Leitsatz (amtlich)

1. Eine auf einer Verfügung des HZA beruhende betriebliche Bestandsaufnahme eines Erlaubnisscheinnehmers ist weder eine amtliche Bestandsaufnahme i. S. des § 196 AO noch eine vorgeschriebene Bestandsaufnahme i. S. des § 161 AO 1977.

2. Bestandsaufnahmen i. S. des § 196 AO (i. V. m. §§ 192 Nr. 4 und 191 AO) können nicht nur in anmeldepflichtigen Betrieben, sondern in allen anderen Betrieben durchgeführt werden, für die sie in Verbrauchsteuergesetzen oder den darauf beruhenden Ausführungsbestimmungen mit Rechtsnormcharakter angeordnet sind.

3. Zur Frage der Verjährung von auf Fehlmengen zu entrichtenden Verbrauchsteuern, wenn der der Fehlmengenbesteuerung unterliegende Zeitraum mehrere Jahre beträgt.

 

Normenkette

AO §§ 191-192, 196, 203; AO 1977 § 161; MinöStDV § 21

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) handelt mit Mineralölen, u. a. mit Dieselkraftstoff und steuerbegünstigtem leichtem Heizöl. Bei einer vom Zollkommissar des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –) durchgeführten amtlichen Bestandsaufnahme vom 23. Januar 1975, die den Zeitraum von der letzten amtlichen Bestandsaufnahme am 9. April 1970 bis zu diesem Tag umfaßte, wurde eine Fehlmenge (Unterschied zwischen Soll- und Istbestand) von 220 838 l errechnet Das HZA führte eine Teilmenge von 55 366 l auf Umstände zurück, die eine Steuerschuld in der Person der Klägerin nicht begründen könnten, und setzte für die restliche Fehlmenge von 165 472 l mit Bescheid vom 12. November 1976 Mineralölsteuer in Höhe von 66 816,90 DM fest.

Den dagegen eingelegten Einspruch wies das HZA mit Entscheidung vom 6. Dezember 1977 zurück. Auch die Klage, mit der die Klägerin die ersatzlose Aufhebung des Steuerbescheides vom 12. November 1976 begehrte, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte, gestützt auf Art. 97 §§ 1 und 18 Abs. 1 Halbsatz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977), seiner Entscheidung §§ 175 Satz 1 Nr. 2 und 161 der Abgabenordnung (AO 1977) zugrunde. Es führte aus, die Bestandsaufnahme sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deshalb fehlerhaft, weil der Sollbestand nicht auf der Grundlage des Istbestandes berechnet worden sei, den die Klägerin zum 31. Dezember 1974 festgestellt und dem HZA gemeldet habe, sondern aufgrund des bei der letzten amtlichen Bestandsaufnahme am 9. April 1970 ermittelten Bestandes. Die Bestandsaufnahme der Klägerin zum 31. Dezember 1974 sei nicht geeignet gewesen, die Rechtsvermutung des damals geltenden § 196 der Reichsabgabenordnung (AO) auszulösen. Voraussetzung dafür wäre gewesen, daß sich die Fehlmengen bei „Bestandsaufnahmen (§ 192 Nr. 4)” ergeben hätten. Mit „Ausführungsbestimmungen” meine das Gesetz nicht behördliche Überwachungsbedingungen (Auflagen) im Einzelfall aufgrund des § 203 AO, sondern generelle Bestimmungen mit Rechtsnormcharakter. Nach § 21 Abs. 7 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) in der Fassung vor Inkrafttreten der Fünfzehnten Änderungsverordnung vom 16. Dezember 1974 (Art. 3, BGBl I 1974, 3521) seien die Bestände an steuerbegünstigten Mineralölen auf Anordnung des HZA amtlich, d. h. durch den Oberbeamten des Aufsichtsdienstes, festzustellen gewesen. Durch den auf § 203 AO gestützten Bescheid des HZA vom 6. Juni 1972 sei keine Bestandsaufnahme durch den Zollkommissar, sondern nur eine jährliche Bestandsfeststellung durch die Klägerin angeordnet worden.

