Leitsatz

Im Verlustentstehungsjahr nicht ausgeglichene Verluste sind in einen vorangegangenen, nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeitraum auch dann zurückzutragen, wenn für das Verlustentstehungsjahr selbst bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

 

Normenkette

§ 10d Abs. 1 S. 1, 2, 3 EStG 1995 (= § 10d Abs. 1 S. 1, 3, 4 EStG).

 

Sachverhalt

Herr K war einmal Rechtsanwalt und beriet ein Unternehmen U in steuerlichen Fragen. Es kam aber zu einem Zerwürfnis, in dessen Folge eine Gesamtlösung angestrebt wurde. In Vorbereitung einer derartigen Vereinbarung zahlte U an K im Jahr 01 230 000 EUR. Die Vereinbarung kam aber nicht zustande, und U forderte von K das Geld noch im Jahr 01 zurück. K zahlte aber nicht, sodass U den K verklagen musste.

Im Jahr 02 wurde K vom LG verurteilt, den Betrag zurückzuzahlen. K erklärte im Jahr 01 seine Einkünfte als Rechtsanwalt (Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG) ohne die 230 000 EUR als Einnahmen. Er behandelte diesen Betrag als durchlaufenden Posten.

Das FA teilte die Auffassung nicht und behandelte den Zugang als gewinnerhöhende Einnahme. Auf die Klage ging das FG Münster (FG Münster, Urteil vom 12.09.2008, 6 K 676/04 E, Haufe-Index 2106176, EFG 2009, 466) davon aus, die 230 000 EUR seien zwar im Jahr 01 als Einnahmen zu erfassen (§ 11 Abs. 1 EStG) und seien kein durchlaufender Posten i.S.d. § 4 Abs. 3 S. 2 EStG. Indes sei der im Jahr 02 zurückgezahlte Betrag im Weg des Verlustrücktrags in das Jahr 01 zurückzutragen.

 

Entscheidung

Diese Lösung des FG Münster bestätigte der BFH aus den Gründen, wie sie in den Praxis-Hinweisen dargelegt sind.

 

Hinweis

1. Nach § 10d Abs. 1 S. 1 EStG sind Verluste, die bei der Ermittlung der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, in bestimmten Grenzen und unter weiteren hier nicht maßgebenden Voraussetzungen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des ersten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum abzuziehen.

2. Wie ist nun die Rechtslage, wenn der Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung verjährt ist? Ist damit auch der abziehbare Verlust "untergegangen"?

Das ist – so der BFH – nicht der Fall. Denn der Verlustrücktrag ist unabhängig von dem in der Steuerfestsetzung des Verlustentstehungsjahrs ausgewiesenen Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 10d Abs. 1 S. 1 EStG in zutreffender Höhe durchzuführen. Über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlusts wird nämlich nicht im Entstehungsjahr, sondern in dem Jahr entschieden, in dem sich der Verlustrücktrag steuerrechtlich auswirkt – das ist das Abzugsjahr.

Ebenso wie die Bestandskraft nur den festgesetzten Steuerbetrag erfasst, nicht aber die Besteuerungsgrundlagen, so erlischt nach § 47 AO durch Verjährung der Anspruch aus dem Steuerverhältnis – und das ist nach § 37 Abs. 1 AO die im Verlustentstehungsjahr festgesetzte Einkommensteuer. "Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden" (§ 10d Abs. 1 S. 1 EStG), bilden demgegenüber nur eine Ausgangsgröße und damit eine Besteuerungsgrundlage für die Ermittlung des Verlustabzugs.

3.§ 10d Abs. 1 S. 3 EStG steht dem nicht entgegen. Danach kann ein Steuerbescheid des Rücktragsjahrs auch dann geändert werden, wenn er unanfechtbar geworden ist. Die Verjährungsfristen enden insoweit nicht, bevor die Verjährungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem Verluste nicht ausgeglichen werden.

Ersichtlich trifft diese Norm keine Aussage über das Entstehungsjahr. Sie ist Bestandteil der in § 10d Abs. 1 S. 2, 3 EStG enthaltenen, gegenüber der AO eigenständigen Korrekturvorschriften. Sie trifft lediglich eine Aussage zur Verjährung des Jahrs, in dem die Verluste abzuziehen sind. Denn ein Verlustabzug in einen verjährten Veranlagungszeitraum wäre ohne besondere Regelung nicht zulässig. Da aber allein im Rücktragsjahr als Abzugsjahr darüber entschieden wird, in welcher Höhe Verluste abziehbar sind, ist der Verlustabzug aus einem verjährten Verlustentstehungsjahr zulässig.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.01.2010 – IX R 59/08

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