. Mai 1992 ein, in dem sie die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragte. Gleichzeitig lehnte sie den Vorsitzenden Richter am FG A wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung ließ sie vortragen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe am 4. Mai 1992 anläßlich einer Akteneinsicht festgestellt, daß nur deshalb zur mündlichen Verhandlung geladen werde, weil ihr Prozeßbevollmächtigter sich weigere, ihre vollständige Adresse mitzuteilen. Auch seien die Steuer akten bei dem beklagten FA nicht angefordert worden. Danach stehe fest, daß das FG lediglich über die Zulässigkeit der Klage habe entscheiden wollen und dem Prozeßbevollmächtigten die Einsicht in die Steuerakten habe verwehrt werden sollen.

Des weiteren wandte sich die Klägerin gegen bestimmte Verhaltensweisen eines für den Streitfall nicht zuständigen ... Senats des FG und dessen Vorsitzenden. Darüber hinaus richtet sich das Ablehnungsgesuch gegen die Praxis des ... Senats des FG, eine Durchschrift der Eingangsverfügung jeweils dem Vertretenen zuzustellen. Diese Praxis beruhe offenbar auf Absprachen mit dem Präsidenten des FG und dem Vorsitzenden des ... Senats dieses FG.

Vorsitzender Richter am Finanzgericht A erklärte sich in seiner dienstlichen Äußerung vom 14. Mai 1992 nicht für befangen.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ab. Es vertrat dabei die Auffassung, aus der seit einem halben Jahr bestehenden Senatspraxis, in Fällen der Prozeßvertretung eine Durchschrift der Eingangsverfügungen an die Mandanten zu senden, lasse sich eine Voreingenommenheit nicht herleiten. Der Senat handhabe diese Praxis in allen Verfahren und nicht nur in Verfahren, in denen der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auftrete. Es sei davon auszugehen, daß ein Prozeßbevollmächtigter seinen Mandanten selbst von der Erhebung der Klage informiere und deshalb die gerichtliche Praxis nur eine Doppelinformation zur Folge habe. Aus der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht A ergebe sich, daß die Behandlung der Klageeingänge weder mit dem Vorsitzenden des ... Senats noch mit dem Präsidenten des FG abgesprochen worden sei.

Die Ankündigung der alsbaldigen Ladung für den Fall, daß die vollständige Adresse der Klägerin nicht mitgeteilt werde, sei zur Vermeidung unnötiger Kosten zweckdienlich und die Anforderung der FA-Akten nicht erforderlich gewesen. Eine Sachentscheidung des Gerichts sei bereits deshalb nicht zu erwarten gewesen, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht über die anhängigen Verfassungsbeschwerden zur Höhe des Grundfreibetrages entschieden habe. Nicht zuletzt deshalb sei auch objektiv geboten gewesen, dem FA den Grund für die Ladung mitzuteilen.

Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die vorliegende Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Die angekündigte Beschwerdebegründung ist bis heute nicht eingegangen.

 

Entscheidungsgründe

Mangels Begründung der Beschwerde kann der Senat nur nach Aktenlage entscheiden. Danach hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das FG hat das Ablehnungs gesuch zu Recht zurückgewiesen.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nur abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Die von der Klägerin in ihrem Ablehnungsgesuch vorgebrachten Gründe können bei objektiver, vernünftiger Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht A rechtfertigen.

1. Die gegen die Praxis des ... Senats des FG und gegen dessen Vorsitzenden vor gebrachten Gründe sind schon deshalb unbeachtlich, weil der Vorsitzende am Finanzgericht A nicht Mitglied dieses Senats und deshalb an dessen Verhalten gar nicht beteiligt war.

2. Die behauptete Übersendung einer Durchschrift der Eingangsverfügung des Gerichts an die Klägerin rechtfertigt schon deshalb nicht die Annahme einer unsachlichen Einstellung des abgelehnten Richters gegen die Klägerin oder den Prozeßbevollmächtigten, weil ausweislich der FG-Akten die Eingangsverfügung nur dem Prozeßbevollmächtigten übermittelt worden ist. Keinen Erfolg hat das Ablehnungsgesuch auch, soweit der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin gemeint haben sollte, die Übersendung der Eingangsverfügung in anderen Fällen lasse eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, gegenüber erkennen. Anlaß für diese Praxis sind offenbar Zweifel des FG darüber, ob alle Prozeß bevollmächtigten ihrer aus dem Mandatsvertrag (vgl. §§ 675, 666 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) sich ergebenden Verpflichtung zur Unterrichtung ihrer Mandanten über die Klageerhebung (vgl. zu diesen Pflichten § 39 der Standesrichtlinien der Rechtsanwälte) nachkommen. Soweit der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin dieses Mißtrauen in bezug auf sich für unberechtigt hält und deshalb ein unsachliches Verhalten ihm gegenüber bemängelt, fehlt es an einem eigenen Ablehnungsrecht eines Prozeßbevollmächtigten (vgl. BFH- Beschluß vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524). Die allein ablehnungsberechtigte Klägerin ist durch ein Verfahren, das erkennbar dem Schutz des durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretenen Beteiligten gilt, weder in ihren Rechten beeinträchtigt noch könnte ihr vernünftigerweise diese Praxis einen Anlaß zur Sorge geben, der Richter könnte voreingenommen sein.

Aus dem Umstand, daß ihr selbst -- abweichend von der Übung des ... Senats des FG -- keine Eingangsverfügung übermittelt worden ist, konnte sie schon deshalb keine beachtlichen Folgerungen ziehen, weil sie bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter, dessen Verhalten sie sich zurechnen lassen muß, dem Gericht trotz Aufforderung hierzu keine vollständige Adresse mitgeteilt hat.

3. Soweit die Klägerin dem abgelehnten Richter vorwirft, er habe die Steuerakten vor der mündlichen Verhandlung nicht angefordert und ihrem Prozeßbevollmächtigten die Einsicht in diese Akten nicht ermöglicht, macht sie unrichtige Entscheidungen in Verfahrensfragen geltend, aus denen sich grundsätzlich kein Ablehnungsgrund herleiten läßt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243; vom 26. Juli 1989 IV B 106--109/88, BFH/NV 1991, 165, und in BFH/NV 1992, 524). Nichts anderes gilt für das Vorbringen, der abgelehnte Richter habe für den Fall, daß die ladungsfähige Adresse der Klägerin nicht mitgeteilt werde, eine mündliche Verhandlung angekündigt, und den Vorwurf, er habe in der Ladung des FA vermerkt, eine münd liche Verhandlung werde nur anberaumt, weil der Prozeßbevollmächtigte die Adresse der Klägerin bewußt unvollständig an gebe.

Der Vorwurf, der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A handle in Absprache mit dem Präsidenten des FG und dem Vorsitzenden Richter des ... Senats des FG und beabsichtige, ihren Prozeßbevollmächtigten zu disziplinieren, ist schon deshalb unbeachtlich, weil er unsubstantiiert ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420001

BFH/NV 1995, 223

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