Die Bestandsaufnahme vom 23. Januar 1975 sei auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der Errechnung des Sollbestandes ein Zeitraum zugrunde liege, der wesentlich länger als die für Verbrauchsteuern geltende einjährige Verjährungsfrist sei. Das Recht zur Anordnung und Durchführung einer Bestandsaufnahme sei unverjährbar. Zwar könne sich die Ausdehnung des Zeitraums zwischen zwei Bestandsaufnahmen aufgrund der Vermutung des § 196 Abs. 2 AO bzw. § 161 Satz 2 AO 1977 über den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer wie eine Verlängerung der Verjährungsfrist auswirken. Das entspreche aber dem Willen des Gesetzgebers. Der Steuerpflichtige habe die Möglichkeit, die Vermutung über den Entstehungszeitpunkt der festgestellten Steueransprüche zu widerlegen.

Die Vermutung des § 161 Satz 1 AO 1977 sei nicht entkräftet worden. Bei der dazu erforderlichen Glaubhaftmachung reiche der Hinweis auf gedankliche Möglichkeiten nicht aus; für steuerunschädliche Ursachen der Fehlmenge müsse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen. Weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch aus dem sonstigen Akteninhalt ergäben sich Beweisanzeichen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür sprächen, daß der der Besteuerung unterworfene Teil der Fehlmenge auf steuerunschädliche Ursachen wie z. B. Untergang (Schwund) oder temperaturbedingte Volumenminderung von Heizöl zurückgehe.

Die festgesetzten Steueransprüche seien weder ganz noch teilweise durch Verjährung erloschen. Die Verjährungsfrist bei Verbrauchsteuern betrage nach dem im Streitfalle noch anwendbaren § 144 Abs. 1 Satz 1 AO ein Jahr (Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977) und beginne bei den hier streitigen bedingten Mineralölsteuern mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Ungewißheit beseitigt worden sei (§ 145 Abs. 2 Nr. 4 AO). Die im Streitfall festgesetzten Steuern seien gemäß § 161 Satz 2 AO 1977 am 23. Januar 1975 unbedingt geworden. Das folge aus § 161 Satz 2 AO 1977, wonach die Steuer, deren Unbedingtwerden nach Satz 1 vermutet werde, im Zweifel im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme als unbedingt geworden gelte. Im Streitfall bestünden Zweifel bezüglich des Zeitpunktes, in dem die Steuern unbedingt geworden seien, insbesondere ob sie ganz oder teilweise schon vor Beginn des Jahres 1973 unbedingt geworden seien. Da die vom Prüfer errechneten Fehlmengensätze z. T. auf Zahlen beruhten, deren Richtigkeit von der Klägerin angezweifelt worden sei und die nicht überprüft werden könnten – nämlich auf den jährlichen Inventurbeständen –, könne nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, in welchem Kalenderjahr die Steuern unbedingt geworden seien.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 196 AO und 161 AO 1977 sowie die fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften. Sie trägt vor, daß der Auffassung des FG, die betriebliche Bestandsaufnahme vom 31. Dezember 1974 sei nicht geeignet gewesen, die Rechtsvermutung des in diesem Zeitpunkt geltenden § 196 AO auszulösen, nicht gefolgt werden könne. Teile man die Auffassung des FG, daß sich die Fehlmenge nach dem Wortlaut des § 196 Abs. 1 AO bei „Bestandsaufnahmen (§ 192 Nr. 4)” und damit bei durch die Ausführungsbestimmungen i. S. des § 192 Satz 2 AO angeordneten Bestandsaufnahmen ergeben müßten, müsse die Anwendbarkeit von § 196 AO auf Verteilerverkehre überhaupt in Zweifel gezogen werden. Denn bei Verteilerverkehren würden keine Gegenstände gewonnen, hergestellt oder umgesetzt (§ 192 i. V. m. § 191 Abs. 1 AO). Da andererseits die Anwendung des § 196 AO auf Verteilerverkehre unstreitig gewesen sei, könne der Klammerhinweis „§ 192 Nr. 4” nur als ein den Begriff „Bestandsaufnahme” erläuternder Hinweis verstanden werden, der keineswegs beinhalte, daß die Rechtsfolgen des § 196 AO nur bei Bestandsaufnahmen im Sinne dieser Vorschrift, d. h. bei nach § 191 AO anmeldepflichtigen Betrieben eintreten könnten. Die Auffassung des FG, daß nur durch eine Rechtsnorm angeordnete amtliche Bestandsaufnahmen im Rahmen des § 196 AO berücksichtigt werden könnten, gehe auch am Wortlaut des § 21 Abs. 7 MinöStDV in seihen Fassungen vor und nach der Rechtsänderung zum 1. Januar 1975 vorbei.

