Leitsatz

§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass durch die unentgeltliche Anteilsübertragung auf den beschränkt Steuerpflichtigen das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den unentgeltlich übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven ausgeschlossen oder beschränkt werden müsste.

 

Normenkette

§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 4 AStG, Art. 13 Abs. 2 Buchst. b, Art. 24 DBA-USA 1989/2008 AEUV, Art. 56 EG, Art. XI Freundschafts‐, Handels- und Schifffahrtsvertrag USA

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes O. Dieser übertrug mit notarieller Urkunde vom 30.9.2009 an den Sohn S, der die US‐amerikanische Staatsbürgerschaft besaß und im Zeitpunkt der Übertragung in den USA ansässig war, einen Geschäftsanteil i.H.v. ... EUR am – insgesamt ... EUR betragenden – Stammkapital einer GmbH mit Sitz im Inland. Das Vermögen der Gesellschaft bestand im Zeitpunkt der Übertragung überwiegend aus im Inland belegenem Grundvermögen. Die von S zu erbringende Gegenleistung betrug ... EUR. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang hatte O weitere Geschäftsanteile an der Gesellschaft i.H.v. nominal ... EUR an die Klägerin übertragen.

Das FA behandelte die vorstehenden Übertragungen auf S und die Klägerin als teilentgeltliche Erwerbe und setzte für O einen steuerpflichtigen Übertragungsgewinn i.H.v. ... EUR für die Übertragung auf S und i.H.v. ... EUR für die Übertragung auf die Klägerin an. Das FA war für den unentgeltlichen Teil der Übertragung auf S der Auffassung, die Voraussetzungen für eine "Wegzugsbesteuerung" nach § 6 AStG seien erfüllt. Es ermittelte auf der Grundlage eines gemeinen Wertes i.H.v. ... EUR einen (weiteren) Veräußerungsgewinn i.H.v. ... EUR und setzte die ESt für O im Rahmen einer getrennten Veranlagung nach § 26a EStG mit Bescheid vom 8.12.2014 entsprechend fest.

Das zunächst von O geführte Klageverfahren vor dem FG wurde von der Klägerin als Alleinerbin fortgeführt. Die Klage blieb indes ohne Erfolg (FG Köln, Urteil vom 28.3.2019, 15 K 2159/15, Haufe-Index 13203208, EFG 2019, 1361).

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil als rechtsfehlerfrei qualifiziert und deshalb die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Die sog. Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) dient dazu, den nationalen Besteuerungsanspruch bezogen auf einen in Deutschland erwirtschafteten Vermögenszuwachs bei Kapitalanlagen zu sichern. Ein wichtiger Anwendungsfall betrifft die Situation der unentgeltlichen Übertragung solcher Vermögenswerte auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige ­Personen. Der BFH hat mit der Besprechungsentscheidung jetzt klargestellt, dass die auf den Übertragungszeitpunkt bezogene Besteuerung auch dann in Betracht kommt, wenn das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den unentgeltlich übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist.

2. Das Streitverfahren betraf, wie der unten wiedergegebenen Sachverhaltsschilderung entnommen werden kann, einen "klassischen" Anwendungsfall der Wegzugsbesteuerung: Ein Vater hatte seinem in den USA lebenden Sohn einen GmbH-Geschäftsanteil teilentgeltlich übertragen. Diese Übertragung löst die Wegzugsbesteuerung aus (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG in der Fassung des Streitjahres), was zwischen den Prozessbeteiligten auch völlig unstrittig war. Bei § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG handelt es sich um einen Ersatztatbestand der Wegzugsbesteuerung, der den Grundtatbestand (Wohnsitzverlagerung eines Steuerinländers ins Ausland, § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) ergänzt.

3. Strittig zwischen den Beteiligten war allein, ob der Ersatztatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG im Wege einer teleologischen Reduktion einschränkend ausgelegt werden muss bzw. dort ein "ungeschriebenes" Zusatztatbestandsmerkmal der Beschränkung oder des Ausschlusses des deutschen Besteuerungsrechts hineinzulesen ist. Der Steuerpflichtige war gestützt auf entsprechende Äußerungen im Fachschrifttum dieser Auffassung. Der BFH hat dem allerdings eine Absage erteilt.

4. Auslöser des Streits war eine Maßnahme des Gesetzgebers. Dieser hatte 2006 einen weiteren eigenständigen Ersatztatbestand für die Wegzugsbesteuerung in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG verankert: Danach steht dem Grundtatbestand auch der Fall des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus einer Anteilsveräußerung gleich. Nach Ansicht des BFH lässt diese Ergänzung des Gesetzes aber nicht den Schluss zu, dass die bereits im Gesetz verankerten Ersatztatbestände auch nur dann greifen sollen, wenn es zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommt. Ein solcher Wille des Gesetzgebers ist nicht im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen und auch die Gesetzesmaterialien deuten darauf nicht hin. Dass in dem "neuen" Ersatztatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG die Formulierung "aufgrund anderer als der in Satz 1 oder der in den Nummern 1 bis 3 gena...

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