Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Nichtigkeit eines Einkommensteuerbescheids

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Nichtigkeit eines Einkommensteuerbescheids ist nicht ausreichend, dass dieser fehlerhaft ist. Insbesondere führen Schätzungsfehler in der Regel nicht zur Nichtigkeit.

 

Normenkette

AO § 125 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 22.10.2009; Aktenzeichen X B 102/08)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wurde mit seiner Ehefrau für die Jahre 1996 und 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Mit dem Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 1. September 2004 wurde, bei einem zu versteuernden Einkommen von 14.593 EUR, durch den Beklagten (das Finanzamt – FA –) die Einkommensteuer auf 34 EUR und der Solidaritätszuschlag auf 0 EUR festgesetzt. Vom Lohn wurden an Lohnsteuer 2.493 EUR und an Solidaritätszuschlag 102,38 EUR, zusammen 2.595,38 EUR, einbehalten. Die zu viel bezahlte Steuer von insgesamt 2.561,38 EUR wurde mit Einkommensteuer 1996 verrechnet.

Für 1996 schätzte das damals zuständige Finanzamt FA die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 1996 auf 9.094 DM (= 4.649,69 EUR) fest. Nach Berücksichtigung der Lohnsteuer (842 DM = 430,51 EUR) verblieb eine Steuer von 8.252 DM (= 4.219,18 EUR). Im Einzelnen wurde für 1996 wie folgt veranlagt:

Ehemann

Ehefrau

insgesamt

Einkünfte aus Gewerbebetrieb

30.000

./.

30.000

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit

35.000

./.

35.000

Gesamtbetrag der Einkünfte

65.000

Sonderausgaben

7.614

Einkommen / zu versteuerndes Einkommen

57.386

festzusetzende Einkommensteuer

9.094

ab Steuerabzug vom Lohn

842

verbleibende Steuer

8.252

alle Beträge in DM

Der Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 6. August 1998 wurde öffentlich zugestellt, da der Kläger und seine Ehefrau – ohne Bekanntgabe einer neuen Adresse – nach Italien verzogen waren. Dieser Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und war nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2000 aufgehoben. Auch dieser Bescheid wurde öffentlich zugestellt, da die Anschrift des Klägers und seiner Ehefrau unbekannt waren.

Mit Schreiben vom 23. September wandte sich der Kläger – erfolglos – gegen die vorgenommene Aufrechnung. Mit Schriftsatz vom 4. August 2005 reichte der Kläger Klage beim Finanzgericht München wegen anteiliger Steuerrückerstattung ein.

Diese Klage (6 K 3076/05) wurde – als Einspruch zu behandelnd – mit Beschluss vom 5. Oktober 2005 zur Entscheidung an das FA verwiesen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 23. August 2006 verwarf das FA den Einspruch als unzulässig:

  • ○ die Erklärung der Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sei als einseitige Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung, und als solche kein Verwaltungsakt;
  • ○ die Rechtsfolgen der Aufrechnung würden unmittelbar von Gesetzes wegen eintreten;
  • ○ dem Kläger könnte auf Antrag ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) erteilt werden, gegen den der Rechtsweg offen stünde.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Klage vom 26. September 2006:

  • ○ einen Schätzungsbescheid für 1996 habe der Kläger nicht erhalten; es werde bestritten, dass ein entsprechender Bescheid überhaupt ergangen und zugegangen sei;
  • ○ in dem Bescheid für 1996 würden die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Tätigkeit fälschlich allein dem Kläger zugeordnet, obwohl die gewerbliche Tätigkeit einzig und allein von der Ehefrau ausgeübt worden sei;
  • ○ der Kläger habe unter Ansatz der getrennten Veranlagung keine Steuerschulden aus 1996;
  • ○ weil dem FA trotz vorliegender Unterlagen nicht aufgefallen sei, dass der Kläger nur Arbeitnehmer gewesen sei, liege ein grob fehlerhafter Bescheid vor, der nichtig sei und keine Rechtwirkung entfalten könnte;
  • ○ aus den Schreiben des Klägervertreters sei zwanglos ein entsprechender Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids zu entnehmen;
  • ○ die Klage sei auch ohne den letztlich vom FA verweigerten Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO wegen deren Untätigkeit direkt auf Erfüllung der Verpflichtung auf Auszahlung der anteiligen Steuererstattungsansprüche des Klägers gerichtet und berechtigt.

Der Kläger beantragt:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, 2.236,60 EUR nebst 10,25 % Zinsen hieraus seit dem 1. Oktober 2004 auf das Konto des Klägers bei der XY-Bank zu bezahlen.
  2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kläger seien 1989 – ohne Angabe einer neuen Anschrift – nach Italien verzogen. Das FA sei deshalb gezwungen gewesen, den auf Schätzungsgrundlagen beruhenden Einkommens-Steuerbescheid 1996 öffentlich zuzustellen.

Mit Schreiben vom 29. März 2007 teilte das FA mit, es werde dem Kläger einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO erteilen.

Die Be...

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