Tatsächlich sei lediglich eine Ermessensvorschrift, die sich bis dahin aus § 203 AO ergeben habe, in die Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes übernommen worden. Es sei danach nicht ersichtlich, was sich an der Rechtsnormqualität einer betrieblichen Bestandsaufnahme geändert haben solle.

Lege man aber, wie das FG es für richtig gehalten habe, bei der amtlichen Bestandsaufnahme vom 23. Januar 1975 einen unzulässigen, nicht auf der Basis des Istbestandes der letztvorhergehenden Bestandsaufnahme vom 31. Dezember 1974 ermittelten Sollbestand zugrunde, so sei die Bestandsaufnahme fehlerhaft im Sinne der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH). Die dabei errechnete Fehlmenge könne die Rechtsvermutung des § 196 AO (§ 161 AO 1977) nicht auslösen.

Zur Verjährung und zu dem über die einjährige Verjährungsfrist hinausgehenden Bestandsaufnahmezeitraum führt die Klägerin aus, sie mache nicht die Verjährung des Rechtes auf Bestandsaufnahme, sondern die Verjährung einer auf § 196 AO/§ 161 AO 1977 gestützten Steuerforderung geltend. Die auf eine ordnungsgemäße und vollständige Besteuerung gerichtete Bestandsaufnahme verliere ihren Sinn, wenn sie sich auf Zeiträume erstrecke, in denen nur noch verjährte Steuern entstanden sein könnten. Das FG habe den von ihm erkannten Widerspruch, daß möglicherweise verjährte und damit erloschene Steuerforderungen wegen der gesetzlichen Vermutung der genannten Vorschriften noch realisiert werden könnten, dadurch lösen wollen, daß es den Steuerpflichtigen auf die Möglichkeit verwiesen habe, die Vermutung über den Entstehungszeitpunkt der festgestellten Steueransprüche zu widerlegen. Wenn auch der Wortlaut der §§ 196 Abs. 2 AO und 161 Satz 2 AO 1977 für eine derartige Auslegung spreche, sei nicht zu übersehen, daß sich das FG seine diesbezüglichen Zweifel zu leicht gemacht habe.

§ 196 Abs. 2 AO und § 161 Satz 2 AO 1977, wonach die Steuerschuld im Zweifel im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme als entstanden (oder unbedingt geworden) gelte, beinhalte keine Vermutung, sondern eine Fiktion. Es erscheine kaum denkbar, daß der Gesetzgeber ein so grundlegendes Rechtsinstitut wie die Verjährung von einer Fiktion habe abhängig machen wollen. Seien die in der Vergangenheit liegenden Steuerschuldentstehungszeitpunkte nicht bekannt oder könnten sie, wie häufig in Fällen der Fehlmengenbesteuerung, nicht ermittelt werden, so müßten Besteuerungsgrundlagen aus eindeutig verjährten Zeiträumen außer Ansatz bleiben. Das könne nur dann zu Besteuerungslücken führen, wenn die Zollbehörden das Steueraufsichtsinstrument der Bestandsaufnahme in zeitlich zu weiten Abständen einsetzten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und den Steuerbescheid vom 12. November 1976 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin durch den angefochtenen Mineralölsteuerbescheid nicht in ihren Rechten verletzt wird. Die von der Klägerin erhobenen Revisionsrügen greifen nicht durch.

Der Senat läßt dahingestellt, ob im Streitfalle im Hinblick darauf, daß das von der Klägerin angestrengte Einspruchsverfahren am 1. Januar 1977 noch beim HZA anhängig war, schon § 181 AO 1977 anzuwenden ist, wie es das FG unter Hinweis auf Art. 97 §§ 1 und 18 EGAO 1977 angenommen hat, oder noch der im Zeitpunkt der Durchführung der amtlichen Bestandsaufnahme vom 23. Januar 1975 geltende § 196 AO. Für die Entscheidung kommt es darauf nicht an, weil die Klage bei Anwendung beider Vorschriften keinen Erfolg haben konnte.

