Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht Berufsrecht Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Fragen der Entstehung und des Wirksamwerdens einer offenen Handelsgesellschaft im Hinblick auf die Umsatzsteuer.

UStG § 1 Ziff. 1, § 2 Abs. 1 Satz 2; HGB § 1 Abs. 2 Ziff. 1, § 2, § 19 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 105 Abs. 2,

 

Normenkette

UStG § 1 Ziff. 1, § 2/1; HGB § 1 Abs. 2 Ziff. 1, §§ 2, 19/1, § 22 Abs. 1, § 105/2, § 123; BGB § 722

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige, eine Baufirma, war am 18. November 1949 als Einzelfirma in das Handelsregister eingetragen worden. Am 24. Mai 1954 erklärten der Inhaber der Steuerpflichtigen, K. S., und seine Ehefrau T. S., die das Unternehmen kaufmännisch leitete und Prokura hatte, vor dem Registergericht zu Protokoll, daß sie zusammen eine OHG gegründet hätten. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag lag nicht vor. Am 23. Juni 1954 wurde in das Handelsregister eingetragen, daß die an Frau T. S. erteilte Prokura erloschen sei, daß die Ehefrau als persönlich haftende Gesellschafterin in das Geschäft eingetreten sei und daß die OHG am 1. Januar 1954 begonnen habe. Die Eintragung wurde im Bundesanzeiger Nr. ... vom ... und in der "... Zeitung" Nr. ... vom ... veröffentlicht.

Die Baufirma hat in den Jahren 1954 bis 1957 eine Reihe von Mietwohnhäusern errichtet, die je zur Hälfte im Miteigentum von Herrn S. und Frau S. stehen. Das Finanzamt nahm an, daß die OHG umsatzsteuerrechtlich nicht anerkannt werden könne, weil hinsichtlich der Firma K. S. ein ernsthaftes Gesellschaftsverhältnis zwischen den Ehegatten nicht bestanden habe und die Firma stets als Einzelunternehmen ohne einen die Gesellschaft andeutenden Zusatz aufgetreten sei. Es lehnte daher das Bestehen einer Unternehmereinheit zwischen der Steuerpflichtigen und der zwecks Errichtung und Vermietung von Wohnhäusern zwischen den Eheleuten S. gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im folgenden Wohnungsgesellschaft) ab und zog im Wege von Berichtigungsveranlagungen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO die Steuerpflichtige mit den an diese Gesellschaft bewirkten Bauleistungen zur Umsatzsteuer heran. Der von der Steuerpflichtigen hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Dagegen erkannte das Finanzgericht das Bestehen einer Unternehmereinheit zwischen der Firma K. S. und der Wohnungsgesellschaft der Eheleute S. an. In der Vorentscheidung wird im wesentlichen folgendes ausgeführt: Gründe, die gegen die Ernsthaftigkeit der Gründung der OHG sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Durch die Eintragung im Handelsregister und ihre Veröffentlichung im Bundesanzeiger und in der "... Zeitung" sei die öffentlichkeit von dem Bestehen der OHG hinreichend unterrichtet worden (vgl. auch die Bestätigungen der Lieferanten und der Stadtsparkasse ...). Als sogenannte abgeleitete Gesellschaft habe die Firma K. S. das Recht gehabt, ihren bisherigen Firmennamen ohne einen das Vorhandensein einer Gesellschaft andeutenden Zusatz fortzuführen (ß 19 Abs. 1, § 22 Abs. 1 HGB). Die Eheleute S. seien an der Firma mangels besonderer Vereinbarung je zur Hälfte beteiligt gewesen; ebenso an der Wohnungsgesellschaft (ß 105 Abs. 2 HGB, § 722 BGB). Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Unternehmereinheit (gleiche Gesellschafter, gleiche Beteiligungsverhältnisse, einheitliche Willensbildung) seien mithin im Streitfalle gegeben. Die Umsätze der Steuerpflichtigen an die Wohnungsgesellschaft stellten nichtsteuerbare Innenumsätze dar.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren bestreitet das Finanzamt nicht mehr, daß die Firma K. S. auch umsatzsteuerrechtlich als OHG anzuerkennen ist, und daß seit ihrem Auftreten nach außen hin zwischen ihr und der Wohnungsgesellschaft Unternehmereinheit bestanden hat. Es behauptet jedoch, daß die Firma erst mit der Veröffentlichung ihrer Eintragung als OHG im Handelsregister, also frühestens am 3. Juli 1954, nach außen hin als OHG in Erscheinung getreten sei und infolgedessen ihre in der Zeit vom 1. Januar bis 3. Juli 1954 an die Wohnungsgesellschaft bewirkten Leistungen der Umsatzsteuer unterlägen. Außerdem müsse die Geschäftsveräußerung im ganzen von der Einzelfirma an die OHG gemäß § 85 UStDB der Umsatzsteuer unterworfen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Entscheidung hängt hauptsächlich davon ab, wann die OHG K. S. entstanden und wann sie Dritten gegenüber wirksam geworden ist.

