Zusammenfassung

 
Überblick

Compliance-Regelverstöße gehören für zahlreiche Unternehmer weiterhin zum Arbeitsalltag, obwohl die meisten Unternehmen bereits über ein strukturiertes Compliance-Management-System verfügen. In der Praxis werden die verantwortlichen Personen oftmals mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass Compliance-Regelverstöße nicht oder nicht rechtzeitig aufgedeckt werden können. In den vergangenen Jahren konnten vermehrt Compliance-Skandale mit der Hilfe von (anonymen) Hinweisgebern aufgedeckt werden. In Deutschland konnte mithilfe eines Hinweisgebers bereits 2016 der Apotheken-Skandal aufgedeckt werden. Bislang gab es innerhalb der EU keine allgemeingültige Vorschrift, die den Umgang oder den Schutz von Hinweisgebern einheitlich in den Mitgliedstaaten geregelt hat. Die mangelnden Regelungen zum Schutz von hinweisgebenden Personen führen in den meisten Fällen dazu, dass Hinweisgeber schutzlos gestellt sind und aus Angst vor schwerwiegenden Konsequenzen keine Meldungen über Regelverstöße tätigen. Im Fall von Edward Snowden hat sich gezeigt, dass die Ängste und Unsicherheiten von hinweisgebenden Personen oftmals begründet sind. Seither haben die einzelnen Mitgliedstaaten vereinzelt nationale Vorschriften erlassen, die den Umgang mit Meldungen und etwaige Meldepflichten national regeln. Auch in Deutschland existieren bereits einige nationale Regelungen über Meldemöglichkeiten von Regelverstößen, z. B. im Geldwäschegesetz. Bereits im Jahr 2016 kam die Europäische Union zu dem Entschluss, dass die Gewährleistung eines vollumfänglichen Schutzes für hinweisgebende Personen notwendig geworden ist, um Compliance-Regelverstöße effektiv aufdecken zu können. Insbesondere im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption ist die Justiz auf hinweisgebende Personen angewiesen. Deshalb wurde von der Europäischen Union die "Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden" erlassen, um einen vollumfänglichen Schutz von (anonymen) Hinweisgebern in der EU zu ermöglichen. Umgangssprachlich wird die Richtlinie auch Whistleblower-Richtlinie genannt.

 

1 Whistleblower-Richtlinie: Wirkung in Deutschland

Die Whistleblower-Richtlinie musste von den einzelnen Mitgliedstaaten bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Diese Umsetzungsfrist konnte die deutsche Bundesregierung nicht halten.

1.1 Richtlinien der EU

Bei Richtlinien handelt es sich um Rechtsakte der Europäischen Union, welche zum sekundären Unionsrecht gehören. In der Regel werden Richtlinien auf Vorschlag der Europäischen Kommission, vom Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam erlassen. Eine Richtlinie beinhaltet immer einen Mindeststandard an Regelungen, der von den einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) in ihr nationales Recht integriert werden muss. Hierfür wird den Mitgliedstaaten in der Regel eine zweijährige Umsetzungsfrist eingeräumt, um die Regelungen mit dem jeweiligen nationalen Recht abstimmen und im Rahmen eines Gesetzes umsetzen zu können. Der Hintergrund dieser Vorgehensweise liegt darin, dass die Europäische Union keine allgemeingültigen und verbindlichen Regelungen für alle Mitgliedstaaten erlassen kann, da sich die nationalen Gesetze der Mitgliedstaaten größtenteils stark unterscheiden.

1.2 Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland

In Deutschland sollte die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie durch das "Hinweisgeberschutzgesetz" (HinSchG) erfolgen. Der Referentenentwurf des HinSchG wurde bereits Ende 2020 von dem deutschen Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) vorgelegt. Über den Inhalt des Gesetzesentwurfes kam es in der großen Koalition im Frühjahr 2021 zu keiner Einigung. Hintergrund der Meinungsverschiedenheiten war der konkrete sachliche Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes. Die Whistleblower-Richtlinie beschränkt sich aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz lediglich auf den Schutz von Hinweisgebern für Meldungen von Verstößen gegen das EU-Recht. Es ist den Mitgliedstaaten aber erlaubt, den sachlichen Anwendungsbereich auch auf das nationale Recht auszuweiten. Die CDU/CSU wollte den Schutz für hinweisgebende Personen nur für Verstöße gegen das EU-Recht gewähren, wohingegen die SPD den Schutz auch auf Verstöße gegen das deutsche Recht ausweiten wollte. Mangels einer Einigung in der großen Koalition ist der Referentenentwurf des HinSchG Ende April 2021 endgültig in der Legislaturperiode gescheitert. Nach Abschluss der Bundestagswahlen hat die Ampel-Koalition bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, die Whistleblower-Richtlinie "rechtssicher und praktikabel" in Deutschland umzusetzen. Mit einem entsprechenden Gesetz ist nach derzeitigem Stand im Frühjahr 2022 zu rechnen.

1.3 Konsequenzen für Deutschland

Für betroffene Unternehmen bedeutet die Nichteinhaltung der Umsetzungsfrist und ein fehlendes nationales Gesetz jedoch nicht, dass in Deutschland für sie kein Handlungsbedarf besteht. Setzt ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgerecht in nationales Recht um, ist die "S...

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