Leitsatz

1. Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es im Fall einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft einer "Gesamtbetrachtung" von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung. Danach sind die gesamten "aus der Beteiligung" erzielten Einkünfte maßgebend, das heißt sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen (§ 17 Abs. 1, 4, § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist auch ohne Vereinbarung einer Bürgschaftsprovision nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet.

2. Findet der Ausfall der Regressforderung aus einer stehen gelassenen Bürgschaft im Rahmen des § 17 Abs. 1, 4 EStG (Übergangsregelung nach Maßgabe des Senatsurteils vom 11.07.2017 ‐ IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208) keine Berücksichtigung, weil der gemeine Wert der Forderung im Zeitpunkt des Stehenlassens mit 0 € zu bewerten ist, steht § 20 Abs. 8 EStG einer Berücksichtigung der Forderung mit ihrem nicht werthaltigen Teil (Nennwert) nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG nicht entgegen.

3. Verbürgen sich mehrere Gesellschafter für dieselbe Gesellschaftsschuld, kann der über seinen Anteil hinaus in Anspruch genommene Bürge den Ausfall seiner gegen die Gesellschaft gerichteten Regressforderung nur dann in voller Höhe nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG geltend machen, wenn feststeht, dass die Ausgleichsforderung gegen den Mitbürgen nach § 426 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht realisierbar und damit wertlos ist.

 

Normenkette

§ 17 Abs. 1, 2 und 4, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4, Abs. 8 EStG, § 426 Abs. 2 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger und sein Bruder verbürgten sich u.a. für diverse Verbindlichkeiten der von ihnen gemeinsam gegründeten B-GmbH. Im Dezember 2012 stellte die B-GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Verfahren wurde im Jahr 2013 eröffnet. In den Jahren 2013 und 2014 trafen der Kläger und sein Bruder abschließende Vereinbarungen über ihre Inanspruchnahme als Bürgen, die der Kläger allein erfüllte. Außerdem leistete er eine abschließende Zahlung an die Masse und an den Vermieter der GmbH. Im Jahr 2019 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und die B-GmbH im Handelsregister gelöscht. Das FA berücksichtigte im Streitjahr (2014) bei § 17 EStG lediglich den anteiligen Verlust des Stammkapitals sowie die Zahlungen an die Masse und an den Vermieter. Die (übrigen) Bürgschaften seien vor der Krise gewährt und beim Eintritt der Krise stehen gelassen worden. Sie seien deshalb mit 0 EUR zu bewerten. § 20 EStG komme bei dieser Sachlage wegen § 20 Abs. 8 EStG nicht zur Anwendung.

Das FG hat der Klage teilweise stattgegeben. Bei § 17 EStG sei zwar nur der anteilige Verlust des Stammkapitals zu berücksichtigen. Sämtliche anderen Zahlungen beruhten auf der Inanspruchnahme als Bürge und seien bei § 20 EStG zu berücksichtigen; dem stehe § 20 Abs. 8 EStG nicht entgegen, da die Forderungen bei der Anwendung von § 17 EStG mit 0 EUR zu bewerten gewesen seien (FG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2021, 14 K 2330/19 E, Haufe-Index 15062448, EFG 2022, 394).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen und die Auffassung der Vorinstanz vollumfänglich bestätigt.

 

Hinweis

1. Das Besprechungsurteil klärt vor allem, bei welcher Einkunftsart (§ 17 EStG oder § 20 EStG) der Verlust aus dem Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung im Rahmen der Gesellschafterfremdfinanzierung berücksichtigt wird. Die Frage ist in § 20 Abs. 8 EStG geregelt. Es ging also um die Auslegung dieser Vorschrift.

a) Das FA war der Meinung, § 20 EStG sei wegen § 20 Abs. 8 EStG gesperrt, wenn die Forderung vor ihrem Ausfall eigenkapitalersetzend geworden sei. Dann sei in Bezug auf diese Forderung der Tatbestand des § 17 EStG dem Grunde nach erfüllt, auch wenn die ausgefallene Forderung nur mit 0 EUR berücksichtigt werde.

b) Die Gegenauffassung, die auch das FG vertreten hatte, stützt sich vor allem auf den Wortlaut des § 20 Abs. 8 EStG ("soweit"). Sie hält § 20 EStG neben § 17 EStG für anwendbar, soweit (!) sich die ausgefallene Forderung bei § 17 EStG nicht ausgewirkt hat, weil sie bei Anwendung der Vorschrift mit 0 EUR zu bewerten ist. Nach diesem Verständnis erfasst § 20 EStG tatbestandlich neben § 17 EStG den bis zum Eintritt der Krise eingetretenen Wertverlust. Ist der nach dem Eintritt der Krise eingetretene Wertverlust (bei § 17 EStG) mit 0 EUR zu bewerten, fällt der gesamte Forderungsverlust (Nennwert der Forderung) unter § 20 EStG. Die Aussage des § 20 Abs. 8 EStG beschränkt sich dann darauf, dass sich der Verlust, soweit er sich bei § 17 EStG ausgewirkt hat, nicht auch noch bei § 20 EStG auswirken darf.

c) Der BFH hat sich der zuletzt genannten Ansicht angeschlossen.

2. Unerheblich war der Einwand des FG, es fehle in Bezug auf die Hingabe der Bürgschaften an der erforderlich...

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