Nach § 196 AO hat der Betriebsinhaber, wenn sich bei Bestandsaufnahmen Fehlmengen an verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnissen ergeben, die auf die Fehlmengen entfallenden Verbrauchsteuern zu entrichten, soweit nicht dargetan wird, daß die Fehlmengen auf Umstände zurückzuführen sind, die eine Steuerschuld in der Person des Betriebsinhabers nicht begründen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats wird die in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende Vermutung nur ausgelöst, wenn die Bestandsaufnahme ordnungsgemäß und fehlerfrei, d. h. nach den für sie maßgebenden Vorschriften durchgeführt worden ist (Urteil vom 8. Februar 1977 VII R 113/74, BFHE 121, 367). Die den Steuerpflichtigen belastende Rechtsvermutung erstreckt sich nur auf die Zeit von der der Bestandsaufnahme letztvorhergehenden Bestandsaufnahme bis zu der Bestandsaufnahme, die für die Begründung der Steuerschuld maßgebend ist. § 161 Satz 1 AO 1977 hat weitgehend den gleichen Inhalt. Neu ist allerdings, daß für die Begründung der Fehlmengenbesteuerung maßgebende Bestandsaufnahmen nicht nur amtlich durchgeführte, sondern auchvorgeschriebene Bestandsaufnahmen sein können. Im Streitfall hat die zur Fehlmengenbesteuerung führende amtliche Bestandsaufnahme durch den Zollkommissar am 23. Januar 1975 stattgefunden, also nach Änderung des § 21 Abs. 7 MinöStDV durch die Fünfzehnte Änderungsverordnung vom 16. Dezember 1974 (vgl. Art. 3, BGBl I 1974, 3521). Trotz der in den Sätzen 1 bis 3 vorgesehenen und näher geregelten Möglichkeit einer Bestandsaufnahme durch den Erlaubnisscheinnehmer selbst konnte nach wie vor das HZA anordnen, daß die Bestände amtlich festgestellt werden (vgl. Satz 5 der vorgenannten Vorschrift). Diese amtliche Bestandsaufnahme behält, gleichgültig, ob man sie nach § 196 AO oder § 161 AO 1977 beurteilt, ihre tatsächliche und rechtliche Wirkung.

Die von der Klägerin am 31. Dezember 1974 durchgeführte betriebliche Bestandsaufnahme war nicht geeignet, die Rechtsvermutung des § 196 AO oder des § 161 AO 1977 auf den Zeitraum zwischen der betrieblichen und der amtlichen Bestandsaufnahme zu beschränken. Sie beruhte unbestritten auf einer Verfügung des HZA gemäß § 203 AO, wonach dem Steuerpflichtigen zur Überwachung besondere Bedingungen auferlegt werden können. Daraus folgt zunächst, daß die betriebliche Bestandsaufnahme der Klägerin keine Bestandsaufnahme i. S. des § 196 AO gewesen ist Diese Vorschrift verweist zum Begriff Bestandsaufnahmen durch einen Klammerzusatz auf § 192 Nr. 4 AO. Nach dieser Vorschrift kann für die in § 191 AO aufgeführten Betriebe (zu denen, wie noch auszuführen sein wird, auch erlaubnisscheinpflichtige Betriebe gehören, die steuerbegünstigtes Mineralöl verteilen) durch Ausführungsbestimmungen angeordnet werden, welchen Bedingungen zur Sicherung der Steuer sie zu genügen haben. Insbesondere kann angeordnet werden, daß die Bestände festzustellen sind. Eine solche Anordnung, die Bestände festzustellen, enthält der auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) gestützte § 21 MinöStDV. Nur aufgrund dieser Vorschrift angeordnete Bestandsaufnahmen kommen danach als solche i. S. des § 196 AO in Betracht. Das trifft auf die von der Klägerin durchgeführte und auf einer Verfügung gemäß § 203 AO beruhende betriebliche Bestandsaufnahme nicht zu.

