Leitsatz

1. Die Kündigung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft nach § 65 des Genossenschaftsgesetzes ist als Veräußerungstatbestand im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu werten.

2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus der Kündigung von Genossenschaftsanteilen, die aus eigenen Mitteln der Genossenschaft geschaffen wurden, ist der Anwendungsbereich des § 3 i.V.m. § 1 des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer (KapErhStG) nicht eröffnet.

3. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gebietet keine Einbeziehung von Genossenschaften in den Anwendungsbereich von § 3 i.V.m. § 1 KapErhStG.

4. Soweit die Gewährung von Vertrauensschutz wegen unechter Rückwirkung im Zusammenhang mit der Einführung von § 17 Abs. 7 EStG in Betracht kommt, gilt dies jedenfalls nur für bis zum Inkrafttreten dieser Regelung zum 13.12.2006 angefallene Wertsteigerungen.

 

Normenkette

§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 EStG, Art. 3 GG, § 3 KapErhStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KStG, § 65 GenG

 

Sachverhalt

Die Klägerin war ursprünglich (DDR) an einer LPG beteiligt, die sich 1991 formwechselnd in eine e. G. umwandelte. Die Klägerin übernahm einen Pflichtgeschäftsanteil im Nennwert von 1.000 DM, der im Jahr 2001 auf 2.000 EUR aufgestockt wurde. Die (berücksichtigungsfähige) Höhe des Anfangskapitals der Genossenschaft ist streitig. Darauf kam es im Streitfall jedoch nicht an. 2008 wurden der Klägerin aus freien Rücklagen der Genossenschaft neun weitere Geschäftsanteile zu je 2.000 EUR zugeteilt. Im Jahr 2013 kündigte die Klägerin einen, in den Jahren 2015 und 2016 jeweils weitere vier Geschäftsanteile und erhielt von der Genossenschaft für jeden gekündigten Anteil 2.000 EUR ausbezahlt. Die Klägerin war ursprünglich der Meinung, sie hätte ihren Pflichtgeschäftsanteil gekündigt. Da dies jedoch nicht möglich ist (§ 67b Abs. 1 GenG), ist unstreitig geworden, dass die Klägerin die später hinzuerworbenen Anteile gekündigt hat. Gegenüber dem FA machte die Klägerin gleichwohl Veräußerungsverluste geltend. Die auf den ersten Pflichtanteil entfallenden Anschaffungskosten seien den später hinzuerworbenen Anteilen proportional zuzuordnen. Das FA und das FG sind dem nicht gefolgt (Thüringer FG, Urteil vom 16.6.2021, 1 K 89/16, Haufe-Index 15017413, EFG 2022, 235).

 

Entscheidung

Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der BFH hat das FG-Urteil bestätigt, wonach die Klägerin aus der Kündigung der später hinzuerworbenen Genossenschaftsanteile jeweils geringe Veräußerungsgewinne erzielt hat, da dem Veräußerungspreis von jeweils 2.000 EUR weder Veräußerungskosten noch Anschaffungskosten gegenüberstanden.

Zur Frage, ob die Klägerin an der Genossenschaft relevant beteiligt war und wie die Beteiligungsquote im Fall einer Genossenschaft zu bestimmen ist, hat sich der BFH nicht geäußert. An der Genossenschaft waren ursprünglich nur 13 Personen beteiligt; die relevante Beteiligung war zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

 

Hinweis

Verteilen sich die Anschaffungskosten für den ersten Pflichtanteil an einer Genossenschaft proportional auf später hinzuerworbene Anteile, sodass diese ggf. mit Verlust gekündigt (veräußert) werden? Nur diese Frage war zuletzt noch streitig. Die Antwort ist nein, aus folgenden Gründen:

1. Kündigt der Genosse einen oder mehrere Genossenschaftsanteile, erhält er von der Genossenschaft nur den Nennwert des Anteils ausgezahlt. Obwohl die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft nach deutschem Recht keine Teilhabe an den stillen Reserven vermittelt, ist der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG erfüllt. Das ergibt sich aus § 17 Abs. 7 EStG und dem BFH-Urteil vom 14.1.2020 (IX R 5/18, BFH/NV 2020, 981, BFH/PR 2020, 259, BStBl II 2021, 335, Rz. 28). Die Kündigung wird wie eine Veräußerung behandelt (Leitsatz 1).

2. Welche Anschaffungskosten entfallen auf später hinzuerworbene Anteile?

a) § 17 Abs. 2a EStG war im Streitfall nicht anwendbar.

b) Anschaffungskosten sind Aufwendungen, die "tatsächlich" geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Nach der sog. Equity-Methode können die Anschaffungskosten nur für die im Zuge der Gründung der Genossenschaft erworbenen Anteile bemessen werden.

c) Wandelt die Genossenschaft freie Rücklagen in neue Genossenschaftsanteile um, die sie den ansonsten ausschüttungsberechtigten Genossen zuteilt, entstehen diesen an den zugeteilten neuen Anteilen keine originären Anschaffungskosten.

d) Den später hinzuerworbenen Anteilen sind auch nicht anteilig Anschaffungskosten zuzuordnen, die auf den ersten im Zuge der Entstehung der Genossenschaft erworbenen Anteil entfallen:

aa) § 3 KapErhStG, der eine entsprechende Verteilung der Anschaffungskosten vorsieht, gilt nur für Anteile an Kapitalgesellschaften. Dazu gehört die Genossenschaft nicht (Leitsatz 2).

bb) § 3 KapErhStG kann auch nicht analog auf...

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