4.1 Einordnung der Vorschrift

 

Rz. 182

Für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens sieht § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB ein Aktivierungswahlrecht vor. Diese Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot des § 246 Abs. 1 HGB stellt nicht die einzige Besonderheit bei der bilanziellen Behandlung derartiger VG dar. Macht ein Unt von dieser Möglichkeit Gebrauch, schränkt die hiesige Vorschrift den Umfang der aktivierungsfähigen HK im Vergleich zu materiellen VG ein. Zudem löst ihr Ansatz bei KapG eine Ausschüttungssperre aus (§ 268 Abs. 8 HGB). Diese Regelungen sind Ausdruck des Misstrauens, mit dem der Gesetzgeber der Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Werte in der dem Gläubigerschutz verpflichteten Handelsbilanz begegnet. Wenn der Bilanzierende auf ihren Ansatz nicht verzichten will, soll wenigstens durch eine zurückhaltende Bewertung und durch eine Immunisierung der Ausschüttungsbasis das Risiko einer Gläubigerschädigung weitgehend begrenzt werden. Anlass zu dieser Sonderbehandlung gibt die im Vergleich zu Sachanlagen regelmäßig deutlich höhere Ungewissheit, ob der Herstellungsprozess erfolgreich sein wird.

 

Rz. 183

Abs. 2a definiert die HK eines immateriellen VG des AV als die Aufwendungen i. S. d. Abs. 2, die bei dessen Entwicklung anfallen. Die Vorschrift enthält mithin keinen eigenständigen Bewertungsmaßstab, sondern konkretisiert, wie § 255 Abs. 2 HGB im Fall der Ausübung des Aktivierungswahlrechts nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die betreffenden VG anzuwenden ist. Der Tatbestand der Entwicklung umfasst zum einen die Herstellung eines VG i. S. einer Neuschaffung oder einer Wesensänderung. Eine Wesensänderung liegt dann vor, wenn nachträgliche Maßnahmen an einem immateriellen VG einen neuen VG mit geänderter betrieblicher Funktion und Zweckbestimmung entstehen lassen (Rz 195). Davon kann etwa bei einer umfangreichen Überarbeitung von Softwareanwendungen (Generationenwechsel) auszugehen sein.[1] Auch die Modifikation eines immateriellen VG in Gestalt seiner Erweiterung oder seiner wesentlichen Verbesserung über den ursprünglichen Zustand hinaus erfüllt den Herstellungstatbestand (Rz 196 ff.).

[1] Vgl. DRS 24.8; IDW RS HFA 11.21.

4.2 Herstellung eines neuen Vermögensgegenstands

 

Rz. 184

Die bei Ausübung des Ansatzwahlrechts nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB zu aktivierenden Aufwendungen müssen sich in sachlicher und zeitlicher Hinsicht als HK qualifizieren. Sachlich sind Aufwendungen angesprochen, die bei der Entwicklung eines VG anfallen. Negativ dürfen sie nicht der Forschungsphase zuzurechnen sein.[1]

Als Forschung gelten solche Aktivitäten des Unt, die auf die eigenständige und planmäßige Suche nach neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen (z. B. über Materialien, Vorrichtungen, Verfahren, Prozesse) oder Erfahrungen allgemeiner Art gerichtet sind. Aussagen zur technischen und ökonomischen Verwertbarkeit des angeeigneten Wissens sind in dieser Phase regelmäßig nicht verlässlich möglich. Diese Unsicherheit erklärt, warum in der Forschungsphase eine Aktivierung selbst geschaffener Vermögensvorteile ausgeschlossen ist.[2] Entwicklung zeichnet sich demgegenüber durch die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neu- bzw. (wesentliche) Weiterentwicklung von Gütern, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen vor Aufnahme der eigentlichen Produktion aus. Die technische und ökonomische Realisierbarkeit eines solchen Vorhabens lässt sich je nach Gegenstand und Stadium des Vorhabens mehr oder weniger verlässlich abschätzen. Deshalb soll in dieser Phase die Aktivierung von HK für einen selbst geschaffenen immateriellen VG nicht ausgeschlossen sein.

 

Rz. 185

Forschung und Entwicklung werden verbreitet als Teil eines sequenziell verlaufenden Innovationsprozesses dargestellt:[3]

 

Abb. 6: Sequenziell verlaufender Innovationsprozess

Sind Forschungs- und Entwicklungsphase für einzelne Vorhaben wie in Abb. 6 dargestellt jeweils klar abgrenzbar, lassen sich die sachlich für eine Aktivierung qualifizierenden Entwicklungsaufwendungen durch eine entsprechend ausgestaltete Kostenrechnung erfassen. Die Grenzlinie zwischen den beiden Phasen ist unternehmensindividuell festzulegen. Anhaltspunkte hierfür liefern die Erläuterungen in den Gesetzesmaterialien sowie in dem als Vorbild dienenden IAS 38, die verschiedene betriebliche Maßnahmen der Forschungs- bzw. Entwicklungsphase zuschreiben (Tab. 3).[4]

Zudem werden sich vielfach aus den betrieblichen Abläufen Hinweise auf den Übergang zwischen der Forschungs- und Entwicklungsphase ergeben. Zu denken ist insb. an Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse.

 
Forschung Suche nach und Testen von Alternativen für verwendete Materialien, eingesetzte Fertigungsverfahren, angebotene Produkte
Bewertung der Testergebnisse und Beurteilung der untersuchten Alternativen
Prüfung der Nutzbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse
Formulierung von Anforderungen an ein neues Produkt oder Verfahren in einem Pflichtenheft
Machbarkeitsstudien
Entwicklung Feinplanung zur Realisierung neuer Produkte, Verfahren, Systeme
Entwicklung von...

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