Die betriebliche Bestandsaufnahme vom 31. Dezember 1974 war aber auch, die Anwendbarkeit des § 161 AO 1977 unterstellt, keinevorgeschriebene Bestandsaufnahme. Der Wortlaut stellt klar, daß vorgeschriebene Bestandsaufnahmen nur solche sind, die in den in Frage kommenden Verbrauchsteuergesetzen bzw. den darauf beruhenden Ausführungsbestimmungen eine rechtliche Grundlage haben. Das trifft z. B. für § 21 Abs. 7 Sätze 1 bis 3 MinöStDV i. d. F. der Fünfzehnten Änderungsverordnung zu. Dort ist vorgesehen, daß der Erlaubnisscheinnehmer die Bestände an steuerbegünstigten Mineralölen zu einem zu bestimmenden Zeitpunkt festzustellen und innerhalb von zwei Wochen nach vorgeschriebenem Muster anzumelden hat. Daß er diese ihm obliegende Verpflichtung auf jeweilige Anordnung der Dienststelle des zuständigen HZA zu erfüllen hat, ändert nichts daran, daß es sich bei der nach Anordnung durchgeführten Bestandsaufnahme um eine durch Rechtsnorm vorgeschriebene i. S. des § 161 AO 1977 handelt. Für eine auf § 203 AO gestützte Bestandsaufnahme trifft das dagegen nicht zu. Die im Zweiten Teil, Zweiter Abschnitt, VII. Unterabschnitt der AO geregelten §§ 202 und 203 tragen die Überschrift „Zwangsmittel und Sicherungsgelder”. Nach § 203 Abs. 1 AO können dem Steuerpflichtigen, insbesondere auch zur Überwachung, besondere Bedingungen auferlegt werden unter der Bestimmung, daß bei Nichteinhaltung dieser Bedingungen Sicherungsgelder als Ungehorsamsfolgen verwirkt sein sollen. Eine im Einzelfall dem Erlaubnisscheinnehmer auferlegte und im Ermessen der zuständigen Verwaltungsbehörde liegende Verpflichtung, im Interesse der Überwachung Bestandsaufnahmen vorzunehmen, ist aber keine durch Rechtsnorm vorgeschriebene Bestandsaufnahme i. S. des § 161 AO 1977 (wobei im übrigen die Frage unerörtert bleiben kann, ob das HZA überhaupt berechtigt war, der Klägerin besondere Bedingungen aufzuerlegen, was deshalb zweifelhaft ist, weil auf die Erteilung eines Erlaubnisscheines ein Rechtsanspruch besteht – vgl. Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 4. Aufl., § 8 MinöStG Anm. 28 und § 19 MinöStDV Anm. 1 –, und weil in solchen Fällen besondere Bedingungen i. S. des § 203 Abs. 1 AO nicht auferlegt werden dürfen, vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 12. März 1974 VII R 136/71, BFHE 112, 14, 16).

Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, daß § 196 AO, wie sich aus dem Klammerhinweis auf § 192 Nr. 4 AO ergebe, auf „Verteilerverkehre” nicht anwendbar sei. Diesem Klammerhinweis kommt keine entscheidende Bedeutung etwa in dem Sinne zu, daß eine Fehlmengenbesteuerung nur dann rechtlich möglich wäre, wenn eine Bestandsaufnahme anmeldepflichtige Herstellungsbetriebe (§ 191 AO) betrifft und nicht erlaubnisscheinpflichtige Verteilerbetriebe. Das ergibt sich einmal schon daraus, daß auch die in § 196 AO ausdrücklich erwähnten Steuerlager nicht zu den anmeldepflichtigen Betrieben i. S. des § 191 AO gehören (vgl. §§ 28, 29 einerseits und § 40 MinöStDV a. F. andererseits). Es folgt ferner aus dem Zusammenhang, in den § 196 AO gestellt ist. § 196 AO ist im VI. Unterabschnitt (Zweiter Teil, Zweiter Abschnitt) behandelt. Dieser Abschnitt trägt die Überschrift „Steueraufsicht”. Es liegt auf der Hand, daß die zahlreichen Vorschriften der Verbrauchsteuergesetze, in denen nicht nur hinsichtlich von anmeldepflichtigen Herstellungsbetrieben die Steueraufsicht angeordnet ist, nicht alle in der AO aufgeführt werden können. Wenn § 191 i. V. m. § 192 Nr. 4 AO, was Bestandsaufnahmen im Rahmen der Steueraufsicht betrifft, sich expressis verbis auch nur mit anzumeldenden Betrieben befaßt, so kann daraus nicht etwa die Schlußfolgerung gezogen werden, daß in den einzelnen Verbrauchsteuergesetzen bzw. in den dazu ergangenen Ausführungsverordnungen nicht auch andere als anmeldepflichtige Betriebe der Steueraufsicht unterworfen und für sie Bestandsaufnahmen angeordnet werden können. Gerade im Hinblick darauf, daß Mineralöle steuerbegünstigt verteilt und verwendet werden dürfen, war es notwendig, die Steueraufsicht auch auf Betriebe von Erlaubnisscheinnehmern auszudehnen, wie es auf der Ermächtigungsgrundlage des § 15 Abs. 2 Nr. 1 MinöStG in § 21 Abs. 1 und 7 MinöStDV geschehen ist. § 196 i. V. m. § 192 Nr. 4 und § 191 AO sind deshalb nach Sinn und Zweck der dort getroffenen Regelungen dahin auszulegen, daß Bestandsaufnahmen nach § 196 AO mit der Folge, daß die auf evtl. Fehlmengen entfallenden Verbrauchsteuern nachzuentrichten sind, immer dann eine rechtliche Grundlage haben, wenn sie hinsichtlich von Betrieben, die der Steueraufsicht unterliegen, in Verbrauchsteuergesetzen oder den darauf beruhenden Ausführungsbestimmungen mit Rechtsnormcharakter vorgeschrieben sind.

Das HZA hat damit in vom FG zu Recht nicht beanstandeter Weise für den Zeitraum vom 9. April 1970 bis zum 23. Januar 1975 eine Fehlmenge von 165 472 l festgestellt und dafür Mineralölsteuer in Höhe von 66 816,90 DM festgesetzt.

Dieser Steueranspruch ist nicht durch Verjährung erloschen. Zunächst kann dem Wortlaut des § 196 AO und des § 161 AO 1977 nicht entnommen werden, daß der Fehlmengenbesteuerung grundsätzlich nur Zeiträume unterworfen werden können, die innerhalb der für Verbrauchsteuern geltenden einjährigen Verjährungsfrist liegen. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß weder die für den Verkehr mit steuerbegünstigtem Mineralöl maßgebenden Vorschriften noch die Vorschriften über die Verjährung eine zeitliche Grenze für die Ausdehnung der Zeitspanne zwischen zwei Bestandsaufnahmen vorsehen. Der Fehlmengenbesteuerung kann deshalb auch ein zwischen zwei Bestandsaufnahmen liegender Zeitraum von fünf Jahren zugrunde gelegt werden.

Der Beginn der Verjährung von Verbrauchsteueransprüchen, die gemäß § 196 Abs. 1 oder § 161 Satz 1 AO 1977 geltend gemacht werden, bestimmt sich nach § 196 Abs. 2 AO oder § 161 Satz 2 AO 1977. Danach gilt die Steuerschuld im Zweifel als im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme entstanden bzw. unbedingt geworden. Entscheidend für die Frage der Verjährung ist danach, ob festgestellt werden kann, daß sich festgestellte Fehlmengen auf einzelne Kalenderjahre verteilen. Kann das festgestellt werden, so beginnt die Verjährung für die Steueransprüche, die auf solche Fehlmengen entfallen, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Fehlmengen entstanden sind. Das hätte im Streitfall zur Folge, daß die einjährige Verjährungsfrist (§ 144 Abs. 1 AO) für die ersten Jahre des geprüften Zeitraums bereits abgelaufen wäre (vgl. zum Verjährungsbeginn § 145 Abs. 1 AO i. V. m. Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977) mit der Folge, daß die darauf entfallenden Steueransprüche erloschen wären. Lassen sich dagegen genaue Feststellungen über die in den einzelnen geprüften Kalenderjahren angefallenen Fehlmengen nicht feststellen, so gilt nach § 196 Abs. 2 AO oder § 161 Satz 2 AO 1977 die Steuer im Zweifel als erst im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme entstanden bzw. unbedingt geworden.

Im Streitfalle hat das FG, von der vorstehend wiedergegebenen Rechtsauffassung ausgehend unter Berücksichtigung der von ihm festgestellten Tatsache, daß die von dem Prüfer errechneten Fehlmengensätze z. T. auf Zahlen beruhen, deren Richtigkeit von der Klägerin selbst angezweifelt worden ist und nicht überprüft werden kann, festgestellt, daß Zweifel bezüglich des Zeitpunktes, in dem die Steuerschulden entstanden sind, bestehen, so daß nach § 196 Abs. 2 AO bzw. § 161 Satz 2 AO 1977 die Steuerschuld im Zeitpunkt der Bestandsaufnahme als entstanden bzw. unbedingt geworden gilt. Diese Schlußfolgerung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die weitere Feststellung des FG, daß der Steueranspruch nach der Entwicklung der Fehlmengensätze in den Jahren 1970 bis 1972 von 0,04 bzw. 0,02 % auf 0,48 % im Jahre 1973 erst ab diesem Kalenderjahr entstanden sein dürfte, ändert daran, daß auch damit für die folgenden Jahre noch Zweifel an der genauen Entstehung der Steuerschuld bestehen, nichts.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510581

BFHE 1982, 256

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