Leitsatz

1. Das Wahlrecht auf Gewinnübertragung nach § 6c EStG kann bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden; seine Ausübung ist daher auch nach Ergehen eines Urteils in der Tatsacheninstanz bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zulässig.

2. Verfahrensrechtlich lässt sich dieses Wahlrecht mittels § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in entsprechender Anwendung durchsetzen.

 

Normenkette

§ 6c EStG , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin hatte ihren landwirtschaftlichen Betrieb verpachtet und die Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung erklärt. Dem folgte das FA zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem die Klägerin zu dem Verpachtungsbetrieb gehörende Grundstücke verkauft hatte, änderte das FA seine Auffassung und behandelte die Einkünfte aus der Verpachtung als solche aus Land- und Forstwirtschaft. Dabei bezog es auch die Gewinne aus den Grundstücksverkäufen von ca. 1,6 Mio. DM ein. Dagegen wandte sich die Klägerin mit einem Einspruch und trug dabei vor, "die mögliche steuerliche Vergünstigung" des § 6c EStG sei "völlig außer Ansatz" geblieben.

Nach erfolglosem Einspruch wies das FG auch die Klage ab. Das Urteil wurde am 4.4.1996 zugestellt. Am 12.4.1996 ging ein Schriftsatz der Klägerin ein, mit dem sie das Wahlrecht nach § 6c EStG ausübte. Dem damit verbundenen Antrag auf Änderung der Bescheide folgte das FA aber nicht. Deshalb erhob die Klägerin erneut Klage und hatte diesmal Erfolg vor dem FG, dessen Urteil auch vom BFH bestätigt wurde.

 

Entscheidung

Der BFH stimmte dem FG darin zu, dass zwar der Bescheid bestandskräftig geworden sei, ohne dass FA oder FG dies hätten verhindern können. Auch bestehe nach §§ 172 ff. AO bei wortgetreuer Anwendung der Vorschriften keine Möglichkeit zur Änderung des Bescheids. Der Ausübung des Wahlrechts sei aber dadurch Geltung zu verschaffen, dass der Bescheid in analoger Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werde.

 

Hinweis

1. Das Einkommensteuerrecht kennt eine ganze Reihe von Wahlrechten für den Steuerpflichtigen, mit denen er Einfluss insbesondere auf den im VZ zu besteuernden Gewinn nehmen kann. Ein besonders wichtiges Gestaltungsinstrument ist die Gewinnübertragung nach § 6b EStG (für Bilanzierende) bzw. § 6c EStG (für Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 bzw. § 13a EStG). Das Wahlrecht ist unbefristet und kann deshalb nicht nur bei der Bilanzaufstellung, sondern auch noch später ausgeübt werden.

Zeitliche Grenze ist nach der Rechtsprechung des BFH die Unanfechtbarkeit (Bestandskraft) der Steuerfestsetzung. Sie tritt ein, wenn die Festsetzung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens oder mit prozessualen Rechtsbehelfen angegriffen werden kann. Findet ein erfolgloses Rechtsbehelfsverfahren statt, tritt mit dessen Abschluss die Unanfechtbarkeit ein.

Diesen Zeitpunkt musste der BFH im Besprechungsfall ganz genau bestimmen. Denn die Klägerin hatte von ihrem Wahlrecht erst nach dem klageabweisenden Urteil, aber noch innerhalb der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Gebrauch gemacht, ein förmliches Rechtsmittel gegen das Urteil aber nicht eingelegt. Folge davon war, dass das Urteil und damit die Veranlagung unanfechtbar wurde. Da aber der Antrag auf Bildung der Rücklage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gestellt worden war, kam der BFH auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis, die Ausübung des Wahlrechts sei rechtzeitig erfolgt.

2. Neuland musste er aber insoweit betreten, als die Frage zu beantworten war, nach welcher Norm des Verfahrensrechts der Bescheid noch geändert werden konnte, um der Wahlrechtsausübung auch Wirkung zu verschaffen. Nach Meinung des FA bestand eine solche Möglichkeit nicht. In der Tat war eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (neue Tatsache) nicht möglich, weil dafür eine Tatsache unberücksichtigt geblieben sein muss, die im Zeitpunkt der Veranlagung durch das FA bereits vorlag. Daran fehlt es hier, weil die Tatsache (Wahlrechtsausübung) erst nach der Veranlagung eingetreten ist. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses ist unmittelbar nicht anwendbar, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rückwirkung die Unanfechtbarkeit des Bescheids ist. Als der Bescheid hier unanfechtbar wurde (bei Ablauf der Rechtsmittelfrist) war das Ereignis, nämlich die Wahlrechtsausübung, aber schon eingetreten.

Wie schon das FG war der BFH jedoch der Auffassung, dass es irgendeine Möglichkeit zur Änderung des Bescheids geben muss. Die Lösung sah er in einer entsprechenden Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn ein Wahlrecht rechtzeitig ausgeübt worden ist und dennoch der Eintritt der Bestandskraft eines Bescheids, der das Wahlrecht nicht berücksichtigt, nicht verhindert werden kann. Damit ist sichergestellt, dass die Gestaltungswirkung eines rechtzeitig ausgeübten Wahlrechts in jeder Phase des Veranlagungsverfahrens erhalten bleibt.

 

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