Eine OHG entsteht im Innenverhältnis durch den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages (sogenannte Entstehung im engeren Sinne). Eine Rückbeziehung des Zeitpunkts der Entstehung auf ein vor dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages liegendes Datum kann keine steuerlichen Wirkungen haben, und zwar auch dann nicht, wenn die Zurückbeziehung keinen Umgehungstatbestand im Sinne des § 6 StAnpG erfüllt (Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 116/60 U vom 25. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 94, Slg. Bd. 72 S. 249). Dem Vermerk im Handelsregister, daß die OHG am 1. Januar 1954 begonnen habe, ist daher umsatzsteuerrechtlich keine Bedeutung beizumessen. Der Gesellschaftsvertrag bedarf bei der OHG keiner besonderen Form. Er muß nicht schriftlich abgeschlossen werden, sondern kann auch durch mündliche Vereinbarungen oder durch konkludente Handlungen zustande kommen. Im Streitfall ist der Gesellschaftsvertrag spätestens dadurch zustande gekommen, daß die Eheleute S. am 24. Mai 1954 vor dem Registergericht zu Protokoll erklärt haben, sie hätten zusammen eine OHG gegründet.

Rechtswirkungen im Außenverhältnis zu Dritten (Wirksamwerden der OHG, sogenannte Errichtung der OHG) treten für eine OHG grundsätzlich durch zwei Vorgänge ein: durch ihre Eintragung im Handelsregister und durch ihren Geschäftsbeginn, sofern dieser vor der Eintragung liegt (ß 123 Abs. 1 und 2 HGB). Der Begriff des Geschäftsbeginns ist weit auszulegen. Es genügt, daß die OHG nach außen hin irgendwie handelnd hervortritt. Hierunter fallen auch Vorbereitungshandlungen aller Art, u. a. auch das Auftreten einer Behörde gegenüber.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine OHG schon vor ihrer Eintragung im Handelsregister mit dem Geschäftsbeginn wirksam wird, gilt für die sogenannten Sollkaufleute des § 2 HGB (ß 123 Abs. 2 letzter Satzteil HGB). OHGen dieser Art werden immer erst durch ihre Eintragung im Handelsregister errichtet, d. h. Dritten gegenüber wirksam. Die Steuerpflichtige gehört zu diesen Sollkaufleuten, weil sie keine Bauzulieferfirma, die bewegliche Sachen an den Bau liefert oder sie als Zubehör in den Bau einfügt, sondern eine "Bauunternehmung für Hoch- und Tiefbau" ist, die ganze Bauwerke errichtet (kein Grundhandelsgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 2 Ziff. 1 HGB, weil die Sachen mit ihrer Lieferung unbeweglich werden).

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Firma K. S. als OHG Dritten gegenüber war mithin nicht - wie das Finanzgericht angenommen hat - der 1. Januar 1954 (auf den der Beginn der OHG nach der Erklärung der Eheleute S. vor dem Registergericht zurückdatiert worden ist), auch nicht der 3. Juli 1954 (Tag der Veröffentlichung der Handelsregistereintragung in der "... Zeitung") - den das Finanzamt für ausschlaggebend hält -, auch nicht der 24. Mai 1954, an dem die OHG im Innenverhältnis spätestens entstanden ist - den die Steuerpflichtige in der Rechtsbeschwerdeentgegnung für ausschlaggebend hält -, sondern der 23. Juni 1954, an dem die Firma als OHG in das Handelsregister eingetragen wurde. Erst an diesem Tage ist mit der Errichtung der OHG eine Unternehmereinheit zwischen ihr und der Wohnungsgesellschaft, deren Voraussetzungen das Finanzgericht zutreffend als vorliegend erachtet hat, eingetreten. Die bis dahin von der Steuerpflichtigen an die Wohnungsgesellschaft bewirkten Umsätze sind daher zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Weil das Finanzgericht dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Vorentscheidung war aber auch aus einem anderen Grunde aufzuheben. Im Jahre 1954 bestanden nacheinander zwei Unternehmen, nämlich bis zum 23. Juni 1954 die Einzelfirma K. S. und von diesem Tage an eine Unternehmereinheit, bestehend aus der OHG K. S. (Gesellschafter die Eheleute S.) und aus der Wohnungsbau- und - vermietungsgesellschaft Eheleute S. Es ist nicht angängig, gegen zwei Steuerpflichtige einen Umsatzsteuerbescheid zu erlassen. Der Rechtsstreit ist nur noch anhängig für 1954 und nur insoweit, als der Einzelunternehmer K. S. gegen den die Steuerbescheide für 1954 ergangen sind, in Betracht kommt. Das Finanzgericht wird, sofern sich der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz nicht auf andere Weise (z. B. nach § 94 AO) erledigt, die Umsätze des Einzelunternehmers K. S. bis zum 23. Juni 1954 (einschließlich der Umsätze an die Wohnungsgesellschaft und der Umsätze aus der Geschäftsveräußerung) zu vermitteln und dessen Umsatzsteuer für 1954 anderweitig festzusetzen haben. Das Finanzamt hat alsdann im Rahmen des ihm zugewiesenen Ermessens zu befinden, ob die bei der Veräußerung des Geschäfts des Einzelinhabers K. S. an die OHG K. S. auf den Einbringungsvorgang entfallende Umsatzsteuer ganz oder teilweise zu erlassen ist. Wegen der Anwendung des Runderlasses des Reichsministers der Finanzen S 4100 - 172 III vom 16. Dezember 1938 (RStBl 1938 S. 1164) wird auf das Urteil des Senats V 101/61 U vom 25. Juni 1964 (BStBl 1964 III S. 440) Bezug genommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411472

BStBl III 1965, 130

BFHE 1965, 363

BFHE 81, 363

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge